Warum der Westen seine Iran-Politik grundlegend ändern muss
Ein verwundeter Iran ist unberechenbar – und könnte zur Atombombe greifen. Der Westen braucht deshalb einen grundlegenden Kurswechsel in seiner Iranpolitik. Ausgerechnet Donald Trump könnte ihn vorantreiben.
IMAGO/ZUMA Press Wire
Demonstranten mit eine Porträt von Ali Khamenei in Teheran: eine Stunde der Wahrheit für die Islamische Republik
Das Ende des Zwölftagekrieges mit Israel hinterlässt einen Iran in extrem gefährlicher Lage. Das Land ist tief verwundet und gedemütigt. Es hat jedoch auch Resilienz bewiesen – und könnte deshalb gerade in seiner Entschlossenheit umso bestärkter sein. Das Risiko ist hoch, dass sich das schwer angeschlagene Land nun zu einem unberechenbaren Akteur entwickelt. Um dies zu verhindern, braucht es einen neuen Ansatz in der Iranpolitik.
Der Krieg könnte das iranische Atomprogramm eher befeuert haben
Unklar ist bis heute, wie erfolgreich die Bombardierungen der iranischen Nuklearanlagen tatsächlich waren. Optimistische Einschätzungen gehen davon aus, dass das Atomprogramm um Jahre zurückgeworfen wurde; weniger günstige sprechen lediglich von einigen Monaten. Das Programm hatte von jeher zwei Aspekte: einen technischen und einen politischen. Während der Krieg den technischen Aspekt möglicherweise aufgehalten hat, hat er den politischen eher befördert.
Bis zuletzt gingen amerikanische Geheimdienste davon aus, dass die politische Entscheidung zur nuklearen Bewaffnung von der iranischen Führung nicht getroffen wurde. Der Krieg hat die Anreizstruktur jedoch grundlegend verändert. Aus Sicht des Regimes erscheint es nun rational, die Bombe anzustreben – als ultimative Überlebensversicherung und um sich aus dem geopolitischen Abwärtsstrudel zu befreien.
Die angekündigte Aussetzung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) ist dabei nur ein erster Schritt. Der Ausstieg aus dem Nichtverbreitungsvertrag könnte dem folgen. In jedem Fall legt Teheran bewusst einen Mantel der Dunkelheit über sein Atomprogramm – ein Horrorszenario für den Westen.
Geht der Iran den Weg Nordkoreas?
Doch das Kriegsende ist auch eine Stunde der Wahrheit für die Islamische Republik. Nie zuvor war das Land sicherheitspolitisch in einer ähnlich prekären Lage. Die über Jahrzehnte aufgebaute Abschreckungsstrategie liegt in Trümmern. Aus dem Gebiet der Levante – und damit dem für das Regime ideologisch so zentralen Kampf um Palästina – wurde der Iran gänzlich verdrängt. Die viel beschworene „Achse des Widerstands“ mit ihrem Konzept der „Vereinigung der Schlachtfelder“ hat versagt. Kein einziger Verbündeter ist Teheran zu Hilfe geeilt. Auch der „Blick nach Osten“ – die Einbindung in chinesisch-russische Strukturen und eine imaginierte autoritär-antiwestliche Koalition – hat dem Land im Moment der Not kaum etwas Konkretes gebracht. Die bittere Erkenntnis aus diesem Krieg ist die einer tiefen Einsamkeit.
Aus dieser Einsamkeit erwächst Revanchismus. Der Krieg hatte nicht nur das Ziel, das iranische Atomprogramm zu stoppen. Vielmehr wurde laut israelischem Premierminister und zahlreichen westlichen Politike*innen ein Regimewechsel in Teheran angestrebt. Gerade dieses Ziel erweist sich nun jedoch als Hindernis für jede Diplomatie. Bereits der amerikanische Ausstieg aus dem 2015 geschlossenen Atomabkommen hatte das Misstrauen in Teheran vertieft. Die nun erfolgte, von den USA gedeckte israelische Aggression – inmitten eines laufenden Verhandlungsprozesses – dürfte dieses Misstrauen in schwindelerregende Höhen getrieben haben. In einer Welt ohne Regeln scheint für ein Land, das sich weltanschaulich-geopolitisch dem Hegemon entgegenstellt, nur ein gangbarer Weg: der nordkoreanische. Frei nach Carl Schmitt: souverän ist, wer über die Bombe verfügt.
