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Vertrauensfrage in Polen: „Tusk will die Reihen schließen.“

Nach der verlorenen Präsidentschaftswahl will Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Mittwoch die Vertrauensfrage im polnischen Parlament stellen. Max Brändle von der Friedrich-Ebert-Stiftung sagt, was er damit bezweckt – und welchen Ausgang er erwartet.

von Kai Doering · 11. Juni 2025
Polens Ministerpräsident Donald Tusk spricht in ein Mikrofon vor einer polnischen und einer EU-Fahne.

Gelingt Donald Tusk ein Befreiungsschlag? Am 11. Juni stellt Polens Ministerpräsident im Parlament die Vertrauensfrage.

Nach der Niederlage seines Kandidaten Rafał Trzaskowski bei der Präsidentschaftswahl will Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Mittwoch im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Was will er damit bezwecken?

Für die Kräfte aus der Koalitionsregierung war die Präsidentschaftswahl eine riesige Enttäuschung. Sie hatte immer versprochen, nach der Präsidentschaftswahl gehe es richtig los; dann könne sie ihre Reformagenda endlich umsetzen. Nun hat ihr Kandidat Trzaskowski – wenn auch denkbar knapp – verloren. Das ist für auch für Donald Tusk ein herber Schlag. Mit der Vertrauensabstimmung am 11. Juni will er die Reihen schließen. Die Vertrauensfrage soll ein Auftakt dafür sein, Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit zu demonstrieren. Tusk ja bereits angekündigt, im Anschluss eine neue Agenda vorzulegen und den Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2023 zu überarbeiten.

Die Vertrauensfrage ist also eher ein Zeichen der Stärke und nicht eines der Schwäche von Donald Tusk?

Ja. Donald Tusk ist der unangefochtene Tonangeber und Steuermann dieser polnischen Regierung Er setzt die Agenda und es gibt auch niemanden von den anderen Parteien, der ihn ernsthaft herausfordern könnte. Tusk hält mit der Bürgerplattform auch die größte Partei und damit die Koalition zusammen. Hinter der Vertrauensfrage steckt auch keine Agenda, die Koalition zu sprengen, wie manche mutmaßen. Ein Ende der Koalition wäre nicht im Interesse irgendeiner der Partner sein.

Und was, wenn Tusk die Vertrauensfrage wider Erwarten verlieren würde?

Das wäre der größtmögliche Triumph für seinen Gegenspieler, Jarosław Kaczyński, den Vorsitzenden der PiS. Der hat die Wahl Nawrockis schon als „Rote Karte“ für die Regierung bezeichnet und gefordert, eine technische Regierung einzusetzen und Neuwahlen anzustreben. Es gibt aber überhaupt keine Anzeichen dafür, dass Donald Tusk die Vertrauensfrage verlieren könnte. Im polnischen Parlament, dem Sejm, gibt es 460 Abgeordnete. Die Regierungskoalition von Donald Tusk setzt sich aus vier Parteienbündnissen zusammen und verfügt zusammen über 242 Stimmen. Das ist eine knappe, aber dennoch eine deutliche Mehrheit.

Max
Brändle

Die Strategie der PiS wird sein, die Regierung immer wieder vor sich her zu treiben, auf ihre innere Uneinigkeit zu verweisen und Wiedersprüche aufzuzeigen.

Was ist von Tusks Ankündigung zu halten, den Koalitionsvertrag zu erneuern?

Das ist ein ganz normaler Vorgang im Laufe einer Legislatur, denn ein Koalitionsvertrag hat in Polen einen ganz anderen Charakter als in Deutschland. Die Vereinbarung aus dem Herbst 2023 umfasst gerade mal acht Seiten, auf denen die großen Linien und einige Personalentscheidungen festgeschrieben wurden, etwa dass zur Mitte der Legislaturperiode der Vorsitzende des Parlaments wechselt. Tusks Ankündigung bedeutet lediglich, dass ein neuer Plan für die zweite Hälfte der Legislatur gemacht werden soll. Ich denke, er wird die Dynamik der aktuellen Entwicklungen nutzen, um jetzt das Kabinett zu straffen und um effizienter zu werden. Auch ein Regierungssprecher soll eingesetzt werden, um besser zu kommunizieren. Das alles bietet Tusk auch die Gelegenheit, kleineren Parteien wie „Polska 2050“ und „Nowa Lewica“ etwas weniger Einfluss zu geben und dafür etwa die Bauernpartei PSL zu stärken.

