Geschichte

Babylon Berlin: „In vielem ist die Serie erschreckend aktuell.“

Am Sonntag startet die neue Staffel von „Babylon Berlin“. Auch wenn die Serie „keine Geschichtsstunde“ ist, lässt sich mit ihr viel über die Weimarer Republik lernen, sagt der Historiker Olaf Guercke – und auch über den Zustand der heutigen Demokratie.
von Kai Doering · 9. Oktober 2020
Darstellung kommunistischer Proteste in „Babylon Berlin“: Eine fiktive Serie muss nicht so korrekt erzählen wie ein klassisches Doku-Drama.
Darstellung kommunistischer Proteste in „Babylon Berlin“: Eine fiktive Serie muss nicht so korrekt erzählen wie ein klassisches Doku-Drama.

Millionen Fernsehzuschauer*innen und begeisterte Kritiken schon vor dem Start der dritten Staffel: Woher kommt die Faszination für die Fernsehserie „Babylon Berlin“?

Ich denke, man muss die Serie vor dem Hintergrund eines generell wachsenden Interesses an der Weimarer Republik betrachten. Wenn dann eine Fernsehserie mit dem Versprechen startet, ein großes Sittengemälde der Spätphase dieser Zeit zu malen, fällt das auf sehr fruchtbaren Boden. Die spannend erzählte Kriminalgeschichte ist eigentlich nur Mittel zum Zweck, der darin besteht, das Sittengemälde mit allen verfügbaren Mitteln der Kunst ausbreiten zu können. Das zieht die Zuschauer schon in den Bann.

Die Serie spielt in den sogenannten Goldenen Zwanzigern mit dem pulsierenden Berliner Nachtleben. Gleichzeitig werden Not und Elend dieser Zeit sehr deutlich. Wie authentisch ist das historische Narrativ, das die Serie den Zuschauern von dieser Zeit anbietet?

„Babylon Berlin“ ist keine Geschichtsstunde, sondern erst einmal Fiktion, die jedoch versucht, einen Anspruch auf historische Triftigkeit einzulösen. Historische Ereignisse, historische Figuren und die politische Situation im Jahr 1929 werden erzählerisch aufgegriffen. Eine fiktive Serie wie Babylon Berlin muss aber nicht so korrekt erzählen wie etwa ein klassisches Doku-Drama. Kritiker haben zum Beispiel bemängelt, dass es die Lokomotive, die das Gold aus Russland nach Berlin bringt, 1929 noch gar nicht gegeben hat. Auch Berliner Gebäude, die in der Serie gezeigt werden, wurden in Wahrheit erst später errichtet. Für die triftige Darstellung der damaligen Zeit spielt das aber eigentlich keine Rolle. Und es zeigt auch, dass die Autoren nicht einfach Geschichte nacherzählen wollen, sondern die historische Folie nutzen, um etwas Eigenes zu kreieren.

Die vielen Anachronismen, etwa wenn kommunistische  Demonstranten im Jahr 1929 „Wir sind das Volk rufen“ oder wenn die Aufführung des Lieds „Zu Asche, zu Staub“ im Moka Efti wie eine Mischung aus 1920er Varieté, David Bowie Konzert aus den 1970ern und gegenwärtiger Klubkultur wirkt, sind Versuche, die „eingefrorene“ Geschichte zu „verflüssigen“, um dem Publikum Geschichte als lebendige Gegenwart erzählen zu können. Wir sollen Berlin 1929 aus der Sicht von Menschen erleben, die ihre Zukunft nicht kannten, genauso, wie ja auch wir unsere Zukunft nicht kennen. So wird emotionale Nähe erzeugt.

Gilt das auch für die politische Erzählung?

