Präsidentenwahl in Belarus: Bereitet Lukaschenko seinen Rückzug vor?
In Belarus steht am 26. Januar 2025 die „Wahl“ des Präsidenten an. Ihr Sieger wird erneut Alexander Lukaschenko heißen – wie immer seit 1994. Trotzdem könnte sich etwas bewegen.
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Alexander Lukaschenko: Seit 1994 ist er der alleinige Machthaber in Belarus, die Opposition hat er ausgeschaltet.
Es ist selten erfolgversprechend, auf schwarze Schwäne zu setzen. Als schwarzen Schwan bezeichnet man ein unvorhersehbares Ereignis mit erheblichen Auswirkungen. Im Kontext von Belarus wären das beispielsweise der Einsatz taktischer Nuklearwaffen, der plötzliche Tod Lukaschenkos oder ein Einmarsch der Ukraine in Südbelarus.
Opposition hofft auf schwarze Schwäne
Die politische Führung der 2020 so starken Demokratiebewegung wartet im Exil auf solche schwarzen Schwäne. Ihr bleibt angesichts der Schärfe der Repressionen im Land derzeit schlichtweg nichts anderes übrig. Ihre Führungsfigur Swetlana Tichanowskaja sagt, es sei nicht der Moment, um zu Protesten aufzurufen. Aber man glaube weiterhin, dass sich in absehbarer Zukunft wieder ein „Window of Opportunity“ bieten werde.
Vertreter der Demokratiebewegung können bei den „Nicht-Wahlen“ (wie Tichanowskaja sie nennt) ohnehin nicht antreten. Das Wahlrecht wurde extra nochmal nachgeschärft. So muss man nun, um zu kandidieren, beispielsweise für 20 Jahre in Belarus gelebt haben und darf keinen Aufenthaltstitel in einem anderen Land haben. Tichanowskaja hat Unterstützern im Land empfohlen, „gegen alle“ abzustimmen, denn das sei eine vermeintlich sichere Form des Protests.
Keine Beobachtermission der OSZE bei Wahlen
Die mit Erfüllungsgehilfen besetzten lokalen Wahlkommissionen werden allerdings ohnehin „genehme“ Zahlen nach oben weitermelden. Eine OSZE-Beobachtermission wird es nicht geben. Um Regimegegnern im Exil die Möglichkeit der Abstimmung zu nehmen, gibt es diesmal keine Urnen im Ausland. Scheinbar testete Lukaschenko im Vorfeld eine Blockade von YouTube und diversen Social-Media-Kanälen. Und wenn doch noch alles schiefgehen sollte, hat das seit 2020 hypersensibilisierte Regime auch für den Kampf auf der Straße vorgesorgt.
Die vier von Lukaschenkos Gnaden registrierten Gegenkandidaten würden auch dann keine ernst zu nehmende Alternative zu ihm bieten, wenn sie eine faire Chance hätten. Drei von ihnen machen sich gar nicht die Mühe, ihre Rolle als bloße Sparringspartner irgendwie zu verschleiern: Sie alle sind Vorsitzende von Lukaschenko wohlgesonnenen Systemparteien. Der radikal stalinistisch anmutende Erste Sekretär der Kommunistischen Partei, Sergej Sirankov, sprach davon, dass er „nicht gegen, sondern gemeinsam“ mit Lukaschenko antrete. Der exzentrische anti-europäische Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei Oleg Gajdukewitsch betonte, dass er Lukaschenko am Wahltag gerne gratulieren wolle. Der Vorsitzende der Republikanischen Partei für Arbeit und Gerechtigkeit, Alexander Chischnjak, nannte seinen Kontrahenten Lukaschenko „die richtige Wahl“.
Christopher Forst
Eine staatsnahe Umfrage attestierte Lukaschenko im Vorfeld der Wahlen 82,5 Prozent Zustimmung.