Die eigene Schwäche macht den Iran so gefährlich
Für die westliche Iranpolitik, die aufgrund der selbstverschuldeten europäischen Irrelevanz eine mittlerweile rein amerikanische Angelegenheit ist, ergeben sich aus dieser iranischen Anreizstruktur zwei Optionen: Die erste besteht darin, das geschwächte Land weiter in die Ecke zu drängen: eine Politik des „maximalen Drucks“ im Geiste der trumpschen „Peace through Strength“-Doktrin. Da ein Einlenken für Teheran einer ideologischen Selbstaufgabe gleichkäme, würde eine solche Politik zwangsläufig zum nächsten Krieg oder, allerdings wenig wahrscheinlich, zum erhofften Regimewechsel führen. Dass ein solches Szenario ähnlich glimpflich verläuft wie der letzte Krieg, ist keineswegs sicher. Ein Regime im Überlebensmodus hätte noch andere Eskalationsstufen zur Verfügung, die es bisher bewusst vermieden hat.
Der äußere Druck auf das Regime hat einen paradoxen Effekt: Einerseits soll er das Land vom Griff nach der Bombe abhalten, andererseits verstärkt er aus Sicht Teherans gerade diesen Anreiz. Es ist nicht die Stärke, sondern es ist gerade die eigene Schwäche, die den Iran so gefährlich macht.
Wie sich der Westen jetzt gegenüber dem Iran verhalten sollte
Daraus ergibt sich für den Westen eine zweite Option: Statt das Land durch Druck zur Bombe zu treiben, müsste es darum gehen, Teheran einen Ausweg aus der strategischen Sackgasse zu weisen. Realistisch betrachtet ist die Islamische Republik in ihrem jetzigen Zustand militärisch keine Bedrohung mehr – weder für den Westen noch für Israel. Wenn sie denn nicht zur Bombe greift. Innenpolitisch steht das Land ohnehin vor großen Umbrüchen. Es kann in Richtung „Nordkoreanisierung“ und Radikalisierung abgleiten. Doch gerade jetzt ist es möglicherweise auch empfänglicher denn je für einen „Grand Bargain“, einen historischen Kompromiss, der seine außenpolitische Ausrichtung grundsätzlich verändert.
Der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei war während des Krieges kaum präsent. Versteckt in einem Bunker, wartete er das Ende ab. Auch wenn das Regime den Widerstand gegen die Angriffe nun als Sieg feiert, ist unbestreitbar, dass es versagt hat, die eigene Bevölkerung vor einer ausländischen Aggression zu schützen. Mit 86 Jahren wird sich Khamenei von dieser Niederlage kaum erholen. Alles deutet auf Wandel hin, die Frage ist nur: in welche Richtung?
Außenpolitischer Druck wird das Regime, auch unter neuer Führung, stark abhängig von den mächtigen, wenn auch geschwächten Revolutionsgarden machen. Dies dürfte nicht nur den Griff zur Bombe beschleunigen, sondern auch die innenpolitische Repression verschärfen. Bereits während des Krieges begannen Massenverhaftungen von Oppositionellen und vermeintlichen Kollaborateuren. Das Regime versinkt in Paranoia.
Weniger Druck von außen könnten Reformen im Innern anstoßen
Die „Theory of Change“ der „Maximaler Druck“-Fraktion im Westen lautet folgendermaßen: je isolierter das Regime, je härter die Sanktionen, desto wahrscheinlicher ein Volksaufstand bis hin zum Regimewechsel. Doch die historische Bilanz dieser Annahme ist bestenfalls durchwachsen. Die Revolution von 1979 erfolgte nach einer Phase beispiellosen Wirtschaftswachstums und internationaler Anbindung. Die Sanktionspolitik schwächt zwar das Regime, allerdings ebenso die Gesellschaft. Letztere ist womöglich der größere Verlierer und dadurch gerade nicht in der Lage, grundlegende Veränderungen zu erzwingen.
Trotz ihrer Beharrlichkeit ist die iranische Führung kein Monolith. Sollte Amerika Iran einen echten „Grand Bargain“ anbieten – vollständiger Sanktionsverzicht und Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft gegen internationale Kontrolle des Atomprogramms –, könnten sich künftige Machthaber grundlegende Fragen stellen. Die außen- und innenpolitische Radikalisierung mag derzeit vielen im Regime als alternativlos erscheinen, ist aber nicht risikolos. Scheitert sie, ist ein neuer Krieg unausweichlich. Der Ausgang wäre ungewiss. Verringert sich jedoch der äußere Druck, könnte die Zeit für innere Reformen kommen. Den klügeren Regimetreuen dürfte nicht entgangen sein, wie tief der Graben zwischen Elite und Volk inzwischen ist. Auf Dauer überlebt kein Regime gegen den Widerstand der eigenen Bevölkerung.