Da muss man unterscheiden zwischen den Mai-Unruhen nach dem Verbot der 1.-Mai-Demonstrationen im Jahr 1929 und dem Putschversuch der „Schwarzen Reichswehr“, die in der ersten und zweiten Staffel erzählt werden. Die Mai-Unruhen hat es tatsächlich gegeben, sie sind einer der dunkelsten Flecken in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, da unter der verantwortlichen Leitung eines sozialdemokratischen Polizeipräsidenten in Berlin 32 Menschen von Polizisten erschossen wurden. Die Autoren von „Babylon Berlin“ bemühen sich sehr, die Ereignisse recht genau anhand historischer Quellen darzustellen und anhand ihrer Figuren die moralische Ambivalenz des Konflikts zwischen Republik, stalinistischer KPD und den betroffenen Menschen nachvollziehbar zu machen. An der einen oder anderen Stelle kommt zwar etwas Fiktion dazu, aber im Großen und Ganzen stimmen die Ereignisse historisch. Was allerdings durch die Fokussierung auf die Mai-Unruhen unter den Tisch fällt, ist die existenziell wichtige Rolle, die die SPD und ihr historischer Kompromiss mit den bürgerlichen Parteien für die Ermöglichung und den Erhalt der Weimarer Demokratie gespielt hat. Dieser Aspekt Weimars kommt in den ersten beiden Staffeln von „Babylon Berlin“ schlicht nicht vor.

Und der dargestellte Putschversuch?

Der monarchistisch-reaktionäre Militärputsch hat im Gegensatz zu den Mai-Unruhen so nicht stattgefunden. Da versuchen die Autoren eher, in einer Geschichtsmontage unterschiedliche Aspekte der Bedrohung der Weimarer Republik durch Rechtsextremisten in einem fiktiven Ereignis zusammenzufassen. Putschversuche und Fememorde der „Schwarzen Reichswehr“ hat es in der frühen Phase der Weimarer Republik durchaus gegeben, 1929 wurde aber eher darauf zurückgeblickt. Rechte Kräfte versuchten einigermaßen erfolgreich, die Putschisten als Patrioten darzustellen und durch Amnestie vor Strafverfolgung zu schützen. In der Putscherzählung in Babylon Berlin ist die Botschaft wichtig, dass der Antisemitismus und die Demokratiefeindlichkeit, an der Weimar gescheitert ist, nicht nur von den Nationalsozialisten ausging, sondern der antidemokratische Konsens viel breiter und bürgerlicher war. Das im Rahmen einer unterhaltsamen, auf ein Massenpublikum ausgerichteten  Geschichtsserie zu erzählen, gelingt den Autoren sehr gut, finde ich.

Ist „Babylon Berlin“ geeignet, um – gerade jungen – Zuschauer*innen die Zeit der Weimarer Republik näher zu bringen?

Ja, auf jeden Fall. Die Serie zeigt unglaublich viele Aspekte der Weimarer Republik und jede Zuschauerin und jeder Zuschauer wird unweigerliche Anknüpfungspunkte finden. Natürlich muss man sich dabei immer bewusst machen, dass man keine historischen Wahrheiten im Sinne eines Geschichtsbuchs erfährt, sondern ein historischer Rahmen für eine fiktive Geschichte genutzt wird. Insgesamt aber erhält man über „Babylon Berlin“ einen recht guten Eindruck der Zustände in Deutschland vor knapp hundert Jahren – von der Situation der Arbeiter bis hin zu den Emanzipationskämpfen der Frauen, die vor allem anhand der Figur Charlotte Ritter und ihrer beruflichen Etablierung  erzählt werden. Kritisieren möchte ich hier lediglich, dass die sozialdemokratisch geprägte Arbeiterkultur, die ein wichtiger Teil der Weimarer Gesellschaft war, im Gegensatz zur kommunistischen Arbeiterkultur, dem liberalen Bürgertum und den reaktionären Monarchisten nicht im Sittenbild vorkommt. „Babylon Berlin“ ist dennoch nicht bloße Unterhaltung, sondern vermittelt auch sehr viel Wissen. Ablesbar ist das große Interesse zum Beispiel an den Wikipedia-Zugriffszahlen zu bestimmten Themen wie der „Schwarzen Reichswehr“, die in der Serie vorkommen. Die Menschen fangen nach Ausstrahlung der einzelnen Folgen an, selbst zu recherchieren. Das zeigt für mich, dass „Babylon Berlin“ durchaus Interesse an Geschichte weckt und dass die Wirkmächtigkeit solcher Serien auf die Geschichtsbilder der Menschen nicht unterschätzt werden sollte

Sehen Sie auch Gefahren an dieser Art der Geschichtsvermittlung?

