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Neuer SPD-Generalsekretär Matthias Miersch: „Da ist etwas verloren gegangen“

Seit zwei Wochen ist Matthias Miersch als Generalsekretär im Amt. Im Interview sagt er, wie er die SPD fit für den Bundestagswahlkampf machen will, warum ihn der Rückstand in den Umfragen nicht schreckt – und er nicht auf TikTok tanzen wird.

von Karin Nink und Kai Doering · 19. Oktober 2024
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch: Ich sehe mich als Teammanager.

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch: Ich sehe mich als Teammanager.

Seit dem 7. Oktober sind Sie Generalsekretär der SPD. Sehen Sie sich mehr als General oder als Sekretär?

Nach der kurzen Zeit würde ich sagen: Beide Begriffe passen nicht ganz. Die Kombination macht es. General klingt zu sehr nach Kommandoton, und Sekretär ist mir ein bisschen zu passiv. Ich sehe mich als Teammanager, der alle Mitspielerinnen und Mitspieler zusammenbringt, die Taktik abstimmt und für den Teamgeist sorgt. Und ja, manchmal bedeutet das auch, um im Fußball zu bleiben, den Ball selbst ins Tor zu schießen – oder zumindest die Vorlage zu liefern.

Was sind die größte Aufgaben, die jetzt vor Ihnen liegen?

Das sind vor allem zwei: Das eine ist das Organisatorische, dass die SPD für den kommenden Bundestagswahlkampf gut aufgestellt ist und das andere, dass wir programmatisch klar aufgestellt sind. Glücklicherweise wurde da von Kevin Kühnert und den Kolleginnen und Kollegen im Willy-Brandt-Haus schon unheimlich viel Vorarbeit geleistet.

Matthias
Miersch

Die Bundestagswahl wird eine Richtungsentscheidung für unser Land sein.

Was erwarten Sie da von den Mitgliedern und vom Willy-Brandt-Haus?

Ein enger Austausch mit den Mitgliedern ist mir enorm wichtig – das habe ich schon als Bundestagsabgeordneter in Hannover so gehandhabt. Die Dialogkonferenzen im November sind daher für mich zentral, und ich werde auch ‚Wir müssen reden‘ von Kevin Kühnert fortführen. Jetzt heißt es: den Spirit unserer erfolgreichen Parteivorstandsklausur in die ganze Partei tragen!

Und mit Blick auf die Bundestagswahl?

Unsere 370.000 Mitglieder sind unser größtes Kapital. Wir müssen diese Stärke auf die Straße und in die sozialen Medien tragen. Das Willy-Brandt-Haus ist dafür die Servicestation, die uns alle unterstützt. Ich bin bereit, überall mit anzupacken, wo es nötig ist. Die Bundestagswahl wird eine Richtungsentscheidung für unser Land sein. 

Sie werden aber nicht auf TikTok tanzen?

Keine Sorge, das bleibt allen erspart! Aber als Partei müssen wir offen für neue Formate sein – den Extremisten das Internet zu überlassen, ist keine Option. Stattdessen sollten wir unsere Mitglieder befähigen, dass sie in den sozialen Medien dagegenhalten können, zum Beispiel mit authentischem Material aus dem Willy-Brandt-Haus. Mir geht es darum, unsere Leute fit zu machen, damit sie auch digital die richtigen Moves draufhaben – nur eben ohne Tanzvideos.

Als Sie vorgestellt wurden, haben Sie gesagt: „Ich werde nicht bequem sein und kein Ja-Sager.“ Muss sich die Partei auf einen neuen Stil einstellen?

Ich hatte immer den Eindruck, dass auch Kevin Kühnert durchaus seine Meinung vertreten hat und nicht nur als Dienstleister der Partei fungiert hat. Und jeder, der mich kennt, weiß, dass auch ich meine eigene Meinung habe. Das wird auch so bleiben. Trotzdem bin ich ein Teamplayer und weiß, wann es wichtig ist, sich mal zurückzunehmen. Aber natürlich werde ich weiter meine Punkte einbringen, etwa in Fragen des Klimaschutzes, der mir seit Jahren ein Herzensanliegen ist.

Bei der Vorstellungspressekonferenz haben Sie  gefordert, die SPD müsse auch miteinander ringen und streiten. Haben Sie das in den vergangenen Jahren vermisst?

Ja. Mir fällt auf, dass es generell nach Corona schwieriger geworden ist, Formate zu finden, in denen vernünftig miteinander diskutiert wird. Den Diskurs, das miteinander Ringen, habe ich vor zehn Jahren noch ganz anders erlebt. Da ist etwas verloren gegangen. Da möchte ich gerne wieder hin. Natürlich müssen wir aufpassen, da Diskussionen medial gern als Streit interpretiert werden. Aber die Demokratie lebt doch von der Auseinandersetzung über den besten Weg. 

Nach der Klausur des Parteivorstands war bereits viel von der Bundestagswahl im kommenden Jahr die Rede. Ist die SPD ab jetzt im Wahlkampfmodus?