Damit bleibt noch Hanna Kanapazkaja übrig. Kanapazkaja war mehrere Jahre lang eine Exotin als moderat oppositionelle Abgeordnete im belarusischen Parlament und früher Mitglied der mittlerweile (wie auch alle weiteren pro-demokratischen Parteien) verbotenen oppositionellen liberal-konservativen Vereinigten Bürgerpartei. Heute hält sie sich an die Spielregeln. Sie kritisiert die politischen Zentren der Demokratiebewegung im Exil scharf und hat sich rhetorisch nur sehr vorsichtig für die Rehabilitation politischer Gefangener und für eine Rückkehr exilierter Dissidenten eingesetzt.
Eine staatsnahe Umfrage attestierte Lukaschenko im Vorfeld der Wahlen 82,5 Prozent Zustimmung. Alle anderen Kandidaten zusammen kämen demnach lediglich auf 2,9 Prozent. Zudem würden 7,9 Prozent der Befragten gegen alle stimmen, während 6,7 Prozent angäben, definitiv nicht zur Wahl gehen zu wollen. Es ist wahrscheinlich, dass Lukaschenko die von ihm selbst in Auftrag gegebenen Prognosen noch übertreffen möchte.
Sanktionen gegen das Regime wirken bisher kaum
Der Westen wird dann einerseits weiter auf Sanktionen setzen. Man wird vor allem versuchen, Schlupflöcher in den bestehenden Sanktionen zu schließen. Der russische Markt hat die belarusische Wirtschaft allerdings bislang nicht nur stabilisiert, sie wächst sogar. Das Argument, dass die Sanktionen das Regime erst recht in die Arme Moskaus getrieben hätten, ist faktisch nicht falsch. Es übersieht aber natürlich das Momentum im Jahr 2020 ebenso wie die Tatsache, dass die Sanktionen auch wegen nahezu unfassbarer Vergehen wie der Entführung einer Ryanair-Maschine und der bewussten Förderung illegaler Migration verhängt wurden und dass Brüssel derartige Akte genauso wie die umfangreiche Gewalt im Nachgang der Präsidentschaftswahlen 2020 und die Rolle von Belarus im Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht einfach so stehen lassen konnte. Dennoch: Wirkungsvoll erscheinen die Sanktionen bislang nicht.
Also kommt zweitens zusätzlich auch wieder die Diplomatie ins Spiel. Nun ist Diplomatie mit einem Regime, dessen Anführer man seit 2020 nicht als Präsident anerkennt, nicht so leicht. Die Entscheidung, Lukaschenko 2020 explizit nicht anzuerkennen, war folgenschwer und vielleicht auch falsch, denn sie verkompliziert notwendige Kommunikation. Ihn nach der Nicht-Wahl 2025 plötzlich anzuerkennen, wäre aber genauso falsch, da es ein Signal des Vergessens senden würde. Dennoch braucht es Diplomatie, zumindest um die Freilassung politischer Gefangener zu beschleunigen.
Zwischen Amnestie und Repression
Lukaschenko nutzt diese bewusst als Verhandlungsmasse. Acht Amnestie-Runden hat es mittlerweile gegeben. Deutlich über 200 anerkannte politische Gefangene wurden schrittweise freigelassen – noch immer sind gleichwohl rund 1 250 inhaftiert. Noch kann man also allenfalls von ersten Schritten sprechen, zumal sich gleichzeitig die Repressionen im Wahlkampf sogar nochmals intensiviert haben. Symbolträchtig war, dass mit Viktor Babariko und Maria Kolesnikowa zwei der prominentesten politischen Gefangenen erstmals nach jeweils fast zwei Jahren der Außenwelt gezeigt wurden. Beide sind stark abgemagert, aber sie leben. Nicht einmal das war klar.
Christopher Forst
Das Regime hofft nun auf Gegenleistungen.
Das Regime hofft nun auf Gegenleistungen, was zwei zentrale Fragen aufwirft: Was müsste geschehen, damit diese möglich werden? Und wie weit kann man dabei gehen? Ein theoretisch realistisches Maximum scheint derzeit die Entsendung einiger Botschafter nach Minsk zu sein – schließlich unterhält beispielsweise Deutschland auch in Moskau noch eine Botschaft. Allerdings müssten Botschafter ihre Ernennungsurkunden bei Lukaschenko abholen, der international nicht als Präsident anerkannt wird. Die Lage ist vertrackt.
