Österreich wählt: Kann SPÖ-Chef Andi Babler den Rechtsrutsch verhindern?
Kurz vor der Wahl des neuen Nationalrats am 29. September herrscht in Österreich eine Wechselstimmung. Droht ein „Rechtserdrutsch“ unter einem Kanzler Herbert Kickl? Oder kann die SPÖ mit Andi Babler den Kanzler stellen? Spannung ist auf den letzten Metern garantiert.
IMAGO / Harald Dostal
Teilnehmer*innen beim SPÖ-Wahlkampfauftakt zur Nationalratswahl 2024 in Linz (Österreich).
Vorne steht ein kleiner Mann mit Nickelbrille, der manchmal schaut wie die Maus in der Lebendfalle. Legt er mit seinen Reden los, dann in einem immergleichen gepressten Sound, einer hohen Fistelstimme, mit passiv-aggressiven Grundton: FPÖ-Chef Herbert Kickl.
In seiner Freiheitlichen Partei Österreichs, kurz FPÖ, war er wahrscheinlich nicht zufällig jahrzehntelang die Nummer zwei, der, der im Hintergrund Fäden zog, der die Linie und die Wordings vorgab, der den Wortführern die Pointen schrieb und im Wahlkampf die Plakatslogans austüftelte. Irgendwann spülten ihn die Spaltungen und Skandale seiner Partei an die Spitze, nachdem Jörg Haider gestorben war, nachdem Heinz-Christian Strache in Ibiza aus seiner Laufbahn geworfen wurde, nachdem der Übergangsanführer Norbert Hofer sich als zu lau, zu unradikal und zu wenig belastbar erwiesen hat.
Herbert Kickl: so extrem wie Björn Höcke
Anders als seine leutseligen und schulterklopfenden Vorgänger strahlt Kickl immer auch ein wenig aus, dass er Menschen eigentlich nicht mag. Nichtsdestoweniger könnte dieser Herbert Kickl bei den Nationalratswahlen Ende September seine Partei auf Platz eins führen und sogar Bundeskanzler werden. Jener Kickl, der seiner Partei in den vergangenen Jahren einen Kurs der permanenten Selbstradikalisierung verordnet hat.
Es gibt kaum etwas, was Herbert Kickl in der Radikalität von Björn Höcke unterscheidet. Während der Pandemie wetterte er gegen das „Corona-Unrechtsregime“, führte sogar Demonstrationen an. Stets polemisiert er in Superlativen, bezeichnet die Konkurrenz als „Einheitsparteien“, die Regierenden werden als Unterdücker dargestellt, die Malaise des Landes ausgemalt, als wäre Österreich ein Failed State – und er der einzige Retter.
Die rechtsextremen Identitären hofiert er als „unterstützenswert“ und eine „NGO von rechts“, Identitären-Kader sitzen in Landtagen und Parlamenten als Mitarbeiter. Die freiheitliche Jugend haben sie faktisch übernommen. Bei seinen Wahlkampfreden fordert Kickl „Remigration“ – das rechtsextreme Codewort für Abschiebungen, aber auch für Anstrengungen, Leute aus dem Land zu vertreiben, indem man es für sie unbequem macht.
Rechtserdrutsch befürchtet
Im gerade veröffentlichten Wahlprogramm der FPÖ wird die „Homogenität des Volkes“ zum Ziel erklärt, die doppelt gefährdet ist: durch die Einwanderung und durch lebenskulturelle Heterogenität, durch queere Lebensweisen etwa oder durch avantgardistische Kultur. Im Wahlprogramm wird gefordert, kein Geld mehr für den Eurovisions-Song-Contest auszugeben. Er trommelt für eine „Festung Österreich“ und prahlte zuletzt beim Polit-Aschermittwoch damit, dass er schon „Fahndungslisten“ in der Schublade hat. Selbstverständlich steht Kickl fest an der Seite von Wladimir Putin.
