Meinung

Wahlausschluss für Deutsche im Ausland: eine Blamage – und ein Skandal!

Bei der Neuwahl des Bundestages konnten tausende Deutsche im Ausland nicht mitwählen. Das war ein Ausschluss von der Wahl mit Ansage. Das darf sich nicht wiederholen. Ein Kommentar.

von Martin Nissen · 7. März 2025
Wahlauszählung am 23. Februar 2025, hier in Halle an der Saale: Viele Deutsche im Ausland konnten bei der Neuwahl des Bundestages nicht mitwählen.
23.02.2025 Sachsen Anhalt Sachsen-Anhalt Bundestagswahl 2025 Ausz?hlung der Stimmen in einem Wahllokal in Halle Saale *** 23 02 2025 Saxony Anhalt Saxony Anhalt Bundestag election 2025 Counting of votes at a polling station in Halle Saale

In Deutschland haben wir das Wahlergebnis der Bundestagswahl ausgiebig diskutiert und uns zumindest über die beeindruckende Wahlbeteiligung gefreut.  

Frustriert über ein Wahlergebnis, auf das sie mit ihrer Stimme nicht einwirken konnten, das war dagegen die Reaktion vieler der rund vier Millionen Deutschen, die im Ausland leben. Sie zahlen bei uns Steuern; sorgen dafür, dass unsere Produkte in der Welt verkauft werden; oder arbeiten in Botschaften und Konsulaten für deutsche Interessen.  

Alles hängt am Tempo der Post

213.000 Deutsche im Ausland - mehr als je zuvor - hatten sich in ihren ursprünglichen Wohnorten zur Wahl elektronisch oder per Brief registriert, um die Wahlunterlagen zugeschickt zu bekommen. So können sie per Briefwahl mit Erst- und Zweitstimme in ihrem „Heimat“wahlkreis abstimmen. Früher waren die Deutschen im Wahlkreis Berlin-Mitte gepoolt, was dort allerdings irgendwann als Verfälschung des lokalen Wählerwillens wahrgenommen wurde. Jetzt sind die Deutschen im Ausland auf alle 299 Wahlkreise verteilt. 

Soweit der juristische Rahmen ihres Wahlrechts. Damit der Wahlzettel einer bzw. eines Deutschen im Ausland auch tatsächlich bei der Wahl gezählt wird, muss er reisen: hin und zurück vom Wahlamt zum Wähler. Und da hängt alles an der Geschwindigkeit der Post in Deutschland und der Post im jeweiligen Gastland. 

Fristen bei Neuwahl sind zu kurz

Selbst der Wahlbrief unseres Botschafters in London – eigentlich ja um die Ecke – wurde ein Opfer des Postwegs, wie er resigniert postete. Viele tief enttäuschte und teilweise wütende Freunde – „Ich engagiere mich hier im Ausland jeden Tag für unser Land, und dann wird mir auf diese Weise mein höchstes Recht in unserer Demokratie vorenthalten!“ – haben sich bei mir beklagt und dringend angemahnt, dass das nicht nochmal passieren darf. Bei dieser vorgezogenen Wahl war es allerdings ein Wahlausschluss mit Ansage. 

Die im Grundgesetz vorgegebenen Fristen für Wahlen nach einer verlorenen Vertrauensabstimmung sind so verkürzt, dass jede/r wusste, dass es in aller Regel nicht reichen würde, den notwendigen Postweg für den Wahlbrief aus dem Ausland einzuhalten. Das BSW hat nach der Wahl angekündigt, diesen Umstand für eine Verfassungsklage zu nutzen. Angesichts der klaren Terminvorgaben könnte eine Klage allenfalls zur Folge haben, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag aufgibt, eine reale Option für die Ausübung des Wahlrechts im Ausland zu schaffen.

