Russland-„Manifest“ aus der SPD: Warum der Vergleich mit Brandt hinkt
In einem „Manifest“ rufen prominente Sozialdemokrat*innen zu einem anderen Umgang mit Russland auf. Dabei berufen sie sich auf Willy Brandt und seine Entspannungspolitik. Der Blick zurück zeigt jedoch, dass der Vergleich mehr als hinkt.
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Sie verstanden sich gut, blieben aber trotzdem Gegner: Willy Brandt und Leonid Breschnew, im Mai 1978.
Wie lange noch wollen sozialdemokratische Außenpolitiker ihre Strategien aus dem nostalgischen Blick zurück ableiten statt den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden? Das „Manifest“ von Ralf Stegner, Rolf Mützenich und vielen anderen zitiert in der Fußzeile Willy Brandts Diktum von 1981: „Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne Frieden nichts.“ Warum nicht ein anderer berühmter Satz des sozialdemokratischen Vordenkers, nämlich dieser aus dem Jahr 1992: „Besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll“?
Brandt war kein Pazifist
Warum hat Willy Brandt den Satz über den Frieden 1981 formuliert und nicht 1939 oder Anfang der 1960er-Jahre? Weil er 1981 eine passende Antwort auf die aktuelle Lage gab. Damals, auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte, sagte Brandt in einem Interview mit dem „Spiegel“, Moskau sei verhandlungsbereit und Breschnew, der damalige Kreml-Chef, „zittert, wo es um den Weltfrieden geht. Da ist subjektiv überhaupt kein Zweifel“.
Heute würde sich kein ernstzunehmender Politiker zu einer derartigen Aussage über Putin hinreißen lassen. Allein das zeigt schon, wie unhistorisch und unpassend es ist, sich in einer gänzlich anderen Situation auf die Leitlinie Brandts von vor über 40 Jahren zu berufen. Es sei denn, man wollte Brandt zu einem bedingungslosen Pazifisten machen, der er keinesfalls war.
Im Angesicht von Hitlers Aggressionspolitik kam Brandt nicht im entferntesten auf die Idee, dem Frieden den Vorrang vor allem anderen einzuräumen. Und noch 1962, als der Kalte Krieg in vollem Gange war, sagte er an der Harvard University: „Will Moskau für seine Berlin-Ziele einen Krieg führen? Würde diese Frage bejaht, dann würde Moskau seinen Krieg bekommen, und weder die Feigen noch die Mutigen unter uns würden dann den Kreml abhalten können, seinen Krieg zu beginnen. […] Nur die innere Bereitschaft, auch das letzte Risiko einzugehen, kann uns vor der Selbstvernichtung bewahren.“
Putins und Breschnews Vorstellungen unterscheiden sich fundamental
Das „Manifest“ krankt daran, dass es die heutige Lage in Europa mit der vor 40, 50 Jahren gleichsetzt. Es ist schon häufig gesagt worden, aber offenkundig muss es auch jetzt wiederholt werden: Die geostrategischen Vorstellungen von Breschnew und die von Putin sind diametral entgegengesetzt. Von Gorbatschow, dem Gegenüber von Ronald Reagan, soll hier gar nicht die Rede sein, so abgrundtief sind die Unterschiede zu Putin.
Die Sowjetunion war – jedenfalls in Europa – seit den 1950er-Jahren eine Status-quo-Macht, anders als Putins Russland. Die Einflusssphäre zu sichern und sie international anerkannt zu bekommen, war in dieser Zeit die Leitlinie der sowjetischen Außenpolitik. Von Expansionismus war keine Rede, selbst die Förderung kommunistischer Revolutionen in den hochindustrialisierten Ländern des Westens stand nicht mehr auf der Tagesordnung. Aus dem „Sozialismus in einem Land“ war der „Sozialismus in einem Block“ geworden. Nur auf dieser Grundlage war die Entspannungspolitik von Willy Brandt möglich.
Dennoch verließ sich der Westen, verließ sich auch Brandt nicht darauf, dass die Sowjetunion dem Expansionismus abgeschworen hatte. Auch ohne eine konkrete Bedrohung aus dem Osten und selbst nach dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses auf persönlicher Ebene zwischen östlichen und westlichen Führern blieb es bei dem Prinzip: Die Verteidigungsfähigkeit wird nicht reduziert.
Krieg statt Frieden ist Putins Option
Wo die historische Analyse unzutreffend ist, sind fehlerhafte Schlussfolgerungen nicht weit. „Gemeinsame Sicherheit“ mit der Sowjetunion beziehungsweise Russland setzt den von beiden Seiten geteilten Willen zum Frieden voraus. Den gab es in den späten 1980er-Jahren, den gibt es heute nicht.
Auch die Forderung, heute gegenüber Putin mehr Diplomatie zu wagen, kann sich schwerlich auf die Erfahrungen der Ostpolitik berufen. Und ebenso wenig auf die Entwicklungen der letzten Monate. Putin hat gerade in den letzten Wochen demonstriert, dass ihm an Gesprächen nicht gelegen ist. Weder Trumps Angebot eines zweiten „München 1938“ (damals lieferte man die Tschechoslowakei an Hitler aus, heute sollte es die Ukraine sein) noch der europäische Vorschlag einer 30-tägigen Waffenruhe stieß in Moskau auf Gegenliebe.
Putin sieht sich auf dem Vormarsch, Krieg statt Frieden ist seine Option. Heute und auf absehbare Zeit kann es nur Sicherheit gegen, nicht mit Russland geben.
Naiv, blind und in der Vergangenheit gefangen
Ohne Firepower, darum ging es Mützenich ja immer, können er und seine Russlandversteher (sie verstehen es nicht, behaupten es nur) mit der Putinpartei (mir egal wie sie heisst) eine neue DDR aufziehen, gesamtdeutsch diesmal. Da ist mir die CDU lieber. jetzt wo USA raus sind, sie sind es, duckt man sich vor Angst, wie Sarah u. die linken, die sind dann sicher dabei die neue SED zu günden. Vielleicht bekommt man in Moskau mehr macht zugestanden als die afd. Die Grünen haben mehr Standvermögen. Diesen Leuten und anderen haben wir es zu verdanken, dass wir nicht gut gerüstet sind. Natürlich kann man den Krieg gegen Russland gewinnen, die Ukrainer tun das jeden Tag - schlecht informiert oder wie? Nur Abschreckung hilft, sonst gibt es Krieg mit Russland! Fragen sie die Militärs, die sind vom Fach u. wollen noch weniger Krieg als Sie.
Manifest
Wie kann man die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr derartig geschichtslos zerfleddern wie ihr es in eurem Artikel tut? Nur um Kriegsrhetorik und Kriegsvorbereitung zu rechtfertigen. Das ist infam und widerlich. Bin seit 50 Jahren Parteimitglied, sowas habe ich noch nicht erlebt.
Diese Manifestautoren
fügen der SPD Schaden zu. Keine aller möglichen oder denkbaren Beweggründe kann ich nachvollziehen oder akzeptieren und die historischen Bezüge greifen komplett ins Leere. Kontaktaufnahme, ja. aber hierhin: https://khodorkovsky.com/
David Gehle, Mitglied OV Freiburg