Demokratie verteidigen: Warum die Kulturpolitik der SPD so wichtig ist
Die Freundschaft zwischen Willy Brandt und Günter Grass ist nur ein Beispiel. Sozialdemokratische Politik hat immer den Kontakt zu Künstler*innen gesucht. Doch gerade in diesen Tagen der Krise wird die Kulturpolitik zu einer wichtigen politischen Aufgaben.
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Günter Grass und Willy Brandt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Hamburg vor der Bundestagswahl 1976
Das Miteinander mit Künstler*innen prägt die lange Geschichte der SPD von Anfang an. Die Partei war immer dann am stärksten, wenn sie sich der Irritation und der Inspiration durch die Künste geöffnet hat. Denn natürlich hängt der Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität untrennbar zusammen mit der Idee einer besseren Gesellschaft, die es in der Zukunft zu erreichen gilt. Die Fantasie und die Kreativität, die es braucht, um sich dieses Ziel überhaupt vorstellen zu können, finden sich wahrscheinlich nirgendwo so rein und unverstellt wie in Liedern und Texten, in Theaterstücken und Filme, in Gemälden und Skulpturen.
Eine bessere Gesellschaft spielen
Im Regierungsprogramm der SPD zur aktuellen Bundestagswahl heißt es deshalb: „Kunst inspiriert, irritiert und eröffnet neue Perspektiven. Ohne freie und kraftvolle Kunst verkümmert, was jedem Fortschritt zugrunde liegt: die Fähigkeit, unser gegenwärtiges Leben zu reflektieren und uns ein besseres vorzustellen. Für uns ist die uneingeschränkte Freiheit der Künste deshalb nicht nur kultureller Wert, sondern politischer Auftrag.“
Und genau darum geht es: In Zeiten, in denen uns scheinbar die Kraft abhanden kommt, uns überhaupt noch vorstellen zu können, dass die Dinge veränderbar, gestaltbar, ja verbesserbar sind, in solchen Zeiten provozieren uns die Künste mit der Erinnerung daran, dass wir genau dazu fähig sind. Der Schriftsteller Max Frisch hat einmal geschrieben, dass wir die Welt im Theater als eine veränderbare spielen und das Theater genau deshalb politisch sei. Es gehe nicht darum, vorne am Bühnenrand zu stehen und zu predigen, wie die Dinge besser zu machen seien. Sondern darum, etwas anderes als die Realität zu imaginieren und zu spielen – und damit auch den verwegenen Gedanken zu nähren, dass es außerhalb des geschützten Theaterraumes vielleicht möglich wäre, dieses Spiel Wirklichkeit werden zu lassen.
Krisen betreffen die Kultur unseres Landes
Damit ist nicht gemeint, dass Politiker*innen Theater spielen sollen – das passiert schon wenig künstlerisch nur allzu oft. Nein, es geht darum, dass sich die Politik dem kreativen Einfluss der Künste öffnet. Das ist der Grund gewesen, warum Willy Brandt immer wieder die Nähe von Künstler*innen wie Günter Grass gesucht hat. Deshalb hat Peter Glotz einem Graffiti-Sprayer in den 80er Jahren eine Wand des Erich-Ollenhauer-Hauses zur Verfügung gestellt, als dieser in der Schweiz von der Polizei verfolgt wurde. Und deshalb geht auch unser Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder in den Austausch mit Schriftsteller*innen und Musiker*innen. Sie alle wollten und wollen ihren intellektuellen Akku mit den Künsten wieder aufladen.
Dahinter steht mehr als ein bloß privates Bedürfnis. Im Zentrum steht das gesellschaftliche Bewusstsein, dass die Krisen unserer Tage nicht bloß wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Krisen sind, sondern dass sie sehr tiefgreifend die Kultur unseres Landes betreffen. Schon längst geht es nicht mehr nur um Fragen der Verteilung oder der Teilhabe, sondern auch um den Sinn unseres gesellschaftlichen Miteinanders, um die Freiheit des Einzelnen und die Solidarität der Verschiedenen. Darum, sicherzustellen, dass wir auch in Zukunft die Vernunft in der Vielheit ihrer Stimmen zu entdecken versuchen, wie der Philosoph Jürgen Habermas schreibt.
Welche Aufgaben jetzt wichtig sind
Wir stehen vor der Aufgabe, die Debatte über diese Fragen auch politisch zu ermöglichen. Hier ist Kulturpolitik besonders gefragt. Es war mit Gerhard Schröder ein sozialdemokratischer Kanzler, der 1998 das Amt des oder der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Kanzleramt einrichtete und damit ein Regierungsamt schuf, von dem aus aktiv an den großen Fragen unserer Kultur gearbeitet werden sollte. Im Zuge der Professionalisierung der Bundeskulturpolitik geriet dieser Aspekt in den Hintergrund – dabei ist er aktueller denn je. Denn wir wissen, dass Demokratien dann in Gefahren geraten, wenn die öffentliche politische Kultur sich von den Prinzipien des immer kompromissbeladenen und mühseligen demokratischen Miteinanders entfernt. Es ist an der Zeit, dass die Politik sich dieser Aufgabe wieder annimmt.
Dazu braucht es keine demokratiebeschwörende Emphase und auch keine klirrende Leitkultur, sondern die Bereitschaft, sich zu kümmern und diskursive Anstöße zu geben. Die Liste der Aufgaben ist lang:
Die Kunstfreiheit gerät unter Druck, dabei ist sie unerlässlich, wenn wir von den Künsten Inspiration erwarten. Und es ist eine politische Aufgabe, sie sicherzustellen.
Die finanziellen Möglichkeiten der Kunst werden eingeschränkt. Kulturhaushalte werden gekürzt und mit jeder ausbleibenden Förderung verschwindet eine Möglichkeit, künstlerische Impulse zu produzieren oder zu rezipieren. Wir müssen die Ressourcen der Kunst dringend sichern.
Die soziale Lage der Künstler*innen muss sich verbessern. Mit Mindestgagen und -honoraren, aber eben auch mit einer Absicherung auch in Phasen des Erwerbsausfalls. Es war die SPD unter Helmut Schmidt, die die Künstlersozialkasse erfunden hat, und wir stehen heute wieder vor der Aufgabe, unseren Sozialstaat fit für neue Jobprofile zu machen.
Der Bund hat zwar wenig eigene Fördermöglichkeiten, aber er setzt viele Rahmenbedingungen und ist gefordert, diese kulturförderlich zu gestalten. Das gilt nicht bloß in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, sondern auch in ordnungsrechtliche Fragestellungen der Wirtschafts- oder urheberrechtliche Fragen der Justizpolitik.
Die Aufarbeitung der historischen Verbrechen, die von Deutschen begangen worden sind, ist wichtiger denn je. Sie ist das Gegengift gegen den zerstörerischen Hass von Rechts. Wir wollen eine Gesellschaft bleiben, in der alle ohne Angst verschieden sein können.
Insofern gilt: Wer die Demokratie verteidigen will, muss jetzt Kulturpolitik ernst nehmen. Sie ist nicht nur wichtige Gesellschafts- und Demokratiepolitik, sondern aktive Arbeit an den Fundamenten unserer Gesellschaft. Die Sozialdemokratie wird in dieser Arbeit nicht nachlassen.
ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie. Sein jüngstes Buch „Die Kunst der Demokratie“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen.