Babylon Berlin: Das sind die realen Menschen hinter den Serien-Figuren
„Babylon Berlin“ ist ein echtes Ereignis für den deutschen Fernsehfilm. Die von ARD und Sky gemeinsam produzierte Serie erzählt die vom Schriftsteller Volker Kutscher erdachten ersten beiden Romane um den Kriminalkommissar Gereon Rath. Neben dem hochkarätigen Ensemble und der dramaturgisch neu aufbereiteten Story kann auch die Stadt Berlin des Jahres 1929 als eine Hauptattraktion der Serie bezeichnet werden. Mit großem Aufwand und viel Liebe zum Detail wird das Panorama jener lebendigen, von Konflikten zerrissenen Weltstadt am Anfang vom Ende der Weimarer Republik nachgestellt, in der – neben zahlreichen anderen Zeitungen – zwei Mal täglich der „vorwärts“ erschien.
Ein authentisches Bild der Weimarer Zeit
Für Zuschauer*innen der Serie und Leser von Kutschers mittlerweile neun Rath-Romanen bietet es sich an, sich diesem Hintergrund durch das Lesen in den Zeitungen der Weimarer Republik zu nähern. Man bekommt so ein authentisches Bild vom Alltagsleben damals. Das weiß auch Kutscher selbst. Im Interview mit der „Zeit“ berichtet er vom Studium der „Vossischen Zeitung“ in der Zeitungsabteilung der Berliner Staatsbibliothek vor jedem neuen Romanprojekt.
Besonders interessierten ihn nicht die großen politischen Schlagzeilen, sondern „die lokalen Nachrichten, Unfälle, wo es gebrannt hat, Einbruchsserien, lokale Skandale“. Kutscher liest „jede Seite, die in dem Zeitraum erschienen ist, in dem mein Roman spielen soll“. Eine ideale Ergänzung zur bürgerlich-liberalen „Vossischen“ könnte für ihn der „vorwärts“ sein, der eine andere Variante der Berliner Kultur um 1929 widerspiegelt.
Ernst Gennat im „vorwärts“
Wie fruchtbar eine solche Recherche sein kann, zeigt sich, wenn man versucht, historischen Figuren nachzuspüren, die man in den Romanen Kutschers oder in „Babylon Berlin“ kennengelernt hat. Ernst Gennat, in der Serie von Udo Samel dargestellt, war 1929 ein prominenter Kriminalist, der aufgrund seiner Leibesfülle auch „Buddha“ genannt wurde. Er hatte in den Jahren zuvor die Zentrale Mordinspektion der Berliner Polizei aufgebaut und dabei moderne wissenschaftlich fundierte Ermittlungsprinzipien durchgesetzt.
Eine einfache Suche mit dem Stichwort „Gennat“ im historischen „Vorwärts“ ermöglicht eine faszinierende Zeitreise durch die Kriminalgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Weitaus die meisten der 165 Treffer führen tatsächlich zu Artikeln über Kriminalfälle, mit denen Gennat betraut war. Je bekannter der Kriminalist wurde, desto intensiver wurde über seine Fälle berichtet. Der erste relevante Treffer stammt von 1907, ab 1918 geht es richtig los.
Zum Geständnis gebracht
In der frühen Phase seiner Karriere war Gennat noch nicht ausschließlich mit Mord und Totschlag befasst. Der „vorwärts“ vom 28. Oktober 1920 etwa berichtet unter der Überschrift „Ein stürmischer Liebhaber“ amüsiert über einen Fall von nicht sehr erfolgreicher Hochstapelei. Seit Gennat aber ab 1926 die Zentrale Mordinspektion leitete, nahm das öffentliche Interesse an seinen Fällen und seinen Methoden zu.
1926 und 1927 ermittelte Gennat im Fall des Raub- und Sexualmörders Kurt Böttcher, der kurz hintereinander die zehnjährige Senta Eckhard und eine erwachsene Frau getötet hatte. Der Kriminalkommissar erwies sich im Verhör Böttchers als geschickter Psychologe. Laut „vorwärts“ vom 2. Juli 1927 hat er den Täter zum Geständnis gebracht, indem er ihm beim Verhör freistellte, sich seine Aussage bis zum nächsten Morgen zu überlegen. Ohne dieses Geständnis hatte Böttcher seiner Taten nicht überführt werden können.
Gennat im Nationalsozialismus
Zwei Jahre später berichtete der „vorwärts“ vom 4. Juni 1929 über Gennats Beteiligung an der Aufklärung eines der schwersten Justizirrtümer der deutschen Rechtsgeschichte. 1925 war der polnische Hilfsarbeiter Josef Jakubowski wegen des Mordes an dem dreijährigen Emil Nogens zum Tode verurteilt und später hingerichtet worden. Durch die nachträglichen Ermittlungen Gennats und seines Teams kam ans Licht, dass der Mord in Wahrheit von der Mutter und den Brüdern des Kindes begangen worden war.
Wie es mit Ernst Gennat nach der Zerstörung der Weimarer Republik weiterging, kann aus naheliegenden Gründen nicht im „vorwärts“ recherchiert werden. Er wurde von den Nazis im Polizeidienst belassen, quittierte diesen auch nicht und arbeitete bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1939 weiter. Politisch soll er dem bürgerlich-liberalen Lager nahegestanden haben und in einigen Quellen wird erwähnt, dass er in seinen Artikeln nach 1933 niemals Nazi-Vokabular benutzte. Man muss dennoch feststellen, dass er sich beruflich mit den neuen Machthabern arrangiert hat.
Die im Text verlinkten Beispiele zeigen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt aus der Wirkungsgeschichte Ernst Gennats. Wenn Sie sich die Zeit nehmen und selber auf die Suche gehen, werden Sie mit Sicherheit sehr viel mehr finden.
Die erste Fassung des Textes erschien im Oktober 2020 auf vorwärts.de.
ist Mitarbeiter der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung und Projektverantwortlicher für die Digitalisierung des „vorwärts“.