Volker Kutscher: „Gleichgültigkeit war das große Problem der 20er Jahre“
Michael Gottschalk
Volker Kutscher macht gerne mal eine Zeitreise. „Die wichtigste Zeitmaschine ist die damalige Tageszeitung“, erzählt der Autor der 20er-Jahre-Krimis rund um Kommissar Gedeon Rath, deren Verfilmung zurzeit unter dem Titel „Babylon Berlin“ in der ARD laufen, am Freitag auf der Buchmesse. Er ist an den vorwärts-Stand gekommen, um mit dem hessischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel zu diskutieren.
Kutscher: „Demokratie ist immer eine fragile Angelegenheit“
Zunächst aber soll Kutscher erklären, wie er vorgeht, um die realen Umstände seiner Bücher zu ermitteln. „Die Recherche macht mir Spaß“, erzählt Kutscher. Vor alle liberale Tageszeitungen der damaligen Zeit seien eine gute Quelle. „Ich habe aber auch schon mal in den vorwärts geschaut.“ Dies helfe ihm zu verstehen, was die Menschen damals beschäftigt haben, wie ihr tägliches Leben ausgesehen hat. „Man reist in eine andere Zeit“, so Kutscher.
Besonders interessiere ihn, wie die Menschen in den 20er Jahren den schleichenden Wandel des politischen Systems erlebt haben. Mit den Mitteln der Fiktion versuche er, sich der Antwort auf die Frage zu nähern: Wie konnte das passieren? „Demokratie ist immer eine fragile Angelegenheit“, weiß Volker Kutscher. Das habe in der Weimarer Republik gegolten und es gelte auch heute. „Es ist ein Geschenk, in einer freiheitlichen Demokratie aufzuwachsen und es nicht in Stein gemeißelt, dass es so bleibt.“
Schäfer-Gümbel: Demokratie muss gelernt werden
Dem stimmt der hessische SPD-Chef zu. „Viel zu viele Leute sind gleichgültig“, hat Thorsten Schäfer-Gümbel beobachtet. Zudem gebe es immer mehr Menschen, die „eine andere Republik und zurück in dunkle Zeiten“ wollten. „Diese Dingen müssen wir sehr viel härter und klarer benennen“, fordert Schäfer-Gümbel. Denn: „Wenn wir Demokratie nicht lernen, werden wir Gleichgültigkeit ernten.“
„Gleichgültigkeit war auch das große Problem der 20er Jahre“, weiß Krimi-Autor Kutscher zu berichten. „Gleichgültigkeit ist das Tödliche.“ Deshalb sei es auch wichtig, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Für ihn sei auch dies ein Grund gewesen, seine Rath-Krimis zu schreiben. „Ich wollte gucken, welche Chancen die Demokratie damals gehabt hat.“
Den Menschen die Angst vor Veränderung nehmen
Für vermeintliche besorgte Bürger, die wie in Chemnitz gemeinsam mit Rechtsextremen auf die Straße gehen, hat Kutscher kein Verständnis. „Wenn man bei Leuten mitmarschiert, die den Hitlergruß zeigen, muss man sich gefallen lassen, als Nazi bezeichnet zu werden“, stellt er am vorwärts-Stand klar.
„Alltagsrassismus fängt nicht erst bei der AfD an“, weiß auch Thorsten Schäfer-Gümbel. „Das Abrutschen findet in bürgerlichen Kreisen statt.“ Und damit schließt sich der Kreis zu den 20er Jahren der Rath-Krimis. Was also lässt sich aus der damaligen Zeit lernen? „Wir müssen den Menschen die Angst nehmen vor den Veränderungen, die kommen“, sagt Schäfer-Gümbel. „Wir müssen die Veränderung gestalten.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.