Kultur

„Die Wärterin“: Drastisches Kinodrama zur Moral hinter Gittern

Eine Justizbeamtin lässt sich auf ein Psycho-Duell mit einem Schwerverbrecher ein: Das dänisch-schwedische Kinodrama „Die Wärterin“ bietet verstörende Szenen und betrachtet grundlegende Fragen zum Umgang mit Strafgefangenen. Mit einer überragenden Hauptdarstellerin Sidse Babett Knudsen.

von Nils Michaelis · 21. Februar 2025
Die Wärterin Sidse Babett Knudsen

Zwischen Gefängnisaufseherin Eva (Sidse Babett Knudsen) und Häftling Mikkel (Sebastian Bull) entwickelt sich eine heikle Dynamik.

Ein neuer Häftling ist eingetroffen. Als Gefängnisaufseherin Eva erfährt, dass es sich um Schwerverbrecher Mikkel handelt, gefriert ihr Gesicht zu einem Abbild blanken Entsetzens. Nach ein paar Sekunden fängt sie sich wieder und wirkt so stoisch wie zuvor. Eva hat einen Plan und setzt ihn prompt in die Tat um: Sie lässt sich in den Hochsicherheitstrakt versetzen. Dort soll Mikkel für die nächsten Jahre einsitzen. Es riecht nach einem Rachefeldzug. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Zwischen dem jungen Mann und Eva nimmt ein gefährliches Duell seinen Lauf.

Der klaustrophobische Rahmen einer Haftanstalt

„Die Wärterin“ spielt fast komplett hinter Gittern, ist aber alles andere als ein gewöhnlicher Gefängnisthriller. Der schwedisch-dänische Regisseur Gustav Möller („The Guilty“) nutzt den klaustrophobischen Rahmen einer Haftanstalt, um komplexe psychologische und moralische Zusammenhänge zu ergründen und gesellschafspolitische Fragen in den Raum zu stellen.

Grundlage all dessen ist die Geschichte von Eva und Mikkel. Scheinbar zufällig treffen die beiden zwischen den grauen Betonmauern aufeinander. Doch mit der Zeit wird deutlich, dass sie ein Vorfall in der Vergangenheit miteinander verbindet. Das hat unabsehbare Folgen für die Dynamik zwischen ihnen.

Bisher glaubte Eva an das Gute im Menschen. Die Gefangenen ließ sie das spüren. Bei Mikkel dreht sie den Spieß um und drangsaliert ihn, wo sie kann. Weil sie dabei Vorschriften verletzt, gerät sie in Abhängigkeit von ihm. Schließlich könnte er sie anschwärzen und Eva, die mütterliche Gefühle für ihren ebenso kindlichen wie brutalen „Schützling“ zu entwickeln scheint, dadurch ebenfalls im Knast landen. 

Zwischen Anziehung und Ablehnung

Es entsteht ein merkwürdiges Verhältnis, in dem beide ihre Macht über ihren Gegenpart demonstrieren. Wie ein roter Faden zieht sich ein Wechselspiel zwischen Ablehnung und Anziehung durch die Szenen. Und man ahnt: Das kann nicht gut enden.

Dieses zwischen Nähe und Eskalation mäandernde Drama lebt von der eindringlichen Form, zu der die Hauptdarsteller*innen Sidse Babett Knudsen (Eva) und Sebastian Bull (Mikkel) dank eines sowohl geradlinigen als auch subtilen Drehbuchs und einer großartigen Regieleistung auflaufen. 

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Beide Figuren werden gewissermaßen entschlüsselt und offenbaren Dinge, die ihnen anfangs niemand zugetraut hätte: sei es nun Evas Brutalität oder Mikkels Verletzlichkeit. Knudsen, unter anderem bekannt aus preisgekrönten Serien wie „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ und „Westworld“, beweist nicht nur durch ihre zurückgenommene, aber ausdrucksstarke Mimik einmal mehr, warum sie zu den renommiertesten Darsteller*innen dieser Zeit zählt. Und Nachwuchsdarsteller Bull erweist sich als wahre Entdeckung.

Im Grunde sind hier alle Gefangene 

Aber auch das Szenenbild leistet seinen Teil. Gedreht wurde unter anderem in einer verlassenen Haftanstalt am Stadtrand von Kopenhagen. In meist engen und sparsam ausgeleuchteten Bildausschnitten zeigt sich die Verlorenheit eines Menschen in dieser organisierten und streng reglementierten Eintönigkeit. Und damit sind nicht nur jene gemeint, die dort gegen ihren Willen ihr Dasein fristen. 

Zwischendurch wird der Fokus erweitert, doch am Gesamteindruck ändert sich dadurch wenig: Im Grunde sind hier alle Gefangene und einem System willkürlicher Macht ausgeliefert.

Vor einer denkbar realistisch inszenierten Kulisse erzählt „Die Wärterin“ eine Geschichte, die wegen ihrer extremen Wendungen (oder wegen ihrer Wendungen ins Extreme) letztendlich den Rahmen des Realismus sprengt. Und doch schwingen hier viele Fragen mit, die viel mit dem echten Leben zu tun haben. 

Wie viel Platz hat der Mensch in den Strukturen der Justiz?

Etwa die Fraa, welche Art der Zuwendung junge Menschen brauchen, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Was verstehen wir unter einem menschlichen Strafvollzug? Vor allem bei Insassen, die in ihrem bisherigen Leben das Gegenteil von Menschlichkeit bewiesen haben? Und wie viel Platz haben menschliche Befindlichkeiten überhaupt in den Strukturen der Justiz?

Regisseur Möller formuliert es so: „Sind wir rationale oder emotionale Wesen? Glauben wir wirklich an Rehabilitation und Vergebung? Oder bevorzugen wir doch Vergeltung und Strafe?“ Seiner Meinung nach versucht sich das Justizsystem in europäischen Ländern an beiden Kategorien: noch so ein Konflikt, der das Geschehen in „Die Wärterin“ befeuert.

Möllers Film, der vergangenes Jahr im Wettbewerb der „Berlinale“ lief, liefert keine endgültigen Antworten auf diese Fragen. Stattdessen ist „Die Wärterin“ eine eindringliche und verstörende Annährung. Und gerade deswegen so berührend.

„Die Wärterin“ (Dänemark, Schweden 2024), Regie: Gustav Möller, Drehbuch; Gustav Möller und Emil Nygaard Albertsen, mit Sidse Babett Knudsen, Sebastian Bull, Dar Salim, Marina Bouras u.a., 99 Minuten, ab 16 Jahre.

Im Kino. Weitere Infos unter 24-bilder.de

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