Babler statt Doskozil: Wie es zum Zähl-Debakel bei der SPÖ kam
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„Sozialdemokratie“, rief der Kandidat vom Rednerpult hinab, „ist nur ein anderes Wort für Träumer. Man sagt, ich sei ein Träumer“, so Andreas Babler, der Underdog, der es in die Parteitags-Stichwahl für den SPÖ-Vorsitz geschafft hatte, „aber auch die Gemeindebauten waren Luftschlösser, bis wir sie errichtet hatten, auch der Acht-Stunden-Tag war eine Utopie, bis wir ihn erkämpft hatten.“ Spätestens da hatte der fulminante Redner den Saal erobert. Ovationen. Die Herzen flogen ihn zu. Und so unwahrscheinlich es bislang erschienen war, dass ein idealistischer, geerdeter Basiskandidat gegen die gut geölte Apparatschikmaschine des Konkurrenten gewinnen könnte – da dämmerte es den ersten, dass es vielleicht doch gelingen könne.
Ein ORF-Journalist rechnete nach
Drei Stunden später waren der Wahlvorgang dann erledigt, die Stimmen und das Ergebnis in Listen eingetragen, notiert und addiert. Es hatte knapp nicht gereicht. 316 Stimmen seien auf den burgenländischen Landeshauptmann und Vertreter des rechten Parteiflügels, Hans Peter Doskozil, entfallen. 279 Stimmen auf Andreas Babler. 596 gültige Stimmen seien abgegeben worden, erklärte die Vorsitzende der Wahlkommission, Michaela Grubesa, eine akzentuierte Anhängerin des vermeintlich siegreichen Kandidaten.
Einige Stunden später setzte der ORF-Anchorman Martin Thür, als Zahlennerd im ganzen Land berüchtigt, einen wenig beachteten Tweet ab, der aber in die Politgeschichte eingehen dürfte. „316+279=595 und nicht 596“. Thür bat um Recherche. Dass er sich mit irgendeiner oberflächlichen Erklärung abfinden würde, dafür ist Thür nicht bekannt.
Bei der Überprüfung stellte sich heraus: Es war so ziemlich alles falsch gelaufen, beim Auszählen der 603 Zettel. Gröbster Fauxpas: Urnenergebnisse wurden offensichtlich falsch addiert. In Wirklichkeit habe Andreas Babler die Wahl am vergangenen Samstag gewonnen. Man habe am Parteitag den Falschen zum Sieger erklärt. Es ist so ziemlich das Irrste, was seit langer Zeit im österreichischen Politbetrieb geschehen ist, und der ist bekanntlich an Irrsinn nicht arm.
Menschliches Versagen als Best-Case-Szenario
Jetzt wird noch einmal nachgezählt, der neue Sieger hat das so angeordnet, und es wird gefordert, dass genauestens überprüft wird, wie es zu dem Debakel überhaupt kommen konnte. Groteskes menschliches Versagen ist da nur mehr das Best-Case-Szenario. Dass der eher linksliberale frühere Vorsitzende der Wahlkommission so lange gemobbt worden war, bis er wegen Herzproblemen das Amt zurücklegte, dass damit gezielt eine – inzwischen von ihrem Amt zurückgetretene – Anhängerin des burgenländischen Kandidaten in diese Funktion gehievt worden war, gibt jetzt Raum für wilde Spekulationen und Geraune. Man will sich gar nicht ausmalen, wie das Worst-Case-Szenario für die ohnehin krisengebeutelte Partei aussehen könnte. Dabei reichen schon die Folgen der skurrilen Mega-Panne.
Das Auszählungsdebakel ist ja nur der Höhepunkt eines holprigen Prozesses, der mit dem ständigen Mobbing gegen die ausgeschiedene Parteichefin Pamela Rendi-Wagner begann, sich mit einer Mitgliederbefragung fortsetzte, bei deren Design man leider auf die mögliche Notwendigkeit einer Stichwahl vergaß – alles begleitet von ständigem Gerumpel. Sollte es nun, nach allen notwendigen Überprüfungen, tatsächlich Babler werden, den alle nur den „Andi“ nennen, dann hat der eine riesengroße Herausforderung vor sich.
Kandidat von unten
„Das wirklich Bittere ist ja“, formuliert Florian Klenk, Star-Journalist und Chefredakteur des Magazins Falter, „dass diese Wahlkommission Andreas Babler ein politisches Momentum gestohlen hat. Die Bilder in Siegerpose, der Jubel, der ihm gegolten hätte. Seine Siegerrede. All das wären wertvolle Ingredienzien für den Beginn seiner politischen Karriere gewesen.“
Als Kandidat von unten, als Anführer einer Basisbewegung, die sich die stilistische und politische Erneuerung der SPÖ vorgenommen hat, hat er immerhin den Vorteil, dass er mit den grotesken Vorgängen nichts zu tun hatte und sich auch glaubwürdig in die Rolle dessen begeben kann, der aufräumt, der einige Pflöcke einschlägt. Noch befindet sich die Partei im Schock, aber Babler kann natürlich sein Momentum zurückgewinnen. Formiert er ein neues, junges, gewinnendes Team an der Spitze der Partei, dann können die mit viel Häme begleiteten Vorgänge dieser Tage in ein paar Wochen auch wieder vergessen sein.