Saudi-Arabien kann ein Vorbild sein – für den Iran und für den Westen
Hier lohnt sich ein Blick nach Saudi-Arabien: Das Königreich hat zuletzt umfassende Reformen von oben durchgesetzt. Im Einklang mit den Hoffnungen großer Teile seiner Bevölkerung hat der Kronprinz einen rigiden Islamismus hinter sich gelassen, ohne das politische Primat des Königshauses aufs Spiel zu setzen. Ganz im Gegenteil. Im Unterschied zur Islamischen Republik ist Saudi-Arabien heute eine Zustimmungsautokratie. Der weltanschauliche, aber gleichzeitig regime-stabilisierende Wandel im Lande des einstigen Erzkonkurrenten im Kampf um die regionale Vorherrschaft dürfte auch Teheran nicht entgangen sein.
Nicht nur für den Iran, auch für den Westen könnte Riad ein Vorbild sein. Saudi-Arabien hat sich außenpolitisch neu erfunden – und dem einstigen Erzfeind Iran die Hand gereicht. Die arabisch-iranische Annäherung ist heute ein Fakt. Im Westen kaum beachtet, hat der Iran regional durchaus einen Zivilisierungs- und Integrationsprozess durchlaufen. Aus saudischer Sicht hat sich das Experiment gelohnt: Als der Worst Case – ein israelisch-iranischer Krieg – eintrat, hat Teheran nicht gegen die mit den USA verbündeten Golfstaaten zurückgeschlagen. Das zeigt zweierlei: Teheran ist rational genug, kein Harakiri zu begehen. Und: es ist in der Lage, auch langjährige ideologische Feindschaften pragmatisch zu überwinden.
Für eine „Saudisierung“ der westlichen Iranpolitik wäre wohl niemand geeigneter als US-Präsident Donald Trump. Der von ihm so benannte Zwölftagekrieg war zwar ein Rückfall in alte amerikanische Reflexe. Das von Washington sehr schnell erzwungene Kriegsende hat jedoch ebenso klargemacht, wie risikoavers Trump letztlich ist. Bloß keinen neuen „Forever War“ mit ungewissem Ausgang. Frieden mit Iran ist – wie der Sanktionsverzicht für Syrien – nichts für Ideologen. Er setzt jemanden voraus, der maximale Disruption mit maximalem Pragmatismus verbindet. Nixon ging einst nach China – warum nicht Trump nach Teheran?
Der Text erschien zuerst im IPG-Journal.
Was fehlt !
Wo sind die eineindeutigen Worte "völkerrechtswidriger Angriffskrieg" Israels und der USA (damt der ganzen "Wertegemeinschaft") gegen Iran ??????
Sowenig ich das Mullahregime mag traue ich ihm doch nicht zu die heiligen Stätten atomar oder konventionell zu bombardieren wie das diese Wertegemeinschaft immer heraufbeschwört.
Wer soll dem Westen noch glauben oder gar vertrauen?
Mit Außenminister Steinmeier wurde in 2015 der JCPoA abgeschlossen, der auf Druck von Israel von Trump in seiner ersten Amtszeit ohne Rücksicht auf Verluste gekündigt wurde. In 2025 haben die USA dann wieder Verhadlungen mit dem Iran aufgenommen, nur um während der laufenden Verhandlungen erst Israel grünes Licht für seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu geben und dann auch noch selbst eigene Bomber loszuschicken. Die IAEA hat in diesem Zusammenhang wohl tatkräftig bei der Zielauswahl auf israelischer und US-Seite geholfen. Verrat ist da noch ein mildes Wort.
Alles was in dem obigen Text als Ziel benannt ist, hätte man ohne israelisch-US-Angriff auf dem Verhandlungswege erreichen können. Dass der Iran die IAEA jetzt nicht mehr ins Land lässt ist so verständlich wie die Zurückhaltung, einfach wieder Verhandlungen mit den USA aufzunehmen. Dass der Iran geschwächt ist, halte ich für Wunschdenken. Eher haben Israel und die USA gemerkt, dass ihnen die Flugabwehrgeschosse ausgehen.