Hilda Monte: Journalistin und Agentin gegen den Nationalsozialismus
Eigentlich hieß sie Hilde Meisel und floh 1933 vor den Nazis nach England. Von dort aus kämpfte sie als Hilde Monte gegen die NS-Diktatur. Ihr unermüdliches Engagement kostete der überzeugten Sozialistin vor knapp 80 Jahren das Leben.
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Kämpfte als Agentin des britischen Geheimdienstes gegen die Nationalsozialisten: Hilda Monte
Am Vormittag des 17. April 1945 wird der Leichnam einer jungen Frau in die Liebfrauenkirche in Feldkirch im Vorarlberg gebracht, wo er von zwei Militärärzten untersucht wird. Ausweislich ihrer Papiere heißt sie „Eva Schneider“ und war Kontoristin im „Reichspropagandaministerium“.
Wenig später wird sie auf dem evangelischen Friedhof in Feldkirch beerdigt, weil die Behörden sie für eine Protestantin halten. Erst zwei Jahre später kann der sozialdemokratische, österreichische Nationalrat Anton Linder nach aufwendigen Recherchen zu den Umständen ihres Todes ihre wahre Identität klären: Sie hieß Hilde Meisel, war britische Staatsbürgerin deutsch-jüdischer Herkunft und in sozialistischen Exilkreisen bekannt als „Hilda Monte“.
Im Auftrag des britischen Geheimdienstes unterwegs
Im Vorarlberg ist sie in jenen Apriltagen als Kurierin im Auftrag des britischen Geheimdienstes unterwegs, um Materialien aus der Schweiz an österreichische Widerstandskämpfer*innen zu überbringen. Sie weiß, dass ihre Mission gefährlich ist, aber sie ist erfahren und meint das Risiko richtig einzuschätzen, zumal sie einen Rückweg wählt, der bis dahin schon häufiger von Kurierinnen ohne Probleme beschritten worden ist. An diesem 17. April kommt es — gut 100 Meter vor der Grenze zwischen Österreich und Liechtenstein — jedoch zur Katastrophe: Am frühen Morgen wird Hilda Monte von einem Zollbeamten vor dem Grenzübertritt gestellt und kurz darauf bei einem „Fluchtversuch“ erschossen.
Das kurze, intensive Leben der Hilda Monte beginnt kurz vor dem 1. Weltkrieg in Wien, wo sie am 31. Juli 1914 als zweite Tochter eines slowakischen Juden und einer westpreußischen Jüdin geboren wird. Schon im Jahr darauf zieht die Familie nach Berlin. Die Eltern können sich mit einem Im- und Exportgeschäft für Haushaltswaren bürgerlich etablieren.
1933: Flucht nach England
Hilde wächst wohl behütet auf, denn wegen einer Erkrankung der Schilddrüse bedarf sie als Kind besonderer Pflege. Immer wieder reist sie mit ihrer Mutter zur Kur in die Schweiz. Nach der Grundschule besucht sie ab 1924 die Cecilienschule in Berlin-Wilmersdorf. Dass sich Hilde schon früh für Politik interessiert, ist dem Vorbild ihrer älteren Schwester Margot zu verdanken, die seit 1924 Mitglied des „Jung Jüdischen Wanderbundes“ ist und dort dem linkssozialistischen „Schwarzen Haufen“ (SH) angehört. Auch Hilde schließt sich diesem „Haufen“ an und schafft sich dort die Grundlagen für ein Netzwerk, das ihr kurzes Leben lang Bestand haben wird. Zu den führenden Köpfen des SH gehören der Schriftsteller Max Fürst, Margot Meisels späterer Ehemann, und der Jurist Hans Litten.
1929 schließt sich Hilde Meisel dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) an, einer links von der SPD stehenden ethisch-radikalsozialistischen Vereinigung. Auch hier erweitert sie ihren Horizont und ihren Bekanntenkreis. Ohne Schulabschluss wird sie 1932 Redakteurin der ISK-Tageszeitung „Der Funke“ und darf als Korrespondentin aus Paris über die ökonomischen Probleme Frankreichs, Englands und Spaniens berichten. Da sie die Machtübertragung an die Nazis erwartet hat, flieht sie 1933 nach England — wissend, dass sie viele kampfbereite Genoss*innen zurücklassen würde. Als Jüdin und Sozialistin bleibt ihr jedoch keine andere Wahl. In der Londoner Exilgruppe des ISK findet sie ihr politisches Zuhause wieder. Kurzzeitig studiert Hilde an der „London School of Economics“ Nationalökonomie.