Warum sollte er das tun?

Die PSL ist zurzeit das schwächste Glied dieser Regierung. Im Parlament gibt es rechnerisch bereits jetzt eine Mehrheit von der PiS mit der rechtsradikalen „Konfederacja“ und der PSL gegen Tusk. Wenn die Bauernpartei umfiele, dann gäbe es ganz ohne Neuwahlen eine neue Regierung oder eine Mehrheit, um das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzustreben. Das heißt, Tusk ist auf die PSL angewiesen, wenn er Ministerpräsident bleiben will. Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass die PSL eher gestärkt aus diesem Regierungsumbau und der Neubewertung des Koalitionsvertrages hervorgeht, um die Regierung damit zu stabilisieren.

Sie meinen also, Tusk wird der angestrebte Befreiungsschlag gelingen?

Ja, ich bin sehr zuversichtlich, dass es ihm gelingt, jetzt diese Regierung zu stabilisieren. Donald Tusk ist mit allen Wassern gewaschen und kann auch Führung zeigen in dieser Regierungskonstellation. Wie lange das allerdings gut geht und ob die Koalition bis zur nächsten regulären Wahl 2027 hält, das vermag jetzt wirklich noch niemand zu sagen und das hängt von vielen anderen Faktoren ab. Die Strategie der PiS wird sein, die Regierung immer wieder vor sich her zu treiben, auf ihre innere Uneinigkeit zu verweisen und Wiedersprüche aufzuzeigen. Wichtige Gesetzgebungsverfahren kann der neue Präsident Nawrocki zudem künftig mit seinem Veto blockieren. Das heißt, es gibt wenig Interesse auf Seiten der PiS und des neuen Präsidenten, Kompromisse einzugehen und irgendwie Fortschritte zu erzielen. Ihre Strategie wird es eher sein, Sand ins Getriebe zu streuen, um so zu zeigen, dass die Regierung nicht von der Stelle kommt und man eine neue Regierung braucht, die von der PiS geführt wird.

Max
Brändle

Vielleicht ist gerade das „Weimarer Dreieck“ von Deutschland, Polen und Frankreich das richtige Format, in dem man sich auf Dinge einigen kann, weil es etwas von der Tagespolitik und von den bilateralen Auseinandersetzungen entfernt ist.

Wie bewertet die Bevölkerung in Polen die aktuellen Vorgänge?

Das hängt sehr davon ab, wen man fragt. Die polnische Gesellschaft ist ja gespalten, was auch die Präsidentschaftswahl wieder deutlich gezeigt hat. Die einen folgen der Argumentation Kaczynskis, dass die Wahl eine rote Karte für die Regierung gewesen ist und sie nun auseinanderfällt. Die andere Seite argumentiert, die Regierung müsse jetzt Stärke und Entschlossenheit zeigen und die Vertrauensfrage sei das geeignete Instrument dafür.

Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger ist in der Woche nach der Präsidentschaftswahl nach Warschau gereist. Der polnische Außenminister Sikorski war in Berlin: ein Zeichen, wie wichtig beiden Seiten die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist?

Ja, definitiv. Von Seiten der PiS wurde Deutschland ja schon mehrfach zum Feindbild erklärt. Auch im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf wurde diese Karte gespielt. Auf Seiten der polnischen wie der deutschen Regierung gab es auch die Hoffnung, dass man nach einer erfolgreichen Präsidentschaftswahl mit einem Ministerpräsidenten und einem Kanzler aus der EVP-Parteienfamilie neuen Schwung in die deutsch-polnischen Beziehungen bringen und die Polarisierung überwinden könnte. Das wird nun nicht unbedingt leichter. Es gibt aber Instrumente, wie das trotzdem gelingen kann. Es finden regelmäßig Regierungskonsultationen statt; in diesem Jahr soll es im September sein. Natürlich gibt es Themen, die schwierig bleiben, aber jede Seite weiß, wie wichtig das jeweils andere Land für das eigene ist. Vielleicht ist gerade das „Weimarer Dreieck“ von Deutschland, Polen und Frankreich das richtige Format, in dem man sich auf Dinge einigen kann, weil es etwas von der Tagespolitik und von den bilateralen Auseinandersetzungen entfernt ist.

Der Gesprächspartner

Max Brändle leitet der Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung für Polen in Warschau.

Max Breändle von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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