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Özgür Özel auf dem SPD-Parteitag: Wer ist der türkische Oppositionsführer?

Am Samstag hält der türkische Oppositionsführer Özgür Özel ein Grußwort auf dem SPD-Parteitag. Er hat seine Partei, die CHP, zu einem historischen Wahlsieg geführt – doch nun droht ihr die Zwangsverwaltung.

von Kristina Karasu · 28. Juni 2025
Der CHP-Vorsitzende mit erhobenem rechtem Arm am Redepulte hinter dem CHP-Logoi

CHP-Chef Özgür Özel: Am Samstag spricht der türkische Oppositionsführer auf dem SPD-Parteitag.

Mit Baskenmütze auf dem Kopf thronte der türkische Oppositionsführer Özgür Özel Mitte April auf einem Traktor und führte einen Konvoi protestierender Landwirte an. Am Straßenrand jubelten ihm euphorische Bürger*innen zu, und das im mittelanatolischen, religiös-nationalistischen Yozgat, eigentlich einer absoluten AKP-Hochburg. Die Bilder sorgten in der Türkei für Furore. Özel wurde als volksnaher CHP-Chef gefeiert, dem es gelang, die Wut der Menschen auf das autoritäre Erdoğan-Regime in eine politische Bewebung zu verwandeln.

Regierungsnahe Medien diffamierten Özel prompt als Marionette İmamoğlus

Erst seit eineinhalb Jahren führt Özgür Özel die säkulare CHP, doch selten ging seine Partei durch so turbulente Zeiten. Nach der Wahlniederlage der CHP 2023 unter dem damaligen Vorsitzenden und Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu forderten viele in der Partei ebenso wie an der Basis einen Wechsel in der Parteiführung. Der populäre Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu war eine der lautesten Stimmen. Er schlug Özgür Özel als Kandidaten vor – der gewann. 

Özel stammt aus dem westtürkischen Manisa und ist gelernter Apotheker, seit 2011 sitzt er für die CHP im Amt. Er zählt zum linken Flügel der Partei und ist mit 50 Jahren weit jünger als sein langjähriger Vorgänger Kemal Kılıçdaroğlu (76). 

Regierungsnahe Medien diffamierten Özel prompt als Marionette İmamoğlus, warfen ihm mangelnde Führungsstärke vor. Doch sie verrechnete sich. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2023 gewann Özels CHP das erste Mal nach Jahrzehnten gegen Erdoğans AKP, regiert seither fast alle wichtigen Städte des Landes. Bis heute liegt die CHP in fast allen Umfragen vorne.

Widerpart von Präsident Erdoğan 

Staatspräsident Erdoğan unternimmt seither alles, um Özgür Özel in die Defensive zu drängen. Seit letztem Herbst wurden immer mehr oppositionelle Bürgermeister*innen abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war der 19. März, als der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu festgenommen wurde, Erdoğans stärkster Konkurrent. Er sitzt seither wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen in Haft. In mehreren Verhaftungswellen ließ die Justiz anschließend über hundert Bürokraten, Geschäftsleute und Bezirksbürgermeister aus dem Umfeld İmamoğlus verhaften. 

Hunderttausende im ganzen Land gingen in den letzten Monaten dagegen auf die Straße. Özgür Özel leitet diese Proteste an, hielt Kundgebungen in Bursa, Tekirdag, Trabzon und Izmir ab. Er wurde zur Stimme derjenigen, die mangelnde Rechtsstaatlichkeit und staatliche Willkür im Land anprangern und unter der nicht enden wollenden Hyperinflation ächzen. 

Die Angriffe auf die CHP gehen ungebremst weiter

Die internationalen Reaktionen auf Imamoglus Vehaftung blieben bisher verhalten. Die SPD, Schwesterpartei der CHP, verurteilte İmamoğlu Verhaftung allerdings schon früh, vor allem ihr Co-Vorsitzende Klingbeil, der İmamoğlu seit Jahren gut kennt. Die SPD möchte bei ihrem Parteitag am Wochenende nun eine Resolution verabschieden, die die Freilassung İmamoğlus und aller politischen Gefangenen in der Türkei fordert: „Seine Verhaftung ist der Versuch, den stärksten politischen Wettbewerber mit unlauteren Mitteln auszuschalten – ein Angriff auf Demokratie und freie Wahlen in der Türkei“, heißt es in der Resolution. Özgür Özel soll beim SPD-Parteitag ein Grußwort halten – vermutlich auf Deutsch, das er sehr gut beherrscht.

Während Özel in Berlin viel Solidarität spüren dürfte, gehen in der Türkei die juristischen Angriffe auf die CHP ungebremst weiter. Ein Gericht wirft Özgür Özel nun vor, Delegierte beim Parteitag 2023 mit Geld bestochen zu haben, damit sie für ihn stimmen. Laut Insidern ist an den Vorwürfen einiges wahr – ebenso wie die Korruptionsvorwürfe gegen İmamoğlu.

Wird die CHP unter Zwangsverwaltung gestellt?

Um seiner Absetzung zuvor zu kommen, berief Özel im Frühjahr bereits einen außerordentlichen Parteitag ein und wurde einstimmig als Parteichef bestätigt. Trotzdem soll kommende Woche das Gerichtsverfahren starten; regierungsnahe Medien sprechen bereits von einer möglichen Zwangsverwaltung der CHP ebenso wie von einer Rückkehr des Ex-Parteichefs Kılıçdaroğlu. Der schweigt bisher zu den Vorwürfen gegen Özel.

In der Wählerschaft ist Kılıçdaroğlu seit seiner Wahlniederlage 2023 höchst unbeliebt. Statt die Niederlage einzugestehen und zurückzutreten, tat Kılıçdaroğlu, als sei nichts gewesen. Das haben ihm viele Bürger*innen bis heute nicht verziehen. Erdoğan würde eine Rückkehr Kılıçdaroğlus hingegen begrüßen: er ist für ihn ein leichter Gegner. Gegen kämpferischen Konkurrenten wie Özgür Özel und Ekrem İmamoğlu will der Staatspräsident hingegen nicht antreten.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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