Kultur

Volker Kutschers Olympia: Sport und Mord im Schatten der Nazis

Volker Kutscher hat die Olympischen Spiele 1936 zum Schauplatz seines neuen Kriminalromans gemacht. Die Mordermittlungen von Kommissar Rath rücken angesichts der Zustände im nationalsozialistisch regierten Deutschland zunehmend in den Hintergrund.
von Carl-Friedrich Höck · 15. Dezember 2020

Unbeschwerte Zeiten haben die Krimis von Volker Kutscher um den eigenbrötlerischen Kommissar Gereon Rath nie beschrieben. Begonnen hat die Handlung 1929. Schon damals waren die 20er Jahre nicht mehr „golden“ – und Kutscher hat Ereignisse wie den „Blutmai“ oder die Wirtschaftskrise stets in seine Geschichten eingeflochten. Mittlerweile ist die Buchreihe im Jahr 1936 angekommen. Und „Olympia“ ist der bisher düsterste Band.

Schauplatz: Die Olympischen Spiele

Schauplatz ist erneut Berlin: Die Nazis weiden die Olympischen Spiele für Propagandazwecke aus. Doch auf dem Olympiagelände kommt es zu mysteriösen Todesfällen. Kommissar Rath soll verdeckt ermitteln. Den Auftrag dazu erhält er nicht aus dem Polizeipräsidium, sondern vom verhassten Ex-Kollegen Sebastian Tornow, der mittlerweile zum SS-Obersturmbannführer „aufgestiegen“ ist.

Halbherzig macht sich Rath an die Arbeit. Für seine Befehlsgeber steht ohnehin von vorneherein fest, dass es sich bei den Morden nur um eine kommunistische Verschwörung handeln könne. Auf dem Gelände trifft Rath auf seinen ehemaligen Ziehsohn Fritze, der als Hitlerjunge dort arbeitet – und versucht, ein Autogramm von Sprint-Star Jesse Owens zu ergattern. Rath findet auch zu Hause keine Ruhe, weil er sich hat überreden lassen, amerikanische Olympiagäste aufzunehmen – zum Ärger seiner Frau Charly.

Für uns oder gegen Nazis?

Im Gegensatz zu ihr ist Gereon Rath kein besonders politikinteressierter Charakter. Doch ein politikfreies Leben gibt es im Nationalsozialismus nicht – dafür greift die Diktatur viel zu sehr in den Alltag der Menschen ein. Selbst ein internationales Sportfest lässt sich nicht mehr unbeschwert genießen, wenn man Hitler und seinen Schergen aus dem Weg gehen will.

Jede Diktatur fordert von den Bürger*innen ein Bekenntnis: „Bist du für uns oder gegen uns?“ Gereon Rath ist kein Typ für Bekenntnisse oder Idealismus. Er mag keine Autoritäten, ermittelt am liebsten alleine, wurstelt sich durch. Trotzdem muss sich Rath im Jahr 1936 der Frage stellen, ob er weiter in diesem Deutschland leben will. Und diese Frage prägt das Buch zunehmend. Wer tatsächlich für die Morde verantwortlich ist und ob die Person zur Rechenschaft gezogen wird – das rückt im Verlauf der Handlung mehr und mehr in den Hintergrund. Denn wo es keinen Rechtsstaat mehr gibt, wird auch Gerechtigkeit zur Auslegungssache.

Erneut ist Volker Kutscher ein spannender Krimi gelungen, der das historische Geschehen der Zeit meisterhaft in die Handlung integriert.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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