Neue Regeln bei Facebook und Instagram: „Mehr Hass, mehr Hetze, mehr Lügen“
Raum für Lügen statt Faktenchecks: Die von Meta-Chef Mark Zuckerberg angekündigten neuen Regeln in sozialen Netzwerken gelten wohl bald auch auch in Europa, davon geht der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken aus. Im Interview sagt er, wie sich die EU darauf vorbereiten sollte.
Tiemo Wölken
SPD-Digitalexperte Tiemo Wölken: Es gibt keine Wunderlösung.
Meta-Chef Mark Zuckerberg hat angekündigt, Faktchecker auf seinen Plattformen Facebook und Instagram abzuschaffen und sie durch ein System von „Community Notes“ wie bei X zu ersetzen. Wie bewerten Sie das?
Ich halte das für eine Katastrophe. Wir haben vergangene Woche Zuckerbergs Kniefall vor dem designierten US-Präsidenten Donald Trump gesehen. Dabei geht es hier nicht um Grundrechte, es geht nicht um Meinungsfreiheit, sondern schlicht und einfach um Geschäftsinteressen. Was die Änderungen für die Nutzenden der Meta-Plattformen bedeutet, kann man jetzt schon sehr gut auf Elon Musks X beobachten: mehr Hass, mehr Hetze, mehr Lügen. Dabei will ich das Prinzip der sogenannten „Community Notes“ gar nicht schlechtreden. Tatsächlich ist die Community ein wichtiger Akteur, um illegale und schädliche Inhalte auf Plattformen zu bekämpfen. Aber sie ist eben auch kein Wunderheilmittel.
Die professionellen Faktenchecker von Organisationen wie der DPA haben schlicht andere Ressourcen als Freiwillige aus der Community und legen mit ihrer fundierten Recherche zu viralen Meldungen häufig das Fundament, auf dem die Community dann aufbauen kann. Beides ergänzt sich gut, um Hass, Hetze und Lügen online Herr zu werden: Faktenchecker und Community. Ohne die Faktenchecker bricht dieses System zusammen – und da haben wir noch gar nicht über die algorithmischen Anpassungen gesprochen, die Zuckerberg auch angekündigt hat und die ich für ebenso fatal halte, weil sie ganz spezifisch darauf ausgerichtet sind, Sicherheitsmechanismen bei kontroversen Themen wie Migration und Geschlechtergerechtigkeit auszuschalten.
Die Änderung soll zunächst nur in den USA gelten. Welchen Auswirkungen sehen Sie auf Europa?
Zuckerberg hat in seiner Botschaft ja auch ganz klar die EU angegriffen und uns völlig haltlos „institutionalisierte Zensur“ vorgeworfen. Sein Ziel ist klar: Er will die ihm unliebsame europäische Regulierung ausschalten, die seine Plattform dazu zwingt, gegen illegale Inhalte, gegen Hass und Hetze vorzugehen. Ich erwarte, dass Meta demnächst auch in Europa versuchen wird, seine Änderungen durchzusetzen und dabei eventuell den Weg von Elon Musks X gehen wird, die ja zum Beispiel aus dem Verhaltenskodex zum Kampf gegen Desinformation ausgetreten sind. Unterm Strich haben wir in Europa also nur eine Galgenfrist gewonnen und etwas Zeit, uns vorzubereiten. Die sollten wir nutzen.
Tiemo
Wölken
Die USA haben die Macht, unsere Wirtschaft und Gesellschaft jederzeit in ihren Grundfesten zu erschüttern, dessen müssen wir uns bewusst sein.
Von der EU-Kommission fordern Sie bereits seit Längerem, die Abhängigkeit von nicht-europäischen Tech-Unternehmen zu reduzieren. Wie soll das praktisch aussehen?
Zunächst einmal gibt es keine Wunderlösung. Nachdem wir uns jahrzehntelang auf allen Ebenen, von Infrastruktur und Hardware, bis zu Software und Online-Plattformen, immer tiefer in die Abhängigkeit manövriert haben, werden wir nicht von heute auf morgen wieder unabhängig. Pessimistisch betrachtet würde ich sogar sagen, dass eine komplette Unabhängigkeit schlicht illusorisch ist. Die jüngste Verquickung der Geschäftsinteressen der neuen US-Oligarchen mit der kommenden Trump-Administration zeigt aber, wie wichtig es ist, unsere Abhängigkeit bei Schlüsseltechnologien langfristig zu verringern.
