Gescheiterte Legalisierung von Abtreibungen: Eine historische Chance verschenkt
Das Vorhaben, frühe Abtreibungen zu legalisieren, scheitert, noch bevor es zur Abstimmung kommen kann. Dabei wäre ein Großteil der Bevölkerung dafür. Eine wohlmöglich einmalige Chance wurde damit vertan.
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Rund 80 Prozent der Deutschen befürworten eine Entkriminalisierung von Abtreibungen - der entsprechende Antrag im Bundestag scheiterte trotzdem.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland im Paragraf 218 des Strafgesetzes geregelt. Dort steht: sie bleiben in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft straffrei, wenn sich die Frau zuvor beraten lässt. Rechtswidrig sind sie trotzdem. Über 150 Jahre ist dieser Paragraf alt, ein Relikt aus der Kaiserzeit, wenn man so will. Er gilt als eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa, gestritten wird um ihn seit Jahrzehnten. Die ehemalige Ampel-Regierung hatte daher 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Kommission einzusetzen, um eine mögliche Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches zu prüfen.
Drei Jahre später, im April 2024, veröffentlichte ebendiese Kommission ihre Empfehlung: Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft gehören nicht ins Strafgesetzbuch, das sei weder mit dem Verfassungsrecht noch mit dem Völkerrecht, und auch nicht mit dem Europarecht vereinbar. Parallel dazu führte das Bundesfamilienministerium eine bundesweite Umfrage rund um das Thema Abtreibung durch. Das Ergebnis: Rund 80 Prozent der Befragten waren dafür, Abtreibungen zu entkriminalisieren. Der Handlungsauftrag an den Bundestag schien damit mehr als deutlich. Einer Legalisierung von Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft stand nichts mehr im Weg, oder nicht?
FDP blockiert eigenes Wahlversprechen
Leider muss man an dieser Stelle sagen: Zu früh gefreut. Denn zunächst können sich SPD, Grünen und FDP nicht einigen. Als dann im November 2024 die Ampel-Koalition zerbricht, startet eine Gruppe von Abgeordneten aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken einen Vorstoß. 328 Unterschriften finden sich am Ende auf dem Antrag, der wenig, aber Entscheidendes an der bisherigen Regelung ändern will: Die Zwölf-Wochen-Frist sollte bleiben, auch die Pflicht zur Beratung – doch der Paragraf sollte endlich aus dem Strafgesetzbuch raus. Die Aussichten auf eine Mehrheit waren durchaus realistisch, denn zusätzlich hatten auch Abgeordnete der FDP und des BSW ihre Zustimmung signalisiert.
Seit Montag ist nun klar: Der Vorstoß ist vorerst gescheitert. Denn für die Abstimmung wäre kurz vor der Wahl noch eine Sondersitzung des Rechtsausschusses nötig gewesen. Doch hier gab es Widerstand von CDU/CSU und der FDP, ohne deren Stimmen es im Rechtsausschuss möglicherweise eine „Zufallsmehrheit mit der AfD“ gegeben hätte, um den Entwurf zur Abstimmung zu bringen. „Diese rote Linie überschreiten wir nicht“, erklärten die frauenpolitischen Sprecherinnen von SPD und Grüne in ihrem Statement.
Dass die Union dem Antrag nicht zustimmen wollte, dürfte kaum überraschen – schließlich steht schon in ihrem Wahlprogramm kurz und knapp: „Paragraf 218 bleibt“. Anders verhält es sich jedoch bei den Freien Demokraten. Denn die fordern in ihrem Wahlprogramm sogar, dass eine Reform der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch „im Wege von sogenannten fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen mit Gewissensfreiheit für jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten im nächsten Deutschen Bundestag beraten werden“ soll. Also genau das, was nun geschehen wäre – hätte die FDP es nicht mit verhindert.
Politik gegen gesellschaftliche Mehrheit und wissenschaftliche Fakten
Die Abstimmung über eine Entkriminalisierung von Abtreibungen in die nächste Legislaturperiode zu „verschieben“, ignoriert jedoch nicht nur den Willen einer überwältigenden gesellschaftlichen Mehrheit und die wissenschaftlichen Fakten. Sie verkennt auch die Realität: Wenn sich der nächste Bundestag so zusammensetzt, wie es aktuelle Umfragen befürchten lassen, wird es schlichtweg keine Mehrheit mehr für dieses Thema geben. Denn Union und AfD sind grundsätzlich dagegen.
Die Streichung von Paragraf 218 ist damit wohl gegen den Willen von mehr als zwei Drittel der deutschen Bevölkerung vom Tisch. Dabei wäre sie längst überfällig gewesen.
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