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Knappes Ergebnis in Polen: Was die Wahl von Karol Nawrocki bedeutet

Es war denkbar knapp. Doch seit Sonntagabend steht fest: Der rechtspopulistische Kandidat Karol Nawrocki wird neuer polnischer Präsident. Welche Auswirkungen das auf Deutschland und Europa hat, analysiert Max Brändle von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau.

von Max Brändle · 2. Juni 2025
Karol Nawrocki steht lächelnd auf einer Bühne und winkt mit der linken Hand ins Publikum. Mit der rechten Hand hält er die Hand seiner Frau.

Karol Nawrocki wurde zum neuen polnischen Präsidenten gewählt.

Donald Tusks pro-europäische Regierung steht vor einem Scherbenhaufen. Vor eineinhalb Jahren konnte sie mit einem breiten Koalitionsbündnis aus konservativen, liberalen und progressiven Kräften die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nach acht Jahren in der Regierung ablösen. Ihre Mission war die Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Justizsystems, das die PiS nach acht Jahren Regierung (2015-2023) in ramponiertem Zustand hinterlassen hatte. Dieses Versprechen sowie eine gesellschaftliche Liberalisierung, sei es in der Gesetzgebung zur Abtreibung oder bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, scheiterten bislang an eine Blockade durch den Staatspräsidenten, der – anders als in Deutschland – ein stärkeres Vetorecht im Gesetzgebungsverfahren hat. 

Ergebnis zeigt gesellschaftliche Spaltung Polens

Mit denkbar knappem Vorsprung von 50,89 Prozent zu 49,11 Prozent hat der von der PiS unterstütze Kandidat Karol Nawrocki nun die Wahl für sich entschieden. Erste Prognosen nach Schließung der Wahllokale hatten noch den pro-europäischen Kandidaten Rafał Trzaskowski vorne gesehen; erst spät in der Wahlnacht wurde dessen Niederlage deutlich. Die zentralen Wahlkampfversprechen der Regierungskoalition von Donald Tusk sind damit zum Scheitern verurteilt; die Enttäuschung seiner Unterstützer*innen ist programmiert. 

Mit dem hauchdünnen Sieg für Karol Nawrocki verfestigt sich in Polen der Gegensatz zwischen Präsident und Ministerpräsident. Das Wahlergebnis zeigt die gesellschaftliche Spaltung Polens in zwei polarisierte Lager, die sich weniger als politische Wettbewerber, denn als erbitterte Feinde gegenüberstehen. Mit Karol Nawrocki wird nun ein großer Unbekannter Präsident, er war bislang als Politiker nicht in Erscheinung getreten. Karol Nawrocki war Amateurboxer und Personenschützer, als Historiker hatte er zur organisierten Kriminalität und Sport geforscht sowie in Kulturinstituten wie dem Danziger Museum des zweiten Weltkriegs als ideologischer Scharfmacher aus dem Lager der Nationalkonservativen Karriere gemacht. 

Ein Wahlergebnis auf Messers Schneide 

Insbesondere die jungen Wähler*innen (18 bis 29 Jahre) zeigten sich eineinhalb Jahre nach deren Antritt von der neuen Regierung enttäuscht. Bei den Parlamentswahlen 2023 hatten Donald Tusk und seine späteren Koalitionspartner vor allem mit diesen Stimmen gewonnen. In langen Schlangen standen Studierende damals vor den Wahllokalen und wählten den Regierungswechsel: weg von der PiS, für einen Reformkurs der Liberalisierung und europäischen Integration. Doch die neue Regierung konnte nicht schnell genug liefern; nicht allein wegen der Gegensätze zum PiS-getreuen Staatspräsidenten, sondern auch aufgrund eigener Uneinigkeit zwischen den Fraktionen.

Im Wahlkampf setzte Rafał Trzaskowski zudem nicht auf einen Liberalisierungskurs, sondern bot sich vielmehr einen Wettbewerb mit seinem nationalkonservativen Kontrahenten um schärfere Positionen in der Sicherheits- und Migrationspolitik. Das Fischen im rechten Wählerreservoir hat ihm keinen Erfolg gebracht.

Ginge es nach der jüngsten Wählergruppe, wären nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen nicht die Kandidaten der regierungserfahrenen PiS und PO in die Stichwahl gekommen, sondern der Rechtspopulist Sławomir Mentzen und der Linkspopulist Adrian Zandberg. In der zweiten Runde haben sich nun lediglich 48,1 Prozent der jungen Wähler*innen für den Pro-Europäer Trzaskowski entschieden. Die große ideologische Auseinandersetzung zwischen PiS und PO scheint für diese neue Wählergruppe weniger interessant zu sein, als tatsächliche geforderte Veränderungen und schnell sichtbare Erfolge der Regierungsarbeit. 