In seiner kurzen Zeit als Innenminister der Regierung Sebastian Kurz erwirkte sein Kabinett sogar einen Durchsuchungsbeschluss beim Verfassungsschutz, was zu der absurden Situation führte, dass eine Polizeieinheit den Staatsschutz stürmte und viele heikle Daten mitnahm. Österreichs Geheimdienst – der nicht zuletzt für die Terrorismusbekämpfung zuständig ist – war durch die Skandal-Aktion für lange Zeit lahmgelegt und musste danach neu aufgebaut werden. „Es gibt keinen Rechtsruck – es gibt einen Rechtserdrutsch, gesellschaftlich, der längst in vollem Gange ist“, schreibt der Dramatiker Thomas Köck in seinem jüngst erschienen Band „Chronik der laufenden Entgleisungen“ über den österreichischen Wahlkampf.
Dennoch liegt Herbert Kickls FPÖ in allen Umfragen seit bald zwei Jahren an der Spitze. Die Ausgangsposition für den Urnengang sieht jetzt so aus:
Kann ein Kanzler Kickl noch verhindert werden?
Die Umfragen haben die FPÖ bei rund 28 Prozent, die konservative Österreichische Volkspartei Volkspartei (ÖVP) bei 25 bis 26 Prozent, die Sozialdemokratie (SPÖ) bei rund 21 Prozent. Aber da beginnen die Unsicherheiten auch schon. Es gibt auch Umfragen, die die SPÖ auf Platz zwei haben. Vor allem haben sich die Umfragen in den vergangenen Monaten als sehr ungenau erwiesen. Gerade die FPÖ war oft weit überbewertet. Bei Lokalwahlen blieb sie deutlich hinter den Prognosen zurück.
Vor den EU-Wahlen hatten sie manche Institute schon bei rund 30 Prozent. Geworden sind es dann etwas mehr als 25 Prozent. Freiheitliche, Konservative und Sozialdemokraten waren gerade einmal jeweils einen Prozentpunkt getrennt. Warum das so ist, dass die FPÖ chronisch überbewertet ist, darüber streiten die Experten. Möglich, dass in vielen Umfragen Online-Befragungen zu stark gewichtet sind und die FPÖ-Anhänger unter den Social-Media-Nerds einfach überrepräsentiert sind.
Noch wahrscheinlicher ist, dass Herbert Kickl womöglich doch eine Spur zu radikal ist. „Ich würde die FPÖ schon wählen, aber der verrückte Kickl übertreibt“, ist ein Standard-Satz, den man auch im weiteren FPÖ-Sympathisantenmilieu nicht selten hört. Das könnte die Achillesferse der FPÖ sein.
Kann die ÖVP mit einem „Weiter so“ punkten?
Darauf setzt die Konkurrenz, etwa auch die konservative Volkspartei. Sie stellt mit Karl Nehammer den Kanzler, der die vergangenen fünf Jahre mit den „Grünen“ koaliert, aber eine horrible Regierungsperiode hinter sich hat. Ihr Wunderkind Sebastian Kurz musste sie nach einer Reihe von Affären und Korruptionsskandalen fallen lassen.
Die Stimmung in der Bevölkerung ist schlecht, es gibt praktisch kein Wirtschaftswachstum, das Land ist was die ökonomische Performance anlangt, beinahe auf die Position des EU-Schlusslichts zurückgefallen.
Die Inflation erreichte europäische Rekordmarken, die Regierung konnte sich nicht dazu durchringen, sie mit Strompreis-, Gaspreis- oder Mietpreis-Bremsen wenigstens ein bisschen zu dämpfen. Generell sind die Kalamitäten der Gegenwart sowieso ein Handicap für alle Amtsinhaber, sogar dann, wenn sie eine bessere Bilanz aufweisen können als Nehammer.
Die Volkspartei hegt freilich die Hoffnung, es als „kleineres Übel“ in den Augen der Wählerinnen und Wähler doch noch auf Platz eins zu schaffen. Quasi mit der Botschaft: Kickl ist zu extrem, der sozialdemokratische Spitzenkandidat wiederum sei ein „linker Kommunist“ und hat sowieso keine Chance, also wählt Nehammer, wenn ihr Kickl nicht als Kanzler wollt.
Ein Moment für die Sozialdemokratie?