Hilde Meisel wird „Hilda Monte“
Ab 1934 wendet sich Hilde ganz der journalistischen Arbeit zu und nimmt ihr Pseudonym „Hilda Monte“ an. Bis 1938 schreibt sie regelmäßig in der „Sozialistischen Warte“, der Londoner ISK-Publikation, vor allem über internationale Wirtschaftsfragen. Immer wieder gelingt es ihr in jenen Jahren, illegal nach Deutschland zu reisen und verbliebene ISK-Kader mit Informationen zu versorgen. Internationales Aufsehen erlangt sie, als sie auf Bitten ihrer Schwester Margot am 26. Januar 1938 im „Manchester Guardian“ einen Aufruf mit dem Titel „In Dachau Camp. The Tragic Case of Hans Litten“ veröffentlicht. Der Aufruf und alle begleitenden internationalen Aktionen bleiben folgenlos. Rechtsanwalt Hans Litten, der als Gegner des NZ-Regimes und „Anwalt des Proletariats“ bekannt war, erhängt sich in den Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1938, nachdem die Nazis ihn jahrelang in Konzentrationslagern brutal quälten.
Seit ihrer Scheinehe mit dem anarchistischen Künstler John Olday besitzt Hilda Monte die britische Staatsbürgerschaft und umgeht so die Gefahr, angesichts der wachsenden faschistischen Bedrohung als feindliche Ausländerin ausgewiesen zu werden. Sie kann sich zwar fortan politisch frei bewegen, aber diese Freiheit muss sie 1939 für sich neu definieren, nachdem sie zusammen mit Fritz Eberhard und anderen Radikalen im Streit über Methoden des antifaschistischen Widerstands aus der Londoner ISK-Gruppe ausgetreten ist. Es beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Fritz Eberhard, dem späteren ersten Intendanten des Süddeutschen Rundfunks. 1940 veröffentlichen beide das Buch „How to conquer Hitler — A Plan of Economic and Moral Warfare of the Nazis Front“, das sich mit den Auswirkungen der Nazi-Propaganda auf die deutsche Bevölkerung auseinandersetzt.
Journalistin und Buchautorin
Am 7. Oktober 1940 erhebt sich in London eine neue Stimme und verkündet: „Hier spricht der Sender Europäische Revolution! Wir sprechen für alle, die zum Schweigen verdammt sind! Wir rufen die Massen zur politischen und sozialen Revolution! Wir kämpfen für ein Europa des Friedens!“ An diesem Sender, der auf eine Initiative des ehemaligen Gewerkschaftssekretärs Walter Auerbach hin entstanden ist, beteiligen sich auch Hilda Monte und Fritz Eberhard mit Rundfunkbeiträgen. Nebenbei wirkt Hilda Monte am deutschsprachigen Programm der BBC mit, das einen klar definierten erzieherischen Auftrag hat. Im Dezember 1942 berichtet sie: „Was heute in Polen geschieht: die kaltblütige Ausrottung des jüdischen Volkes, das geschieht in Ihrem Namen, im Namen des deutschen Volkes.“
Gemeinsam mit Walter Auerbach und Fritz Eberhard plant Hilda Monte Anfang 1943 ein Buch über „The Next Germany. A Basis of Discussion on Peace in Europe“. Nach einem Streit trennt sich Hilda Monte von diesem Projekt und beginnt eigenständig mit dem Buch „The Unity of Europe“, in dem sie für die Bildung eines föderalen Europa, die Schaffung einer Zentralbank und letztlich sogar für eine europäische Staatsbürgerschaft eintritt. Das Buch wird mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren ein großer Erfolg.
Das Ende als Agentin
Im Sommer 1944 beginnt in einem kleinen Privathaus außerhalb Londons die letzte Etappe auf Hilda Montes Lebensweg. Sie wird vom britischen Militärgeheimdienst OSS als Agentin für die Arbeit in nationalsozialistisch besetzten Gebieten vorbereitet. Über Thonon-les-Bains am Genfer See gelangt sie im Oktober 1944 in die Schweiz. In Absprache mit dem OSS und österreichischen Sozialisten tritt sie Anfang April 1945 ihre letzte Reise an. Am frühen Morgen des 17. April wird die Stimme dieser großen Kämpferin gegen das Unrecht zum Verstummen gebracht. „Sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee“, ist auf ihrem Grabstein in Feldkirch zu lesen.