Kultur

Autor Volker Kutscher: „Man sollte wissen, was passiert, wenn Nazis regieren“

Mit „Rath“ beendet der Bestseller-Autor Volker Kutscher seine Reihe über den gleichnamigen Kriminalkommissar der 20er und 30er Jahre. Sie wurde als TV-Serie „Babylon Berlin“ verfilmt. Im Interview spricht Kutscher über seine Faszination für die Weimarer Republik und was sich aus ihrem Untergang lernen lässt.

von Karin Nink , Kai Doering · 25. Dezember 2024
Volker Kutscher am Landwehrkanal in Berlin: „Viele Dinge konnte ich nicht ahnen, als ich die Rath-Reihe plante.“

Volker Kutscher am Landwehrkanal in Berlin: „Viele Dinge konnte ich nicht ahnen, als ich die Rath-Reihe plante.“

Der letzte Band Ihrer Gereon-Rath-Reihe, der gerade erschienen ist, spielt fünf Jahre nach der Machtübernahme der Nazis und wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wie lässt sich anhand Ihrer Recherchen die Stimmung in Deutschland in der Zeit beschreiben?

Es war damals längst zu greifen, dass große teile der Bevölkerung gar keine Chance hatten, zu der viel beschworenen „arischen“ Volksgemeinschaft, in der sich ja viele stramme Nazis durch- aus wohlfühlten, zu gehören, selbst wenn sie es gewollt hätten. Mit erschreckender Empathielosigkeit wurden vor allem den jüdischen Deutschen Schritt für Schritt alle Rechte genommen. Es wurde immer perfider und von couragierten Ausnahmen abgesehen, hat das Gros der Leute zugeschaut. Das hat sich in der Pogromnacht 1938 widergespiegelt. Für viele deutsche Jüdinnen und Juden ist das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel ein grausames Déjà-vu-Erlebnis. Weil auch die darauffolgende Debatte über den Nahost-Konflikt und die durchaus zu kritisierende Kriegführung der Regierung Netanjahu, die weder Rücksicht auf die palästinensische Zivilbevölkerung noch auf die israelischen Geiseln nimmt, immer wieder in unreflektierten Antisemitismus abgleitet. Dass sich Jüdinnen und Juden in Berlin im Alltag wieder unsicher fühlen und angegriffen werden, hätte ich mir nie vorstellen können.

Haben Sie, als Sie mit Ihrer Reihe begonnen haben, geahnt, dass Sie so aktuell sein würden?

Viele Dinge, die jetzt passieren oder auch passiert sind, konnte ich nicht ahnen, als ich die Rath-Reihe 2004 plante. Ich gehöre zu einer Generation, die gedacht hat, dass diese Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs letztendlich wenigstens dazu geführt hätten, dass wir unsere Lektion gelernt haben, dass wir eine stabile Demokratie in Deutschland haben, an deren Grundfesten nicht zu rütteln ist. Der Rechtsruck, der in unserer Gesellschaft eingesetzt hat, schockiert mich sehr.

Sehen Sie Parallelen zwischen dem, was Sie heute erleben, und dem, was Sie für die Romanreihe recherchiert und geschrieben haben?

Wenn wir zu grob draufschauen, erscheint alles wie damals, und dann könnte es auch so weitergehen. Das hoffe ich nicht, und das glaube ich auch nicht. Geschichte wiederholt sich nicht. Wir haben es selbst in der Hand, wie sich die Dinge entwickeln. Wir leben in der Gegenwart, die Zukunft ist noch offen. Das heißt nicht, dass man die Gefahren nicht sehen sollte, denn auch damals gab es ja Leute, die das nicht wollten. Aber das allein reicht nicht.

Beim Ermächtigungsgesetz 1933 war die SPD mutig, aber da war es schon zu spät. Man hätte den Reaktionären früher auf die Finger klopfen und alle Parteien hätten die Nazis früher ausbremsen müssen. Aber diese Brutalität hatte man auch nicht erwartet.

Krimi-Autor Volker Kutscher: Beim Ermächtigungsgesetz war es schon zu spät.       Foto: Dirk Bleicker

Was faszinierte Sie an der Weimarer Republik und der Nazi-Zeit?

