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Rücktritt von Premier Vucevic: Was die Proteste in Serbien besonders macht

Der Rücktritt von Premierminister Vucevic ist der vorläufige Höhepunkt der politischen Krise in Serbien. Proteste ist der Balkanstaat gewohnt, doch zurzeit passiert etwas Neues: Die Träger*innen des Protests sind ein Zeichen des demokratischen Aufbruchs in Serbien.

von Kirsten Schönefeld · 31. Januar 2025
Studierendenproteste in Novi Sad am 30. Januar: Sie wollen sich ihre Zukunft zurückholen.

Studierendenproteste in Novi Sad am 30. Januar: Sie wollen sich ihre Zukunft zurückholen.

Serbien ist in einer tiefen politischen Krise. Dies ist spätestens seit dem Rücktritt des Premierministers Milos Vucevic zu Beginn dieser Woche klar. Vucevic trat in Reaktion auf die tätlichen Angriffe einer, seiner Familie nahestehenden Gruppe von Aktivist*innen der regierenden Fortschrittspartei auf friedlich protestierende Studierende in der Stadt Novi Sad zurück. Zu deutlich waren die parteipolitischen und persönlichen Verstrickungen zwischen den Angriffen auf die seit Monaten stattfindenden Proteste und der Regierungspartei geworden.

Die serbische Gesellschaft bis ins Mark getroffen

Seit Monaten protestieren serbische Bürger*innen, vor allem aber Studierende in Reaktion auf den Tod von 15 Menschen durch den Einsturz des Bahnhofsvordaches in Novi Sad im November. Die Studierenden bestreiken mittlerweile beinahe alle serbischen Fakultäten. Auch Schulen befinden sich im Streik und Verkehrsknotenpunkte werden friedlich blockiert. Die Protestierenden fordern die Aufklärung des Unglücks von Novi Sad, welches mit Baufehler, die – auf bis in möglicherweise höchste politische Kreise reichende Korruption – zurückzuführen sein könnte. Das Unglück hat die serbische Gesellschaft bis ins Mark getroffen. Eine ausreichende juristische Aufarbeitung blieb bisher aus. 

Dabei ist der Rücktritt des Premierministers allein nicht verwunderlich und reiht sich in die Reihe der Krisen der letzten Jahre ein. Die regierende Fortschrittspartei von Aleksander Vucic ist seit 2012 an der Macht, Aleksander Vucic selbst seit 2017 Präsident. In dieser Zeit hat sich die demokratische Lage dramatisch verschlechtert und es kam in periodischen Abständen immer wieder zu Protesten, zuletzt nach dem Amoklauf an einer Belgrader Schule im Mai 2023.

Proteste ist Serbien also gewohnt, Rücktritte und Neuwahlen auch und dennoch passiert jetzt etwas Neues. Die Studierenden organisieren sich autonom und basisdemokratisch in ihren Plena, wählen keine Anführer*innen und verbitten sich entschieden politische Einmischung. Dass eine junge Generation, von der man dachte, sie sei im besten Falle unpolitisch und im schlechtesten Falle durch das Regime von Aleksander Vucic kooptiert, nun ganz basisdemokratisch, sehr kreativ und absolut friedlich gegen die Korruption und den Verfall der Demokratie auf die Straße geht. Sie will sich ihre Zukunft zurückholen, das ist ein Novum und vermittelt ein Aufbruchsgefühl in weiten Teilen der serbischen Gesellschaft und des ganzen Landes.

Wie könnte es in Serbien weitergehen?

Gleichzeitig grenzt sich diese Bewegung von der politischen Opposition ab. Waren oppositionelle Parteien früher Träger der Proteste, so sind sie diesmal Gäste, auch dies ein Novum. Diese Abgrenzung von der politischen Opposition führt aber auch dazu, dass sich der Protest noch nicht politisch kanalisiert. Nach den Angriffen von Novi Sad ist nun unklar, wie es politisch weitergeht. Möglich wären eine Regierungsumbildung, Neuwahlen, eine Übergangsregierung oder eine Vertiefung der Krise. Präsident Vucic hat angekündigt, innerhalb der kommenden zehn Tage entscheiden zu wollen, ob er Neuwahlen oder eine Regierungsumbildung anstrebt.

Neuwahlen würden nach jetzigen Stand von der gesamten Opposition von links bis rechts boykottiert, weil keine freien und fairen Wahlbedingungen gegeben sind und das Mediensystem weitgehend den Interessen der Regierungspartei folgt. Alle Bemühungen der vergangenen Jahre um Reformen der Wahlbedingungen und eine Reform des Mediensystems sind aus Sicht der Opposition gescheitert. So ist schon jetzt die Demokratische Partei des 2003 ermordeten Premierministers Zoran Djindjic in den parlamentarischen Streik getreten und es ist davon auszugehen, dass weitere Fraktionen folgen werden.

Die Lage ist offen wie lange nicht

Die von der Opposition geforderte Übergangsregierung lehnt Vucic ab. Klar ist also nur: Ein „weiter so“ allein wird nicht helfen und die Lage kann sich auch weiter aufheizen, die Proteste jedenfalls werden fortegeführt. Die Legitimität der regierenden Mehrheit ist angekratzt. 61 Prozent der Bürger*innnen unterstützen laut einer Umfrage der NGO CRTA die Proteste und 57 Prozent glauben, dass Serbien sich auf einem falschen Weg befindet. Der Ausgang ist unklar, aber die Lage in Serbien ist offen wie lange nicht mehr.

Wichtig ist in dieser Situation, dass weder die Studierendenbewegung, noch die Zivilgesellschaft oder die pro-europäische Opposition, die allesamt zunehmend unter Druck geraten, von Europa nicht allein gelassen werden. Eine europäische Unterstützung für die demokratische Bewegung, welche die Aufklärung des Unglücks und die politischen Verstrickungen vorantreibt, ist notwendig. Vielleicht schwappen dann auch ein bisschen Enthusiasmus, Entschiedenheit und demokratischer Aufbruch, die wir in diesen dunklen Tagen der Demokratie so gut gebrauchen können, nach Deutschland über. 

Autor*in
Kirsten Schönefeld

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Belgrad.

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