Kultur

„vorwärts“-Journalist Robert Grötzsch: vertrieben, vergessen und wiederentdeckt

Als Journalist warnte Robert Grötzsch auch im „vorwärts“ vor den Nationalsozialisten und musste deshalb aus Deutschland fliehen. Im Exil schrieb er dann Romane. Ein sehr bemerkenswerter erscheint nun in einer Neuauflage.

Porträt von Robert Grötzsch im Anzug und mit Brille.

Mit spitzer Feder gegen die Nazis: Journalist und Roman-Autor Robert Grötzsch.

Über diese Stolpersteine stolpert niemand einfach so. Verwittert, schmutzig, grau verschwinden die metallenen Gedenkplatten in der Gehwegpflasterung vor dem Gründerzeithaus in der Dresdner Ankerstraße Nummer 7. Wer wissen will, an wen hier erinnert wird, muss ganz tief in die Hocke gehen und hat trotzdem noch seine Mühen beim Entziffern: „Hier wohnte Robert Grötzsch, Jahrgang 1882. Im Widerstand/SPD Flucht 1933 Tschechoslowakei Frankreich Portugal 1941 USA“. Daneben liegt der Stolperstein von Hedwig Grötzsch, seiner Frau, 1936 aus Deutschland geflohen.

Nachdem die deutsche Rechte Hitler und seiner NSDAP die Republik opferte, musste Grötzsch außer Landes fliehen. Nach Deutschland kam er nie wieder zurück. Grötzsch starb 1946 in der Emigration in den USA, nicht einmal ein Jahr nachdem Europa vom Nationalsozialismus befreit worden war. Und mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, dem Wiederaufbau im Westen und im Osten, verschwand die Erinnerung an Robert Grötzsch, an den Sozialdemokraten, den Antifaschisten, den Journalisten und Schriftsteller aus Dresden.

Robert Grötzsch: Sozialdemokrat, Antifaschist, Journalist

Dabei hatte Grötzsch viele Spuren hinterlassen, in Dresden während der Weimarer Republik und danach in ganz Europa. Er schrieb viel und sehr engagiert Leitartikel und Feuilletons in der „Dresdner Volkszeitung“ – mit heißem Herzen für die von vielen Deutschen so ungeliebte Republik. Und dann gegen die Nazis, als es noch ging, in Dresden, später aus Prag, Paris und New York in deutschen Emigranten-Blättern, auch und regelmäßig für den im Exil herausgegebenen „Neuen Vorwärts“.

Doch so sehr Grötzsch auch für engagierten Journalismus brannte, seine Liebe und Zuneigung galt der Literatur. Kinderbücher hat er geschrieben – über eine bessere gerechtere Welt, über den Sozialismus, Theaterstücke, Komödien über Kleinbürger und Reporter, die die Bühnen der Weimarer Republik eroberten und Romane. Ein Roman heißt „Wir suchen ein Land“, die Geschichte von antifaschistischen Emigranten aus Deutschland, die trotz allem ihr Land nicht kampflos den Nazis überlassen wollen. 1936 wurde das Buch veröffentlicht, in Bratislava, dann wurde es vergessen, wie sein Autor.

Grötzschs Exilroman als Momentaufnahme

„Wo vor kurzem noch fröhliches Volk hinterm Ball drein fegte, flogen hundert imitierte Handgranaten durch die Luft, stand bewaffnete SA stumpfsinnig Wache. Dieselben jungen Sportler, deren Brüder diesen Platz der Vorstadtwildnis abgerungen hatten, wurden hier zwangsweise im Töten gedrillt. Nicht alle waren dabei. Manche wurden vom Konzentrationslager verschluckt. Denn sie waren ja – wie man täglich im Rundfunk hören konnte — rote Untermenschen, töteten jeden Gemeinschaftsgeist, ermangelten jeden Gefühls für die Heimat und der Arbeit an der Heimat“, schreibt Grötzsch in seinem Roman.

Das Buch unterscheidet sich von bekannter antifaschistischer Exilliteratur. „Arc de Triomphe“ von Erich Maria Remarque, „Exil“ von Lion Feuchtwanger oder „Transit“ von Anna Seghers sind komplexe, filigrane Romane, oft über Jahre oder mit zeitlichem Abstand entstanden. Grötzsch schuf eine Momentaufnahme. Er schrieb hastig und konkret – von den Nazis als „Asphaltliteratur“ gehasst und verfolgt. Das macht ihn modern und aktuell: Es ist ein antifaschistisches Bekenntnis aus der republikanischen Mitte der Gesellschaft.

Flucht vor den Nazis über Prag und Paris in die USA

Robert Grötzsch wurde am 10. März 1882 in Naunhof bei Leipzig geboren, in ein Deutschland, das nun schon mehr als ein Jahrzehnt ein geeintes Kaiserreich war, und mit preußisch-strenger Hand vom Sozialistenfresser Otto von Bismarck als Reichskanzler geführt wurde. Nachdem Grötzsch eine Lehre als Klempner abgeschlossen hatte, ging er auf Wanderschaft und wurde Sozialist. Nun war ihm klar, was er wollte: für die Gesellschaft zielstrebig dem Morgenrot entgegen und auch für sich schreiben, bis die Finger wund werden. 1906 wurde er Redakteur der „Sächsischen Arbeiterzeitung“.

13 Jahre später – der Kaiser war weg, die Monarchie gestürzt, Europa blutgetränkt vom ersten, industriell geführten Weltkrieg – hieß die Sächsische Arbeiterzeitung „Dresdner Volkszeitung“ und ihr Chefredakteur Robert Grötzsch. Er wollte für das neue Deutschland einen demokratischen Sozialismus, keine Diktatur des Proletariats. Schließlich stimmten immer mehr Deutsche bei Wahlen für Adolf Hitler und seine NSDAP. Grötzsch warnte immer wieder in den Spalten der „Dresdner Volkszeitung“ vor dem, was nun kommen würde. Und als die Nazis an der Macht waren, musste Grötzsch ganz schnell weg aus Deutschland.

Ihm gelang die Flucht, erst nach Prag, dann nach Paris. Und als der Zweite Weltkrieg begann, teilte er das Schicksal von vielen deutschen Emigranten. Gemeinsam mit seiner Frau Hedwig gelang ihm schließlich die Flucht in die USA – via Marseille und Lissabon und mit Visa, die von US-amerikanischen Gewerkschaften organisiert wurden. Doch Grötzsch wusste, dass damit der Kampf für ihn nicht zu Ende sein würde. Bereits in seinem Emigrantenroman „Wir suchen ein Land“ aus dem Jahre 1936 heißt es: „Es gibt keine Flucht ins Idyll, Europa ist überall.“ 

 

Robert Grötzsch: „Wir suchen ein Land - Roman einer Emigration“, Hrsg.: Maik Baumgärtner, Andreas Wassermann, Edition Überland (Leipzig) Vorzugspreis für Vorbesteller, über den Buchhandel oder online: 19,00 € (bis 30.09.2025) 
ISBN 978-3-948049-33-1

Autor*in
Maik Baumgärtner

schreibt für den „Spiegel“ vor allem zu Sicherheitsthemen.
 

Autor*in
Andreas Wassermann

arbeitete für die „Leipziger Volkszeitung“ und anschließend für den „Spiegel“.

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