Sondervermögen für Infrastruktur: Wie es zum Klimaschutz beitragen könnte
In den letzten Monaten wurde viel darüber diskutiert, wie die Wirtschaft angekurbelt werden kann – der Klimaschutz spielte meist nur eine Nebenrolle. Dabei könnte gerade das geplante Sondervermögen für Infrastruktur einen entscheidenden Beitrag leisten, meint das Netzwerk SPD.Klima.Gerecht.
IMAGO/Christian Ohde
Windräder in der Nähe von Hamburg: Erneuerbare Energien leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.
Die Stagnation der Wirtschaft war im Bundestagswahlkampf ein zentrales Thema. Lösungsvorschläge setzten fast nur auf rein quantitatives Wachstum und gingen selten darüber hinaus. Doch endloses Wachstum auf einem endlichen Planeten ist unmöglich.
Warum mehr Wachstum für alle nicht funktioniert
Die Autor*innen des Buches „Earth for All“ belegen: Mehr Wachstum führt dazu, dass zwar vorübergehend einige sehr reiche Menschen, aber langfristig niemals alle Menschen mehr Wohlstand haben. Ziel muss vielmehr sein, den sozialökologischen Strukturwandel zu einer Wohlergehensgesellschaft für alle zu schaffen, und dabei die Grenzen unseres Planeten zu wahren.
Die Grundsatzfrage lautet also: Können Klimaziele, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gleichzeitig erreicht werden, ohne dass es unseren Planeten zerstört? In „Earth for All“ herrscht dazu Einigkeit: Es geht, doch es braucht dazu einen großen Wurf, der Silo-Denken und Silo-Politik überall und auch in deutschen Ministerien überwindet. Modellrechnungen in „Earth for All“ machen deutlich, dass ökologische und soziale Maßnahmen viel stärker zusammengedacht und koordiniert umgesetzt werden müssen. Denn die Realität ist noch immer, dass diejenigen, die wenig verdienen, sich keine gesunde Ernährung leisten können, weder ein Auto haben, noch Fernreisen machen, und oft beengt dort wohnen, wo die Luft schlecht und der Lärm besonders laut ist. Sie tragen also am wenigsten zur Klimazerstörung bei und müssen den höchsten Preis dafür zahlen.
Fünf Kehrtwenden für den Klimaschutz
Hier kann das beschlossene Sondervermögen der neuen Bundesregierung mit 100 Milliarden Euro an Länder und Kommunen ansetzen. Für den großen Wurf braucht es große und mutige Veränderungen und vor allem große Zukunftsinvestitionen. Das Sondervermögen kann einen sektorübergreifenden und ganzheitlichen Grundstein für anhaltende Veränderungen zur Überwindung der derzeitigen multiplen Krisen legen. Es kann Strategien zur gemeinsamen Beantwortung der sozialen und ökologischen Fragen entwickeln und umsetzen.
In „Earth for All“ werden fünf Kehrtwenden für einen grundsätzlichen sozial-ökologischen Umbau hin zu einer Wohlergehensgesellschaft vorgeschlagen. Eine Armutswende zielt darauf ab, Wohlstand gerechter zu verteilen, kommunale Infrastrukturen zu stärken und Teilhabe für alle zu ermöglichen. Die Ungleichheitswende zieht Hochvermögende stärker zur Finanzierung von Maßnahmen heran, die Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgleichen. Die Empowerment-Wende zielt auf eine Wende hin zur Stärkung und Verbesserung der weiblichen Selbstwirksamkeit durch ein funktionierendes Sorgesystem und durch ein durchlässigeres beziehungsweise anspruchsvolleres Bildungssystem.
Eine Wende in der Ernährung ermöglicht eine gute Ernährungskultur für alle, ohne Böden und Natur zu überfordern. Dafür braucht es eine effiziente Landnutzung und nachhaltige Anbausysteme. Die Energiewende zeichnet sich neben dem naturverträglichen Ausbau von erneuerbaren Energien durch Effizienzmaßnahmen und eine Reduzierung von Verschwendung aus. Dafür müssen Lebensstile mit geringem Ressourcenverbrauch politisch gefördert werden und der Ausbau der Erneuerbaren priorisiert und massiv vorangetrieben werden.
Wie die Kommunen das Sondervermögen nutzen können
Die Förderung eben jener angemessenen Lebensstile kann und muss durch eine Stärkung kommunaler Infrastrukturen erreicht werden. Durch eine stärkere Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben profitieren vor allem Haushalte mit geringem Einkommen. Das stärkt die Demokratie und entzieht den Rechtspopulist*innen den Resonanzboden. Das Sondervermögen muss also genau diese Lücken schließen. Laut KfW- Kommunalpanel haben die Kommunen einen Investitionsrückstand von rund 186 Milliarden Euro. Das wirkt sich maßgeblich auf das Funktionieren der öffentlichen Daseinsvorsorge aus und damit auch auf die Gemeinschaft und deren Zusammenhalt.
Klimaschutz geht uns alle an, doch nicht alle haben die Entscheidungsfreiheit und den Handlungsspielraum, sich entsprechend zu verhalten. Für diese Entscheidungsfreiheit muss politisch gesorgt werden, zum Beispiel durch Investitionen in den Öffentlichen Nahverkehr, in den Ausbau von Erneuerbaren Energien, in Gebäudesanierungen (zum Beispiel durch Wärmedämmung oder Heizungstausch) oder auch in die Förderung von ökologischer Landwirtschaft. Das Sondervermögen kann dazu beitragen, dass sich die Verhältnisse verbessern, damit wir uns alle nachhaltiger verhalten können.
Oliver Wagner leitet den Bereich Energiepolitik am Wuppertal-Institut. Peter Hennicke ist Mitglied des Club of Rome.