Ja, denn vor der Klausur hat ja bereits die Unterbezirksvorsitzendenkonferenz stattgefunden, bei der wir den Wahlkampf auf Funktionärsebene eingeläutet haben. Wir haben gezielt abgefragt, wo die Bedürfnisse der Mitglieder vor Ort sind und worauf in den Gliederungen Wert gelegt wird. Die Parteivorstandsklausur hatte dann bewusst das Setting einer Mannschaftskabine. Da haben wir uns eingeschworen und jetzt gehen wir – um im Bild zu bleiben – raus auf den Platz.

Wer ist für die SPD der Hauptgegner?

Das ist ganz klar die Merz-CDU. Er hat die Partei als Vorsitzender geprägt und den Abschied von der Ära Merkel vollzogen. Die Merz-CDU steht für einen neoliberalen Kurs mit einem schwachen Staat. Wir werben für einen handlungsfähigen Staat, der in Zukunft investiert und 95 Prozent der Steuerzahler entlastet – und dafür das obere ein Prozent mehr in die Verantwortung nimmt. Die Bundestagswahl ist eine Richtungsentscheidung. Und natürlich geht es um die Frage, wer unser Land künftig führt: der erfahrene und besonnene Olaf Scholz oder Friedrich Merz, der noch nie ein Regierungsamt bekleidet hat und sich häufig nicht im Griff hat.

Matthias
Miersch

Wir haben schon oft gezeigt, dass wir große Rückstände bis zum Wahltag aufholen können.

In den Umfragen liegt die CDU deutlich vorn. Wie will die SPD den Rückstand aufholen?

Wir haben schon oft gezeigt, dass wir große Rückstände bis zum Wahltag aufholen können. Die Zeiten sind volatil, und viele Menschen entscheiden sich erst spät. Wir werden klar machen, was uns von der Merz-CDU unterscheidet und dass es bei der Bundestagswahl um eine echte Richtungsentscheidung geht.

Bis zur Bundestagswahl ist es noch ein knappes Jahr. Was tut die SPD, um die aktuellen Probleme der Menschen zu lösen? Die Verunsicherung im Land ist ja groß.

Das stimmt und deshalb sind die Ankündigungen des Bundeskanzlers für einen Pakt der Industriearbeitsplätze so wichtig. Wir müssen auf jeden Fall Industriearbeitsplätze in Deutschland halten und die Wirtschaft insgesamt stärken. Mit den Beschlüssen der Parteivorstandsklausur haben wir da ganz entscheidende Weichen gestellt. Wir stellen bewusst die Zukunft des Standorts Deutschlands in den Mittelpunkt, denn er ist Garant für unser aller Wohlstand. Die Maßnahmen, die es braucht, um Deutschland wieder auf Wachstumskurs zu bringen, müssen jetzt ergriffen werden und gehören nicht in den Wahlkampf.

Woran denken Sie dabei?

Zentral ist eine bezahlbare Energieversorgung – dafür müssen wir die Netzentgelte stabilisieren. Wir wollen zudem Anreize für Elektromobilität schaffen und sicherstellen, dass unsere Infrastruktur in Deutschland funktioniert. Dafür braucht es massive Investitionen. Den Menschen Sicherheit zu geben, dass das, was sie brauchen, funktioniert, ist mir wichtig. Und dazu gehört auch die Rentenreform, die jetzt dringend kommen muss.

Autor*in
Karin Nink und Kai Doering

sind Chefredakteurin und stellvertretender Chefredakteur des „vorwärts“.

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Gespeichert von Hans-Peter Oswald (nicht überprüft) am Sa., 19.10.2024 - 21:09

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Matthias Miersch trägt große Verantwortung für die Zukunft der SPD, ja für die Zukunft Deutschlands. Ich hoffe, er kann die Mitglieder für diesen Wahlkampf mobilisieren.

Die Tierschutzpartei und Volt haben bei der Europawahl beachtliche Ergebnisse erzielt und sitzen im Europaparlament. Wegen der 5-Prozent-Klausel dürften sie keine Chancen bei einer Bundestagswahl haben.

Mein Vorschlag: Die SPD sollte das Gespräch mit Volt und der Tierschutzpartei suchen. Das Angebot der SPD könnte sein: Sowohl Volt als auch der Tierschutzpartei einen sicheren Listenplatz auf der Liste der SPD einräumen, im Wahlprogramm den Tierschutz als im Grundgesetz zu verankerndes Staatsziel berücksichtigen und Ideen von Volt für Europa aufgreifen.

Die damit verbundene Erwartung ist, dass die Stimmen der Anhänger dieser Klein-Parteien 2025 im Bundestagswahl überwiegend der SPD zugutekommen, anstatt nicht zu zählen.

Die Betonung des Tierschutzes im Wahlprogramm der SPD wäre nicht nur im Hinblick auf die Anhänger der
Tierschutzpartei interessant, sondern kann auch Nichtwähler und Wähler andere Parteien für die SPD einnehmen.

Hans-Peter Oswald

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