Jarosław Kaczyński ist ein echter Coup gelungen 

Die Abkehr vom großen ideologischen Kampf der liberal-konservativen Bürgerplattform gegen die national-konservative PiS bei den Jüngeren ist ein Novum im politischen Polen. Je älter die Wähler*innen, desto ausgeprägter bleibt die Spaltung in diese beiden Lager, die sich erbittert darum streiten, wer der rechtmäßige Erbe der Solidarność-Bewegung, wer also Befreier Polens und wer Verräter der polnischen Nation ist.

Je nach Standpunkt führen die einen – so das Narrativ der PiS – das Land in die Knechtschaft der Europäischen Union und Deutschlands; oder – so die Erzählung der pro-Europäer*innen – ruinieren die anderen die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Polens. Diese Spaltung Polens korreliert mit dem Gegensatz zwischen Stadt und Land – in großen Städten mit mehr als 500.000 Einwohner*innen bekam Trzaskowski zwei Drittel der Stimmen. Demgegenüber wählten fast 80 Prozent der Landwirt*innen Nawrocki. Diese Polarisierung hat die Kraft Polen zu lähmen. 

Mit dem Wahlsieg von Karol Nawrocki ist dem 75-jährigen Vorsitzenden der PiS, Jarosław Kaczyński, ein echter Coup gelungen. Während die Tusk-Regierung nun als „lahme Ente“ daherkommt, wird das Lager der Nationalkonservativen vor Kraft kaum gehen können. Konsequent werden sie die das breite Regierungsbündnis von Donald Tusk in deren Uneinigkeit und begrenztem Handlungsspielraum vorführen. Die PiS wird zielgerichtet nach der Übernahme der Regierung greifen. Die nächsten Parlamentswahlen sind regulär für 2027 geplant, falls die aktuelle Regierung denn so lange hält. In Umfragen ist die PiS bereits jetzt regelmäßig stärkste Kraft oder gleichauf mit Donald Tusks „Bürgerplattform“. 

Polen, Deutschland und Europa

Das Amt des Staatspräsidenten ist in Polen mit größerer Macht ausgestattet als in Deutschland. Die direkte Wahl durch die Bürger*innen verleiht ihm ein starkes Mandat, zudem ist er – wie der US-amerikanische Präsident – der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Nicht allein aufgrund dieser stärkeren Rolle des polnischen Präsidenten in der Außen- und Sicherheitspolitik sind die Konsequenzen dieser Wahl für Europa bedeutend. 

Der langanhaltende Aufschwung Polens macht das Land 21 Jahre nach seinem Beitritt zur EU zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde Polen zudem zur entscheidenden Drehscheibe zur militärischen Unterstützung und hat geopolitisch an Bedeutung gewonnen. Dieses wachsende Gewicht wollte die polnische Regierung in einem europäischen Führungsanspruch Polens ummünzen. Die polnische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2025 hätte dazu bereits den Rahmen bieten können, wurde aber nicht zuletzt durch den polarisierten Präsidentschaftswahlkampf überschattet. 

Rückschlag für Weimarer Dreieck

In gestärkter Einigkeit hätte eine pro-europäische Regierung Polens dem „Weimarer Dreieck“ aus Deutschland, Frankreich und Polen Handlungsfähigkeit verleihen können. Diese Pläne drohen nun bedauerlicherweise im Sande zu verlaufen. Aufgrund der Gegensätze zwischen Präsident Nawrocki und Ministerpräsiden Tusk wird es Polen an Entschlossenheit fehlen. Und zudem gewinnt US-Präsident Trump mit Karol Nawrocki einen ideologischen Verbündeten und engen Ansprechpartner, um die Einigkeit der Europäer zu hintertreiben.

Noch Anfang Mai war Nawrocki von Donald Trump im Weißen Haus in Washington empfangen worden – ein ungewöhnliches Wahlkampfgeschenk des US Präsidenten für einen international weitgehend unbekannten Kandidaten. Wahlentscheidend dürfte die Unterstützung Trumps jedoch nicht gewesen sein, das polnisch-amerikanische Verhältnis erlebt vielmehr gegenwärtig selbst eine Phase großer Verunsicherung. 

Das deutsch-polnische Verhältnis hätte von einer europäischen Führungsrolle Polens profitieren können. Ohne eine enge Kooperation Polens und Deutschlands wird die neue europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht gelingen können. Das deutsch-polnische Verhältnis weist weit über ein rein bilaterales Verhältnis hinaus und ist ein notwendiger Pfeiler für den Zusammenhalt in Europa, für Sicherheit und Freiheit. Die PiS hatte vor den Augen ihrer Wählerschaft zuletzt auf Deutschland als Feindbild gesetzt und damit das historisch schwierige deutsch-polnische Verhältnis zusätzlich belastet. Ein konstruktiver Neubeginn der Beziehungen mit Bundeskanzler Friedrich Merz und Ministerpräsident Tusk wird nun unter einem polnischen Präsidenten Nawrocki zusätzlicher Anstrengungen bedürfen. 

Der Text erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Max Brändle

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau. Zuvor war er Leiter des FES-Büros in Belgrad.

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 02.06.2025 - 17:24

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