Reform des Wahlrechts dringend nötig

Unsere Gesellschaft verliert sich in unendlichen Debatten, welche Regeln wir für Ausländer/innen in Deutschland aufzustellen haben. Und dabei verlieren wir völlig aus dem Blick, dass wir rund vier Millionen Landsleute haben, die als Ausländer diesen Planeten bevölkern und oft viel für unser Land tun. Es ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie, dass deutsche Staatsangehörige an Wahlen teilnehmen können. Deshalb sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, den Deutschen im Ausland die Teilnahme an unseren Wahlen auch tatsächlich zu ermöglichen.

Die SPD International – gegründet für unsere Mitglieder im Ausland – fordert seit über 20 Jahren eine umfassende Reform des Wahlrechts für Deutsche im Ausland, um endlich eine faire und praktikable Wahlteilnahme zu erreichen. Wahlmodi für die Franzosen, Italiener, Portugiesen im Ausland funktionieren teilweise seit Jahrzehnten. Warum haben ausgerechnet wir als eine der führenden Exportnationen der Welt ein Wahlrecht für Deutsche im Ausland, das weder zeitgemäß noch angemessen für ein Land, das so stark in globale Netzwerke eingebunden ist?

Ein eigener Wahlkreis für Deutsche im Ausland

Selbst wenn die Einführung elektronischer Wahlverfahren angesichts der zunehmenden Cyberkriegsführung aktuell eher verpönt ist: Warum können wir nicht Deutsche in unseren Botschaften und Konsulaten abstimmen lassen? Derzeit schon deswegen nicht banal, weil dort dann Wahlzettel in ausreichender Menge aus allen 299 Bundestagswahlkreisen vorrätig sein müssten. Diese „Verteilung“ der Wählenden aus dem Ausland auf alle Wahlkreise in Deutschland sorgt nebenher dafür, dass kein Parlamentsmitglied sich für ihre Anliegen interessiert.

Aus der beschämenden Erfahrung dieser Wahl sollten wir jetzt eine echte Repräsentation für Deutsche im Ausland angehen. Diese kann durch Anwendung der inländischen Wahlpraxis im Ausland erreicht werden. Deutsche im Ausland sollten in allen unseren Botschaften und Konsulaten mit ihrer Zweitstimme auf einer "17. Liste - Ausland" – neben den 16 Bundesländern – die jeweils bevorzugte Partei wählen können, sodass sie eine direkte politische Vertretung im Bundestag erhalten. Um einen für alle Botschaften und Konsulate einheitlichen Stimmzettel zu bekommen, wird ein zusätzlicher Wahlkreis, der 300., eingerichtet. Mit ihrer Erststimme können Deutsche im Ausland dann so in einem eigenen Wahlkreis wählen. 

Überfällige Reform muss Thema für Koalitionsgespräche sein

Auch die Größe dieses Wahlkreises im Verhältnis zur Größe anderer Wahlkreise in Deutschland passt bei der Zahl derjenigen, die sich in das Wahlregister aus dem Ausland haben eintragen lassen.

Und über ein Parlamentsmitglied mit einem ganz besonderen Wahlkreis (neben dem SSW) würden sich die ca. vier Millionen unserer Landsleute freuen, weil wir ihnen zeigen, dass wir sie wertschätzen, aus ihrer aktuellen Bitterkeit lernen und damit die enge Verbundenheit Deutschlands mit seinen Bürgern weltweit unterstreichen.

Deshalb lasst uns diese überfällige Reform in die Koalitionsgespräche mit der Union, die dafür offen sein dürfte, einbringen und anschließend im Bundestag beschließen.

Autor*in
Martin Nissen

ist Ehrenvorsitzender der SPD International.

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Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Sa., 08.03.2025 - 18:05

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Zuverlässigkeit der Post, was den Briefverkehr angeht, der ja nun ein echter Anachronismus geworden ist. Dänemark stellt die Briefzustellung mit dem Ende dieses Jahre s ein, es lohnt einfach nicht mehr, angesichts der seit Jahren rückläufigen Nutzung der Briefpost. Bei uns entwickelt sich das ähnlich, einstweilen wird nur noch zweimal die Woche zugestellt. Was wir brauchen ist eine technische Lösung für die "Briefwahl"- online per Mail, das ist schnell, sicher und einfach.

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