Tiemo Wölken: Mit dem Europavirus infiziert
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Als Tiemo Wölken zum ersten Mal im Europäischen Parlament war, steckte er gerade mitten im Jura-Studium. Ein Praktikum hatte ihn nach Brüssel verschlagen. „Damals war ich total geflasht“, erinnert sich Wölken heute. „Seitdem bin ich vom Europavirus infiziert.“ Inzwischen ist Brüssel Wölkens Alltag.
Der erste Wahlkampf als Europaabgeordneter
Seit 2016 sitzt der 33-Jährige als jüngster Abgeordneter der SPD im Europäischen Parlament. Der Niedersachse rückte damals als sogenannter Huckepack-Kandidat für Matthias Groote nach, der im Landkreis Leer zum Landrat gewählt worden war. Dieser Europawahlkampf ist Wölkens erster als Abgeordneter. „Sehr viel anders als vor fünf Jahren ist es aber nicht“, sagt er. Steckte er 2014 mitten im juristischen Staatsexamen, war auch diesmal an Kürzertreten für den Wahlkampf nicht zu denken: Das Europaparlament tagte bis fünf Wochen vor der Wahl.
In der kurzen Zeit, in der Tiemo Wölken Abgeordneter ist, hat er sich bereits einen Namen gemacht. Das hat mit einem Wort zu tun, das vor allem in Deutschland die Gemüter erhitzt: den Uploadfiltern. Als einer der ersten warnte Wölken vor ihnen als die Reform des europäischen Urheberrechts noch ziemlich am Anfang stand. „Ich habe schnell gesehen, dass die Uploadfilter ein Problem werden können“, sagt er. Es hieß, die Rechte der Urheber und das Grundrecht der freien Meinungsäußerung miteinander in Einklang zu bringen.
Überzeugungsarbeit gegen Uploadfilter
Dafür musste Wölken in den vergangenen Monaten in Brüssel viel Überzeugungsarbeit leisten – auch in der eigenen Gruppe der SPD-Abgeordneten. Sein Einsatz hatte Erfolg: Stimmten vor dem sogenannten Trilog zwischen Parlament, Europäischer Kommission und Europäischem Rat noch zwei Drittel der deutschen Sozialdemokraten für die Reform, lehnten sie sie nach den Beratungen im April geschlossen ab. Im gesamten Parlament fand sich dennoch eine Mehrheit.
Tiemo Wölken ärgert das noch immer. „Die Älteren haben eine andere Lebensrealität als die Jungen“, ist er überzeugt. Auch deshalb freut er sich, dass ihn die SPD gemeinsam mit der 26-jährigen Delara Burkhardt aus Schleswig-Holstein als junge Kandidaten auf aussichtsreichen Plätzen aufgestellt haben. „Delara und Tiemo sind zwei, die sehr genau wissen, was unsere Generation umtreibt“, lobt der Vorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert. „Eine Stimme für die SPD bei der Europawahl ist eine Stimme für Jusos im Europäischen Parlament.“
Populär in den sozialen Netzwerken
Bei den Jusos hat Tiemo Wölken seit dem Kampf um die Uploadfilter eine gewisse Prominenz. Beim Auftakt für den Jugendwahlkampf Anfang April im Willy-Brandt-Haus will ihm fast jeder auf die Schulter klopfen oder ein Selfie machen. Auch die Zahl seiner Follower auf Twitter und Instagram sowie die der Abonnenten seines Youtube-Kanals, in dem Wölken regelmäßig über seine Arbeit im Parlament berichtet und Europamythen enttarnt, seien in den Wochen zuvor „explodiert“, erzählt er. „Junge Leute wissen jetzt, dass es die EU gibt“, nennt er den positiven Effekt der Debatte.
Doch die junge Generation bewege nicht nur die Frage nach der Freiheit im Internet. „Der Kampf gegen den Klimawandel ist das zentrale Ding“, ist Tiemo Wölken überzeugt. Auch andere ökologische Themen wie das Bienensterben und die Vermüllung der Meere seien für junge Leute zentral. Dass das Europäische Parlament Großes leisten kann, hat es aus Wölkens Sicht bereits unter Beweis gestellt. Als Beispiel nennt er die Datenschutzgrundverordnung, mit der die EU weltweit einen Standard für den Datenschutz gesetzt habe.
Kampf gegen den Rechtsruck
Bleibt die Sorge vor einem Rechtsruck am 26. Mai. „Warten wir erstmal ab“, zeigt sich der junge Abgeordnete nach außen zwar gelassen, doch einen Erfolg der Rechtspopulisten hielte auch er für fatal. „Wenn das Europaparlament nach rechts rückt, könnte es mit einem Federstrich den Haushalt umschichten“, warnt er. Für das Erasmus-Programm, das Studierenden einen Aufenthalt an einer Universität in einem anderen Land ermöglicht, könnte das das Ende bedeuten.
Doch klein bei geben will Tiemo Wölken vor dem Wahltag nicht. „Es ist enorm wichtig, auf diese Wahl aufmerksam zu machen, weil sie uns alle betrifft“, sagt er. Bis zum 26. Mai ist er deshalb kreuz und quer in seinem riesigen Wahlkreis – der das Gebiet von sieben Bundestagswahlkreisen umfasst – unterwegs, häufig auch mit prominenter Unterstützung wie Martin Schulz oder Europastaatsminister Michael Roth. „Wir müssen möglichst viele davon überzeugen, wählen zu gehen.“ Und überzeugen kann Tiemo Wölken ja.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.