Kultur

„Die Vision der Claudia Andujar“: Wie eine Fotografin zur Aktivistin wurde

Ein Leben im Dienste indigener Brasilianer*innen: Der Dokumentarfilm „Die Vision der Claudia Andujar“ stellt die Menschenrechtlerin und Fotografin Claudia Andujar vor. Und er zeigt, wie andere ihre Arbeit fortsetzen.

von Nils Michaelis · 10. Mai 2024
Die Vision der Claudia

Im Dauereinsatz für die Interessen der Yanomami in Brasilien: Porträt von Claudia Andujar in London. 

Der wirtschaftliche Aufstieg Brasiliens seit den 1970er-Jahren ging zulasten der indigenen Völker. Die Gier nach Rohstoffen hatte zur Folge, dass ihr Lebensraum zerstört und immer mehr eingeschränkt wurde. Dass die Weltöffentlichkeit davon erfuhr, ist auch das Verdienst der Aktivistin und Fotografin Claudia Andujar.

„Staatsfeindin“, „Kämpferin“ oder „Mutter der Yanomami“, der größten indigenen Volksgruppe im Amazonas-Gebiet: Im Laufe ihres bald 93 Jahre währenden Lebens hat Claudia Andujar viele Zuschreibungen erfahren. Der Film von Heidi Specogna beleuchtet nicht nur die öffentliche Figur, sondern auch die Motive, die die schweizerisch-brasilianische Protagonistin bis heute antreibt. Er zeigt, wie eng Familiengeschichte, Kunst und gesellschaftspolitisches Engagement bei ihr miteinander verwoben sind. 

Mit Fotos fing alles an: Ab den 70er-Jahren reist Claudia Andujar immer wieder zu den Yanomami in den Regenwald. Sie erkundet ihr Leben und schafft intensive, weltweit ausgestellte Schwarz-Weiß-Porträts von Dorfbewohner*innen. Zwei Jahre verbringt sie komplett bei der Volksgruppe, die bis dahin weitgehend von der Außenwelt isoliert gelebt hat. 

Im Konflikt mit den Militärs

Damit ist es nun vorbei. Ab 1978 treibt Brasiliens Regierung den Bau von Straßen voran. Claudia Andujar startet eine Kampagne für ein zusammenhängendes Schutzgebiet für die Yanomami und gründet eine Hilfsorganisation. Ihr Einsatz bringt Konflikte mit der Militärjunta, aber auch Reisen um die Welt mit sich. 

Auch künstlerisch bleibt sie am Ball: Mit der Kamera dokumentiert Claudia Andujar die Zerstörung und Verdrängung indigenen Lebens im Regenwald. Im Zuge einer Impfaktion entsteht eine weitere Porträtserie. Die besonders eindringlichen Aufnahmen zeigen Menschen, die geimpft wurden und nun eine Karte mit einer Nummer an sich tragen.

Menschen mit Nummern: Für die Fotografin hat dieses Motiv eine ganz besondere Bedeutung, wie sie gut 40 Jahre später berichtet. Es ist ein Symbol des Lebens. Ganz anders als die Bilder aus ihrer Kindheit, die sie bis heute verfolgen. Als ebenfalls durchnummerierte jüdische Frauen, Männer und Kinder in deutsche Todeslager deportiert wurden. So wie die Familie ihres Vaters, die fast komplett im Holocaust ausgelöscht wurde.

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An diesem Punkt kreuzen sich zentrale Stränge: Die Geschichte einer Frau, die es als Kind nach Rumänien verschlägt, nach dem Zweiten Weltkrieg völlig entwurzelt ist und nach ihrer Ausbildung in den USA als Bildjournalistin in Brasilien landet. Ihr kreatives Schaffen, das immer auch ein Ausdruck von und der Einsatz für Humanität ist. Und eben das Engagement, das weit über das Fotografieren hinausgeht. 

All das resultiert letztendlich aus ihrer tiefen Verbundenheit mit den Yanomami. „Bei ihnen habe ich etwas gefunden, das für das Leben steht“, sagt Claudia Andujar. „Danach habe ich immer gesucht.“

In ruhigem Fluss und größtenteils chronologisch führt uns Heidi Specogna durch ein in weiten Teilen rastloses Leben. Zunächst bilden vor allem jene Fotoserien atmosphärisch wie inhaltlich einen roten Faden. Mit der Erweiterung von Claudia Andujars Wirken wird auch der Blick erweitert, werden die Umweltzerstörung, das Leid der Yanomami, aber auch die globale Lobbyarbeit für die Indigenen in bewegten Bildern eingefangen. 

Eine außergewöhnliche Biografie

Möglicherweise hätte die Erzählung mehr Brüche und Dynamik vertragen. Wohl aber ermöglicht die Schweizer Filmemacherin, die für ihren Dokumentarfilm „Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, tiefe und berührende Einblicke in die Genese eines außergewöhnlichen künstlerischen und humanitären Schaffens.

Der Film belässt es aber nicht bei dem Blick auf jene Frau, die wegen ihres Einsatzes für die Landrechte der Yanomami vor sechs Jahren in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wurde. Heidi Specogna zeigt, wie nachwachsende Generationen der Yanomami den Kampf fortsetzen. 

Dieser richtet sich vor allem darauf, innerhalb von Grenzen zu leben, deren Schutz nicht nur auf dem Papier steht. Wir begegnen jungen Frauen, die sich mit kreativem Protest Goldgräber*innen und Holzfäller*innen entgegenstellen und ihre Aktionen in Filmen festhalten. Diese finden weit über die Community hinaus ein Publikum. Eines von mehreren Beispielen dafür, dass dieser Blick auf Brasiliens dunkle Seiten auch Raum für Hoffnung lässt.

„Die Vision der Claudia Andujar“ (Deutschland, Schweiz 2024), ein Film von Heidi Specogna, mit Claudia Andujar u.a., 88 Minuten, ab zwölf Jahre.

www.wfilm.de

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