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Türkei: Warum Istanbuls Bürgermeister Imamoglu ein politisches Verbot droht

Die türkische Republikanische Volkspartei CHP konnte ihre größten Erfolge bei den Kommunalwahlen verzeichnen, Istanbuls Bürgermeister Imamoglu gilt als Hoffnungsträger. Doch das Urteil in einem Verfahren gegen ihn steht noch aus.

von Kristina Karasu · 9. Oktober 2024
Ekrem Imamoglu

In aktuellen Umfragen liegt Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu als potentieller Präsidentschaftskandidat vor Präsident Erdogan.

Als SPD-Chef Lars Klingbeil vergangene Woche für drei Tage in die Türkei kam, ließ er es sich nicht nehmen, auch dem Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu einen Besuch abzustatten. Schon viermal hatten sich die beiden in den letzten Jahren getroffen, die Wiedersehensfreude war groß. 

Imamoglu begrüßte Klingbeil und seine Delegation vor der Zentrale der Istanbuler Wasserwerke, herzlich plauderten sie über Fußball und den Istanbuler Verkehr, bevor sie sich zu einer einstündigen Beratung zurückzogen. Drinnen waren die Themen schwerwiegender, denn Imamoglu ist nicht bloß irgendein Bürgermeister – an ihm hängt die Zukunft der türkischen Opposition. 

„Dummkopf“-Verfahren: Imamoglu droht Politikverbot

In aktuellen Umfragen liegt Imamoglu als potentieller Präsidentschaftskandidat vor Präsident Erdogan, er gilt als charismatischer und volksnaher Hoffnungsträger der türkischen Opposition. Zugleich – oder vielleicht gerade deswegen - droht Imamoglu ein Politikverbot. In dem berüchtigten „Dummkopf“-Verfahren war er bereits Ende 2022 in erster Instanz zu über zwei Jahren Haft verurteilt und mit einem Politikverbot belegt worden, in diesen Tagen wird eine Urteil des Berufungsgerichtes erwartet.

Imamoglu wird vorgeworfen, 2019 die Vertreter der obersten Wahlrates als „Dummkopf“ beleidigt zu haben – Imamoglu bestreitet das. Das ganz augenscheinlich politisch motivierte Verfahren schwebt seit Jahren wie ein Damoklesschwert über Imamoglu. Hinter den Kulissen heißt es, Erdogans AKP sei uneins, ob sie eine endgültige Verurteilung Imamoglus begrüßen oder verurteilen würde. Denn viele AKP-Abgeordnete erinnern sich nur zu gut daran, dass Erdogan selbst 1998 wegen des Rezitieren eines Gedichtes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und mit einem politischen Verbot belegt worden war und damit erst recht zum politischen Helden aufstieg. Mit Imamoglu könnte es ähnlich laufen, befürchten manche in der AKP. 

In eigener Partei umstritten

Zugleich gibt es auch in Imamoglus eigener Partei Kräfte, die ihn nicht zu mächtig sehen wollen, meint der Journalist und politische Analyst Murat Yetkin auf seinem Blog „Yetkin Report“: „Es ist kein Geheimnis, dass es in Ankara CHP-Mitglieder gibt, die sich die Hände reiben, wenn Imamoglu, zusammen mit dem Bürgermeister von Ankara Mansur Yavaş die wichtigste politische Waffe der CHP, ein Politikverbot erhält“. Und obwohl sich die Zeichen mehren, dass ein Urteil bevorsteht, warte die CHP es augenscheinlich erst mal ab, um zu entscheiden, ob sie eine Kampagne dagegen starte oder nicht. „Das ist politische Kurzsichtigkeit. Das ist, als wenn man das Problem nicht vor Augen sieht und den Ast absägt, auf dem man sitzt“, klagte Yetkin. 

In der CHP gibt es mehrere Gruppierungen, die wie schon so oft in der Parteigeschichte um die Macht kämpfen. Der ebenfalls sehr beliebte Oberbürgermeister von Ankara, Masur Yavas, erklärte in den letzten Wochen mehrmals, dass er als möglicher Präsidentschaftskandidat bereit stünde; der Ex-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu meldete sich in den letzten Monaten immer wieder mit fragwürdigen Statements zu Wort – er scheint beleidigt, dass er nicht mehr an der Macht ist. Und gegen Parteichef Özgür Özel wurden am Wochenende Gerüchte gestreut, er habe seit langem eine außereheliche Affäre mit einer wesentlich jüngeren Parteikollegin – er legte prompt Klage dagegen ein. 

Bezirksbürgermeisterin Dedetas warnt vor Machtkämpfen

Vergangene Woche zeigte sich CHP-Chef Özgür Özel beim Besuch von Klingbeil in der Parteizentrale in Ankara gut gelaunt, seine Partei zeigte sich selbstbewusst. Nicht ohne Grund - die CHP ging bei den Kommunalwahlen im März landesweit das erste Mal seit Jahrzehnten stärkste Kraft hervor. Auf kommunaler Ebene kann die CHP mit neuen, sozialdemokratischen Projekten wie Sozialhilfen für Student*innen und junge Mütter, günstigen Volkslokalen und modernen Kulturfestivals Erfolge verzeichnen.

Klingbeil besuchte auch die junge Bezirksbürgermeisterin des historischen Istanbuler Bezirks Üsküdar, Sinem Dedetas, die fleißig und beharrlich historische Plätze modernisiert, Renter*innen unterstützt, kostenlose Popkonzerte veranstaltet, Kindergärten eröffnet und den jahrzehntelang von der AKP hofierten islamistischen Stiftungen vor Ort den Geldhahn zudreht. Sichtlich beeindruckt zeigten sich Klingbeil und seine Delegation von der positiven Energie und der Tatkraft der Bezirksbürgermeisterin Dedetas. 

Die selbst fand in einem gemeinsamen Gespräch mit jungen Vertreter*innen ihrer Partei für die CHP klare Worte: „Wir müssen einen Plan für die Zukunft unseres Landes präsentieren“, mahnte sie. Tatsächlich zeigt sich die CHP auf Landesebene noch wenig visionär, viele Wähler*innen vermissen von der Partei konkrete Vorschläge für Wege aus der Inflations-, Wirtschafts- und Bildungskrise, erwarten von ihr eine wirklich demokratische Alternative. Für endlose innerparteiische Machtkämpfe haben sie hingegen wenig übrig.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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