Kultur

Buch „Abundance”: Warum linke Parteien mehr Überfluss wagen sollten

Linke Parteien sollten mehr auf Optimismus, Fortschritt und Wachstum setzen. Nur so können sie auch in Zukunft Mehrheiten gewinnen und politische Bewegungen am rechten Rand ausbremsen, schreiben die US-Publizisten Ezra Klein und Derek Thompson in ihrem neuen Buch „Abundance“. Es ist ein Plädoyer für den Überfluss.

von Michael Bröning · 13. Mai 2025
Bild zur Rubrik "Das Rote Buch", Titel: "Abundance"

„Aufbauen, verbessern, in die Hände spucken: Das ist sozialdemokratisch. Den Gürtel enger schnallen, nur den schmaler werdenden Kuchen penibel verteilen: Das ist es nicht.“ 

Zugegeben: Mit diesen Worten beginnt das aktuelle Buch „Abundance“ (deutsch: Überfluss) von Ezra Klein und Derek Thompson nicht. Doch es hätte so beginnen können. Denn das etwa 300 Seiten starke und Anfang des Jahres in den USA erschienene Werk passt gut in eine Zeit, in der sich ein sozialdemokratisch geführtes Bundesfinanzministerium als Investitionsministerium begreift.

Prominente progressive Stimmen aus den USA

Die beiden Autoren sind nicht irgendwer, sie zählen den zu den prominentesten progressiven Stimmen der USA. Ezra Klein ist bekannt als Kolumnist der „New York Times“ sowie als Schöpfer des Podcasts „The Ezra Klein Show“ mit mittlerweile einer Fantastillion Abonnent*innen. 

Derek Thompson ist Redakteur der Monatszeitschrift „The Atlantic“, gewissermaßen des Zentralorgans des fortschrittlichen Amerikas, das es ja immerhin auch noch gibt. Und irgendwie schafft auch er es noch, ganz nebenbei Host eines ungemein erfolgreichen Podcasts zu sein – und kluge Bücher zu verfassen. 

Worum geht es nun in ihrem neuen Buch? Gleich zu Beginn findet sich eine Kurzzusammenfassung: „Dieses Buch ist einer einfachen Idee gewidmet: Um die Zukunft zu haben, die wir wollen, müssen wir mehr von dem bauen und erfinden, was wir brauchen. Das war’s. Das ist die These.”

Wann weniger wirklich mehr ist

Klingt das etwa nicht revolutionär genug? Irgendwie schon. Vor allem, wenn aktuelle ideologische Entwicklungen besonders klimabewegter bundesdeutscher Linker in Rechnung gestellt werden. Dort gilt mancherorts bekanntlich schon die Bejahung von Wachstum als gefährlich antiquiert und ökologisch massiv übergriffig. Denn aus der Summe eines sich selbst zurücknehmenden Wenigers soll das bessere Leben entstehen. Einfacher, ehrlicher, näher bei sich und der Natur. So ungefähr. Wer den Originalsound vermisst: Man kann ihn ja in jeder zweiten Talkshow nachhören.

Die Position von Klein und Thompson hierzu sieht so aus: Weniger ist mehr? Na klar. Allerdings weniger Armut. Weniger Stagnation. Weniger Bedenken tragen. Dafür lieber mehr auf den Weg bringen. Es ist, als würde jemand die Fenster öffnen und mal ordentlich durchlüften.

Das Gerede vom vermeintlich erleuchteten verantwortungsbewussten Mangel hat Folgen. Und zwar vor allem für eine Linke, die tatsächlich noch gesellschaftliche Mehrheiten organisieren will. Sicher, es geht den Autoren nicht um blindes Wachstum in alle Richtungen. Kein „Mehr“ als Selbstzweck. Kein „Drill, baby, drill“. Es geht darum, mehr vom Guten zu schaffen. Und um einen Mangel, der politisch hingenommen wird. Billige Flachbildschirme ersetzen keine öffentliche Infrastruktur, keinen Wohnungsbau und kein funktionierendes Bildungssystem.  

Ein Überfluss, der gut für alle ist

Das alles wird hübsch formuliert: „Die Fülle, die wir uns vorstellen, ist nicht wahllos. Es geht nicht um ein omnidirektionales Mehr.“ Im fulminanten Schlussplädoyer heißt es: „Es ist das Versprechen von nicht nur mehr, sondern mehr von dem, was zählt.“ Denn das Leitbild des Überflusses sei eben kein Abfeiern des Wachstums des Falschen. Anders gesagt: „Überfluss, wie wir ihn definieren, ist ein Zustand, in dem es genug von dem gibt, was wir brauchen, um ein besseres Leben zu schaffen als das, was wir hatten. Häuser. Transport. Energie. Gesundheit.“

Eine Stärke des Buches ist die fehlende Polemik. Immer wieder zeigt sich bei aller Kritik der Respekt vor den Überlegungen der anderen. Und zwar sowohl nach rechts als auch nach weiter links. Das gilt auch für die wachstumskritische Bewegung „Degrowth“ (Postwachstum) und deren Sichtweise. Diese habe „einen gewissen Reiz“. Und weiter: „Wir alle können einen Aspekt des globalen Produktionssystems identifizieren, der verschwenderisch, unnötig oder schädlich erscheint. Das Problem ist, dass nur wenige von uns die gleichen Aspekte des globalen Produktionssystems identifizieren.“ Wie wahr. 