Ein Problem an der Bildgewalt, die Serien wie „Babylon Berlin“ haben, ist, dass sie Vorstellungen, die die Zuschauer vorher von einer Zeit oder einem Ereignis hatten, überschreiben kann. Die Zuschauer wissen dann zwar intellektuell, dass sie einen Film sehen, im emotionalen Gedächtnis wirken jedoch die Bilder und formen das Geschichtsbild.  Dieses Phänomen ist in der Geschichtswissenschaft schon bekannt. Den Autoren von „Babylon Berlin“ ist das bewusst, sie vertrauen jedoch auf ein reflexionsfähiges Publikum und versuchen auch in manchen Szenen, die Bildgewalt durch Figurenrede ironisch zu entschärfen. Wichtig ist es, kritisch zu schauen, welche Botschaften in Geschichtsserien vermittelt werden, da die Wirkmächtigkeit des Genres auch missbraucht werden kann. Ein extremes Beispiel hierfür ist die syrischen Geschichtsserie „asch-Schatat“ von 2003, die ein radikal antisemitisches Geschichtsbild vermittelt.

Wir sehen die Serie mit einem Abstand und dem Wissen von 90 Jahren – und vor dem Hintergrund eines wieder erstarkenden Rechtspopulismus und Rassismus. Knüpfen die Regisseure bewusst an unsere aktuellen Erfahrungen an?

Die Regisseure möchten, dass sich die Zuschauer lebendig in die Zeit der späten Weimarer Republik hineinversetzen. Ihre These ist, dass die 1920er Jahre unserer heutigen Zeit in vielen Dingen sehr ähnlich sind. Ähnlicher auch als etwa die Nachkriegszeit in der Bundesrepublik. In „Babylon Berlin“ wird eine Gesellschaft gezeigt, die noch nicht vom Zivilisationsbruch und der Barbarei des Nationalsozialismus überformt ist. Gleichzeitig warnen die Regisseure aber, dass die Gefahren für die Demokratie weiter lauern und zeigen, dass die Rechten sie nur abschaffen können, wenn ihnen bürgerliche Kräfte dabei helfen. In vielem ist die Serie da erschreckend aktuell. Die Botschaft ist, dass wir die Demokratie nicht als selbstverständlich nehmen dürfen, sondern dass es lebensnotwendig ist, sie zu verteidigen. Babylon Berlin ist in dieser Hinsicht weniger ein nach innen gerichteter Beitrag zur deutschen Vergangenheitsbewältigung, als vielmehr ein Warnruf, der sich auch nach außen, an ein internationales Publikum richtet: Seht euch an, wie vielfältig und interessant die deutsche Gesellschaft in den späten 1920ern war, schaut euch all diese Leute an, die ihre persönlichen Kämpfe gekämpft haben, und nicht wussten, was passieren wird.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

1 Kommentar

Gespeichert von Rolf David (nicht überprüft) am Sa., 27.01.2024 - 11:36

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Aus meiner Sicht sind die Betrachtungen sehr aufschlussreich und interessant. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft in Richtung Weimarer Republik zeigen sich durch die hohe Diversität in unser Gesellschaft auch an der politischen Orientierung und der Parteienvielfalt. Viele Menschen sind überfordert und suchen einfache Lösungen die ihnen von der AFD scheinbar geboten werden. Der Aspekt mit der Bildgewalt beeindruckte mich im Besonderen. Habe 1984 das Buch "1984" gelesen und anschließend den Film gesehen. Hier war ich vom Film enttäuscht, da in meiner Phantasie die Rollen besser besetzt waren.