An sich wäre aktuell der Moment für die Sozialdemokratie. Sie ist in der Opposition, was in der gegenwärtigen Lage ein Vorteil ist. Es gibt eine Wechselstimmung, da die Menschen unzufrieden sind. Die Rechtsextremen sind so arg, dass selbst ihre Anhänger Zweifel haben. Aber die SPÖ ist seit Jahren in keinem guten Zustand. Innere Zerwürfnisse, Konflikte und Vorsitz-Wechsel haben tiefe Wunden geschlagen und eine Stimmung innerer Rivalität etabliert.
Diese Jahre der Unruhe haben zu einem permanenten Wechsel in der Parteizentrale geführt. Im Vorjahr eskalierte der permanente Kampf zwischen der damaligen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und dem Anführer des „rechten Flügels“, des burgenländischen Landeshauptmannes Hans-Peter Doskozil in einem Showdown und einer Kampfabstimmung, die dann der dritte Kandidat gewann, der linke Basiskandidat und Bürgermeister Andreas Babler.
Seine Stärken sind seine Glaubwürdigkeit, seine Charakterattribute wie integer, volksnah, geerdet. Diese Stärken spielt er auch im Wahlkampf aus, er kämpft wie ein Löwe, zieht von Hauptplatz zu Volksfest, ist überall präsent und hat eine begeisterte Anhängerschaft. Seine Schwächen sind freilich, dass er für viele Wähler der Mitte nicht „Kanzler-Like“ genug ist, dass man ihn sich als Regierungschef vielleicht schlecht vorstellen kann.
Man hat zu wenig getan, um dieses Defizit auszugleichen. Dass er eine Partei vorsteht, die merkbar in unterschiedliche Richtungen zieht, ist sein wesentliches Problem. Dass er praktisch die gesamte Medienlandschaft gegen sich hat, deren geradezu chronischen Nörgeleien er ausgesetzt ist, macht die Sache auch nicht leichter. Aber es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Andreas Babler den Wahlkampf noch dreht.
Wie kann demnächst regiert werden?
Theoretisch können also sowohl FPÖ als auch ÖVP als auch SPÖ als Nummer eins durchs Ziel gehen – wenngleich FPÖ und ÖVP beim Stand der Dinge Vorteile haben. Die liberalen NEOS (eine etwas liebenswürdigere Version der FDP) und die Grünen liegen bei rund zehn Prozent. Anti-Politik-Parteien wie die „Bierpartei“ und die linken Kommunisten könnten theoretisch auch den Sprung über die 4-Prozent-Hürde und damit den Einzug ins Parlament schaffen. Dass FPÖ und ÖVP gemeinsam regieren ist wohl die wahrscheinlichste Variante, auch wenn die konservative Volkspartei eine Koalition mit Herbert Kickl ausschließt, den sie als „rechtsextrem“ ablehnt. Aber solche Versprechen hat die Partei auch in Niederösterreich und Salzburg abgegeben, und danach über Bord geworfen. Auch ÖVP-SPÖ-Neos-Koalitionen oder eine Drei-Parteien-Allianz unter Einschluss der Grünen wären möglich.
Robert Misik ist im Unterstützungskomitee „Wir für Andreas Babler“.
Österreich
Andreas Babler hatte auch hier im vorwärts schon eine schlechtere Presse (damals als es um den Parteivorsitz ging) und es gab auch den Versuch ihn durch "Stimmenverwechselung" auszubooten - durch das Parteiestablischment.
Die österreichischen Kommunisten alst Anti-Politik-Partei zu bezeichenen ist nun völlig daneben, denn in den Gemeinden in denen sie mitregieren finden sie von Wahl zu Wahl meist noch mehr Zuspruch.
Andreas Babler
Auf den Nachweis einer "schlechten Presse" hier auf vorwärts.de sind wir gespannt.
Ich bekenne mich schuldig
Nach gründlicher Recherche muss ich zugeben, daß im vorwärts NICHT negativ über oder zu Andreas Babler berichtet wurde. Ich muss da aus der Erinnerung heraus wohl an Artikel aus anderen Publikationen gedacht haben.
Das war wohl so ein Reflex von mir aus der Erfahrung heraus daß im vorwärts über Sozialdemokraten, die originär sozialdemokratische Programmatik vertreten, oft sehr skeptisch berichtet wird (z.B. Jeremy Corbyn).