Unnötig und schädlich aber erscheinen die Folgen des Backlashes, den eine übergriffige Transformationspolitik losgetreten hat. Und hier nehmen die beiden Autoren kein Blatt vor den Mund: „Die Folge des Versuchs, ,Degrowth'-Visionen in die Tat umzusetzen, wäre eine Zukunft des populistischen Autoritarismus, der den Weg zurück zu einem falschen Wohlstand durch Bohren und Verbrennen verfolgt.“

Die Rolle des Staates

Um diese Vision zu verhindern, brauche es Einfallsreichtum, Erfindergeist, Technikoffenheit und das „Geschenk der reichlichen Energie“, das auch eine Nutzung der Kernkraft umfasse.

Sicher: Auch dem Staat kommt eine wichtige Rolle zu. Doch, und auch das ist eine Stärke des Buches, was daraus folgt, ist eben kein schon 100-mal geschriebenes Plädoyer für den starken Staat, der alles richtet. „Seien wir nicht naiv“, heißt es an einer Schlüsselstelle: „Es ist kindisch, die Regierung zum Problem zu erklären. Es ist genauso kindisch, die Regierung zur Lösung zu erklären. Die Regierung kann entweder das Problem oder die Lösung sein, und oft beides.“

Die Autoren befassen sich dabei immer wieder mit dem Beispiel Kaliforniens, das in der US-Debatte nicht nur in rechten Echokammern vom „Golden State“ zu einem verlotterten Schreckensbeispiel verkommen ist. Kalifornien ist dort, wo nichts funktioniert, wo Hochgeschwindigkeitszüge noch in der Planungsphase stecken, wenn die Architekten längst das Zeitliche gesegnet haben, und das einzige Resultat ein Milliardengrab für Steuergelder darstellt. 

Kalifornien: Ein Staat voller Widersprüche

Kalifornien ist auch dort, wo Anti-Trump-Wahlkampfschilder im millionenschweren Vorgarten erklären, „Liebe ist Liebe“ und „Wissenschaft ist Wissenschaft“. Und wo zugleich die Obdachlosenzahl explodiert, weil die Bewohner*innen der Nobelvororte jeden Neubau in der eigenen Nachbarschaft zu verhindern wissen. Und ja: Das seit Jahrzehnten demokratisch regierte Kalifornien ist dort, wo massive Abwanderung in republikanisch regierte Bundesstaaten zu verzeichnen ist.

Mit diesem Befund legen die Autoren keinen Finger, sondern einen ganzen Arm in eine Wunde. Sie belegen wieder und wieder, wie Vorschriften und Regularien über das Ziel hinausschießen, Innovation und Wachstum verhindern und mittlerweile häufig nur noch einen schädlichen Status quo zementieren.

Doch was bedeutet das für linke Kräfte, die sich bekanntlich mancherorts insbesondere dann als selbstwirksam empfinden, wenn mal wieder ein halbes Dutzend Paragrafen in Gesetzesform gegossen wurden? Tatsächlich belegen Regulierungen immer wieder den Erfolg progressiver Politik gegen die Macht des Stärkeren.

Kann der Linke der Kurswechsel in Richtung „Überfluss“ tatsächlich gelingen? Klar ist: Den Autoren geht es nicht um Laissez-faire, sondern um Wachstum, das allen Menschen zugutekommt, also eben nicht allein dem einen oberen Prozent der Status-quo-Verteidiger*innen.

Wie man gefährliche politische Bewegungen bekämpft

Das aber hat auch parteipolitische Dimensionen, an die die Autoren mit einer simplen Wahrheit erinnern: „Eine gute Möglichkeit, die gefährlichsten politischen Bewegungen zu marginalisieren, besteht darin, den eigenen Erfolg zu beweisen.“ Wie wahr. Und zwar nicht mit leerem Gerede, sondern mit einem Aufbruch in ein besseres Leben, ermöglicht durch Investitionen, Innovationen und Inspiration. 

Als Fazit sei ein Wortspiel gestattet: „Abundance“ ist ein ganz und gar nicht überflüssiges Werk, dem viele Leserinnen und Leser zu wünschen sind.

Ezra Klein und Derek Thompson: Abundance. How We Build a Better Future, Avid Reader Press/Simon & Schuster, 2025, 304 Seiten.

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Michael Bröning

ist Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

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