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Asylrecht aufweichen: Kritik an Vorschlag der EU-Kommission zu Belarus

Die Situation an der EU-Außengrenze ist weiterhin angespannt: Während von Belarus aus weiterhin Flüchtende in die EU gelangen wollen, will die EU-Kommission nun das Asylrecht aufweichen. Doch es gibt scharfe Kritik von Sozialdemokrat*innen.
von Benedikt Dittrich · 2. Dezember 2021
Asylrecht im Grenzgebiet: Flüchtende harren in Belarus in einem Logistikzentrum aus.
Asylrecht im Grenzgebiet: Flüchtende harren in Belarus in einem Logistikzentrum aus.

Die EU-Kommission hat Polen, Lettland und Litauen vorgeschlagen, vorübergehend das europäische Asylrecht aufzuweichen. Die EU-Länder an der Grenze zu Belarus sind seit einigen Wochen damit konfrontiert, dass von Belarus aus – offenbar gesteuert vom Machthaber Lukaschenko – Flüchtende die Grenze versuchen zu überqueren und Asyl zu beantragen. Es gibt allerdings keine Einigkeit in der EU darüber, ob und wie diese Menschen aufgenommen werden könnten, Polen verweigert Medienberichten zufolge den Grenzübertritt und ein rechtskonformes Asylverfahren, wie auch Birgit Sippel (SPD) aus dem Europaparlament im Interview mit dem „vorwärts“ scharf kritisiert – stattdessen dominieren Bilder von Stacheldraht und Grenzpolizei die Debatte.

Verfahren verlängern, Abschiebungen vereinfachen

Die Lösung der EU-Kommission sieht nun offenbar so aus: Das EU-Asylrecht soll vorübergehend aufgeweicht werden. Antragsfristen und Prüfungen sollen anstatt auf wenige Tage nun auf mehrere Wochen ausgedehnt werden, außerdem sollen Asylverfahren direkt an der Grenze abgeschlossen werden dürfen. Das hätte zur Folge, dass Menschen, die die EU-Außengrenzen übertreten, an der Grenze länger festgehalten werden könnten und bereits dort über Asylverfahren entschieden werden könnte. Die Mindestvorgaben für solche Auffanglager sollen abgesenkt werden, Abschiebungen sollen ebenfalls vereinfacht werden. EU-Kommissionsvize Margaritis Shinas sprach in einer Pressekonferenz am Mittwoch von einer „hybriden Bedrohung“ auf die man reagiere. Die für Inneres zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson erklärte den Vorschlag in dieser „Notlage“ so: „Dies sollte es den betreffenden Mitgliedstaaten ermöglichen, das Recht auf Asyl in vollem Umfang zu wahren.“

Dabei hat die Kommission offenbar ein Verfahren gewählt, bei dem nur die Mitgliedsstaaten entscheiden müssten, das EU-Parlament stimmt nicht darüber ab. Birgit Sippel, migrationspolitische Sprecherin der SPD-Abgeordneten im Parlament, wittert dabei vor allem eines: Führungsschwäche der Kommissions unter Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU): „Statt den Mitgliedstaaten und den Menschen vor Ort zu helfen, spielen die Vorhaben den Regierungen in die Hände, welche die Notlage schutzbedürftiger Menschen ausnutzen wollen, um eine angebliche Migrationskrise heraufzubeschwören.“

Die Kommission beuge sich dem Druck dieser Regierungen, kritisiert Sippel – und nennt dabei unter anderem Polen. Weder würden die Länder an der Grenze zu Belarus dadurch entlastet noch würde Belarus damit sanktioniert werden. Sippel hatte schon zuvor kritisiert, dass die polnische Regierung mögliche Hilfen, beispielsweise über die EU-Grenzschutzagentur Frontex, nicht nutze. „Die polnische Regierung verfolgt offensichtlich andere Interessen als eine Entschärfung der Grenz-Situation“, so Sippel weiter.

Am besten Asylrecht aussetzen?

Polen selbst scheint der Vorschlag auch nicht auszureichen. Medienberichten zufolge pocht die polnische Regierung statt auf einer Verlängerung der Asylverfahren auf eine komplette Aussetzung – so reagierte jedenfalls der polnische EU-Botschafter, Andrzej Sados, auf den Vorschlag. Für Birgit Sippel indes ist klar: Selbst die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen seien vor allem unerbittlich gegenüber schutzbedürftigen Menschen: „Asyl zu beantragen ist ein Recht und kein Verbrechen.“

Für Sippel liegt das grundsätzliche Problem in dem fehlenden Asylkonzept der EU. Außerdem wirft sie der polnischen Regierung Rechtsbruch vor, da Menschen die von Belarus aus die Grenze übertreten, gar nicht ermöglicht wird, einen Antrag auf Asyl zu stellen. „Polen verhält sich rechtswidrig und weder die EU-Kommission noch die anderen Mitgliedsstaaten gehen dagegen vor. Das finde ich ausgesprochen bedenklich“, erklärt sie im Interview mit dem „vorwärts“.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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