Dennoch: Es kann sich auch abseits von schwarzen Schwänen und trotz fünf weiterer Jahre „Väterchen Lukaschenko“ etwas bewegen.
Erstens: Lukaschenko wird seine subjektive Stärke nach seinem Wahlsieg nutzen wollen, um seinen Spielraum gegenüber Moskau auf allen Ebenen möglichst groß zu halten. Diplomatisch wird er dem Westen nun erst recht Avancen machen, wirtschaftlich noch stärker in Peking für Zusammenarbeit werben. Gleichzeitig wird er jedoch den russischen Angriffskrieg weiter mit Material und Logistik unterstützen, daran führt kein Weg vorbei.
Lukaschenko kalkuliert Kosten und Nutzen
Zweitens: Die innenpolitischen Risiken werden für Lukaschenko scheinbar geringer. In dieser Gemengelage ist es zumindest denkbar, dass es eine große Amnestie-Runde geben könnte, die sogar einige Führungsfiguren der Proteste von 2020 mit einschließen könnte. Amnestien haben in Belarus als diplomatisches Stilmittel nicht erst seit 2024 eine gewisse Tradition. Und das ist wohl auch die Antwort auf die Frage, was nun passieren muss. Die Reaktion wird dann angesichts der Schwere der Vorkommnisse in und nach 2020 dennoch wie beschrieben verhalten ausfallen. Deshalb bleibt auch die Frage nach der Kosten-Nutzen-Rechnung für das Regime bestehen.
Drittens: Die Zahl der Migranten, die versuchen über Belarus illegal in die EU einzureisen, wird wohl wieder steigen, sobald es wärmer wird. Die Einladung des Regimes zu einer Konferenz hierzu blieb 2024 in der EU fast ausnahmslos unbeantwortet. Sollten allerdings bereits erste Schritte der Annäherung gemacht sein, könnte man schnell wieder bei diesem Gesprächsthema landen.
Rolle beim Friedengipfel zum Ukraine-Krieg?
Viertens: Das Regime wird versuchen, bei möglichen Friedensverhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine am Verhandlungstisch zu sitzen. Minsk könnte allerdings wohl, wenn überhaupt, an einem großen Friedensgipfel teilnehmen. Kurzfristig ist jedoch eine erste Waffenstillstandsvereinbarung das realistischere Szenario und in diesem Kontext hat man nichts anzubieten. Aber: Am Ende des Weges könnte eine neue regionale Sicherheitsordnung auch Minsk helfen, künftigem russischem Expansionsdruck etwas entgegenzuhalten.
Der belarusische Machthaber sprach kürzlich in Anlehnung an das verhasste Amerika von Belarus als Land voller Möglichkeiten. Unter seiner Ägide ist Belarus jedoch allenfalls das Land der begrenzten Möglichkeiten. Eines Tages ist natürlich tatsächlich auch Lukaschenkos Abgang denkbar. Er hat sogar schon einige Mühe in Reformen gesteckt, die ihn dann absichern könnten. So hat er die bis dato vollkommen zahnlose „Allbelarusische Volksversammlung“ mit einigen zusätzlichen Befugnissen ausgestattet und sich die Option offengehalten, nach dem Ende seiner Präsidentschaft den Vorsitz dieser Institution zu übernehmen. Außerdem sicherte er sich für den Fall seines Abtritts volle Immunität und finanzielle Vorteile. Auch um die Absicherung seiner Familie hat er sich bereits gekümmert. Im Wahlkampf sprach er zuletzt häufiger von einem „Generationenwechsel“. Schon nach den Protesten 2020 deutete Lukaschenko seinen Rückzug an – und sitzt weiterhin fest im Sattel.
ist Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung für Belarus und Leiter des Regionalbüros „Dialog Osteuropa“ mit Sitz in Kiew.