Dieses – wie ich finde – selbstgerechte Urteilen aus unserer heutigen Perspektive hat mich immer geärgert. Wenn jemand leichtfertig sagt: Ich wäre damals bestimmt im Widerstand gewesen, frage ich mich, ob nicht gerade diese Leute, die so leicht daherreden, vielleicht für die Parolen der Nazis am ehesten empfänglich gewesen wären. Reden lässt sich leicht, wenn man sich nicht in der Situation befindet. Deswegen wollte ich in die Perspektive der Zeitgenoss*innen schlüpfen, die die Zukunft ihres Lebens nicht kennen. Die sich dann aber später von ihren Enkel*innen vorwerfen lassen mussten, nichts gegen die Nazis getan zu haben. Ich frage mich immer, was mir meine Enkel wohl irgendwann mal vorwerfen werden, warum ich dies oder jenes nicht gewusst oder nichts dagegen getan habe. Damals hatte ich eher an Umweltthemen gedacht und nicht daran, dass unsere Demokratie wieder in Gefahr gerät.

Schon vor Beginn der Rath-Reihe hatte ich neben meinem Beruf als Tageszeitungsredakteur ein paar Krimis geschrieben, und der nächste sollte eben im Berlin der frühen Dreißiger spielen. Aber dann erkannte ich, wie spannend es wäre, eine ganze Romanreihe zu schreiben, die nicht nur das Ende der Weimarer Republik, sondern über das Jahr 1933 hinaus erzählt. Weil dieses Projekt als Hobby nicht zu stemmen gewesen wäre, habe ich meinen Job gekündigt.

Erzählen ist immer auch eine Form von Erkenntnisgewinn. Ist dieser über einen Roman einfacher zu erreichen als beispielsweise in der politischen Analyse, der Geschichtswissenschaft oder den täglichen Nachrichten?

Nicht einfacher. Anders. Beim Erzählen geht es auch um das Mitempfinden und Mitleiden. Erzählen arbeitet mit dem Mittel der Empathie, die Geschichtswissenschaft hingegen hat einen rationalen Ansatz. Ich glaube, wenn man über einen Roman in die Zeit eintaucht, kann man besser verstehen, was damals passiert ist, und ist vielleicht auch in der Gegenwart besser gewappnet, wenn ähnliche Dinge passieren.

Volker
Kutscher

Ich möchte die Menschen neugierig auf Geschichte machen.

Wenn man sich 20 Jahre mit Figuren wie Gereon oder Charlotte beschäftigt, baut man sicher auch eine Beziehung auf. Fällt es schwer, da jetzt loszulassen?

Ja, klar. Also, die Figuren, gerade die, die dauernd auftauchen wie Charlotte und Gereon, liegen mir natürlich am Herzen. Aber ich bin auch erleichtert, dass ich das Ende hingekriegt habe, das Ende von Rath ist ja gleichzeitig auch das Ende der Reihe. Es ist eigentlich ein einziger Riesenroman, der jetzt zu seinem Abschluss gekommen ist. Das war mir schon wichtig, ein Ende zu finden, von dem ich denke, ja, so muss das sein. Auch gerade in seiner Offenheit.

Ich möchte die Menschen neugierig auf Geschichte machen, das ist eine weitere Triebfeder meines Schreibens. Man sollte wissen, was passiert, wenn Nazis das Land regieren: Sie fahren es vor die Wand, bringen Tod und Zerstörung. Deshalb darf es den Menschen beim Lesen meiner Bücher auch ruhig ein bisschen weh tun, wenn richtig schlimme Jahre für meine Figuren kommen. So erging es den meisten Menschen damals. Wir alle leben, ohne dass wir etwas dafürkönnen, in einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Region. Unsere Generation hatte es da, bislang jedenfalls, vergleichsweise leicht. Aber wer weiß, welche Herausforderungen noch kommen.

Haben Sie schon neue Pläne nach dem Ende Ihrer Reihe?

Erst einmal werden mich die Figuren und die Welt noch eine Weile beschäftigen, aber nicht mehr in Form von Romanen, ich werde das Thema sozusagen ausschleichen. So wird es noch eine illustrierte Erzählung geben, die ich zusammen mit der Illustratorin Kat Menschik mache. Wir haben schon zwei solcher Bände herausgegeben, und wir haben uns darüber angefreundet. Nach „Mitte“ und „Moabit“ soll nun noch „Westend“ folgen, ein anderer Berliner Stadtteil. Darin wird es ein Wiedersehen mit einigen Figuren der Rath-Reihe geben. Aber mehr wird noch nicht verraten. Ausschleichen eben. 

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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