Gerade reden wir „nur“ über soziale Medien, aber was, wenn Trump auf die Idee kommt, den Export von Nvidias KI-Computerchips einzuschränken? Oder wenn europäische Unternehmen amerikanische Cloud-Anbieter wie Amazon oder Microsoft nicht mehr nutzen dürfen? Die USA haben die Macht, unsere Wirtschaft und Gesellschaft jederzeit in ihren Grundfesten zu erschüttern, dessen müssen wir uns bewusst sein.
Deshalb fordere ich von der Kommission eine neue Initiative, um diese Abhängigkeiten zu bewerten und gezielt Förderprogramme, Erleichterungen und Geldmittel dort zu platzieren, wo wir diese Abhängigkeiten reduzieren können. Dazu braucht es erst einmal eine großangelegten Problemanalyse durch die Kommission. Das ist nötig, weil es keine „one-size-fits-all“-Lösung geben wird. Das wird von Sektor zu Sektor unterschiedlich aussehen.
Reden wir zu Beispiel über Computerchips, dann kann es Sinn machen, Planungsverfahren für neue Fabriken zu beschleunigen und Software für das Chip-Design zur Verfügung zu stellen, wie wir es beim Chips Act schon planen. Wenn wir über Cloud-Dienste sprechen, dann müssen wir zunächst für Datenportabilität sorgen, damit Geschäftskunden ihre Daten leicht zu einem europäischen Dienst übertragen können und im nächsten Schritt über gezielte Förderung, etwa durch öffentliche Beschaffung, dafür sorgen, dass es solche EU-Dienste überhaupt gibt.
Mit dem „Digital Services Act“ (DSA) hat die EU bereits ein Werkzeug mit Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen entwickelt. Reicht das aus, um ihren Einfluss zu begrenzen?
Kurz gesagt: Ja, aber nur, wenn wir die Verordnung auch ordentlich umsetzen. Das Gesetz ist immer noch recht neu und damit ist die praktische Umsetzung immer noch eine Herausforderung. Deshalb fordere ich die Aufstockung der Personalressourcen in der Kommission und die Überführung in ein eigenständiges Generaldirektorat, denn derzeit können die völlig überlasteten Kommissionsbeamten mit der gut geölten Anwaltsmaschine der großen Tech-Konzerne schlicht nicht mithalten.
Es ist aber von größter Bedeutung, dass die Ergebnisse der ersten Untersuchungen wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen X und Tiktok wasserdicht sind, denn eine Klage der Tech-Konzerne halte ich für hochwahrscheinlich. Ein Scheitern vor Gericht würde aber den gesamten DSA und unsere Arbeit der letzten zehn Jahre in Frage stellen.
Tiemo
Wölken
Für die Vorladung Elon Musks gibt es mittlerweile so viele Anlässe, dass es mir schwerfällt, sie alle aufzuzählen.
Sie und andere Abgeordnete fordern, Mark Zuckerberg und Elon Musk in die zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments vorzuladen. Was wollen Sie von ihnen wissen?
Ich möchte, dass Mark Zuckerberg seine haltlosen Vorwürfe der „institutionalisierten Zensur“ gegen die EU direkt im Parlament erklärt und ihn fragen, ob er glaubt, dass er und seine Produkte über unserem Recht und Gesetz stehen.
Für die Vorladung Elon Musks gibt es mittlerweile so viele Anlässe, dass es mir schwerfällt, sie alle aufzuzählen. Ganz oben auf der Liste steht aber sicher die Einmischung Musks in den deutschen Wahlkampf und seine direkte Unterstützung für die AfD. Außerdem würde ich ihn gerne damit konfrontieren, dass Meinungsfreiheit für ihn immer nur dann relevant zu sein scheint, wenn es für ihn von Vorteil ist, er aber keine Probleme damit hat, zum Beispiel seine Twitter-Akquise von der saudischen Diktatur finanzieren zu lassen.
Was hält Sie persönlich auf Plattformen wie X oder Instagram?
Ich muss sagen, dass es gerade auf X jeden Tag schwieriger wird. Mir ist es aber wichtig, öffentliche Räume online nicht einfach den Rechten zu überlassen. Gerade Plattformen wie Instagram werden von unfassbar vielen Menschen genutzt, deswegen sind die neuen Meta-Regeln ja auch so ein harter Schlag.
Angesichts dieses Gegenwinds ist es für uns Demokraten umso wichtiger, hier nicht die weiße Flagge zu hissen, sondern aktiv dagegenzuhalten. Sonst riskieren wir, dass AfD und Co die Debatte online komplett für sich vereinnahmen.
Tiemo Wölken ist im Europaparlament Sprecher der S&D-Fraktion im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Das Interview wurde schriftlich geführt.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.