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Wahlen in Serbien: Das Vucic-Regime wird Risse bekommen

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine finden am Sonntag in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Auch wenn Aleksandar Vucic voraussichtlich im Amt bleiben wird, dürfte sich das Machtgefüge im Land verschieben.   
von Max Brändle · 28. März 2022
Serbiens Präsident Vucic bei der Parlamentswahl 2020: Der Krieg in der Ukraine verschiebt die Koordinaten.
Serbiens Präsident Vucic bei der Parlamentswahl 2020: Der Krieg in der Ukraine verschiebt die Koordinaten.

Krieg in der Ukraine, Instabilität auf dem Balkan und ein zunehmend autoritäres Regime in Serbien –die Lage vor den Wahlen in Serbien am 3. April spitzt sich zu. Doch mit dem Slogan „Frieden. Stabilität. Vucic.“ hält der serbische Präsident Aleksandar Vucic dagegen und empfiehlt sich entgegen allen Fakten als Stabilitätsanker. Damit dürfte er sogar Erfolg haben.

Seit Vucic‘ Wahl fällt Serbien zurück

Nach dem Sturz Slobodan Milosevic‘ im Jahr 2000 hat Serbien Fortschritte auf dem Weg der Demokratisierung erreicht, seit zehn Jahren verhandelt Serbien um einen EU-Beitritt. Doch seitdem die „Serbische Fortschrittspartei“ im Jahr 2012 die Wahlen gegen die „Demokratische Partei“, eine Schwesterpartei der SPD, gewann, und ihr Parteivorsitzender Aleksandar Vucic zunächst Ministerpräsident und dann Staatspräsident wurde, fällt Serbien zurück.

Internationale Beobachter stufen Serbien nicht mehr als Demokratie, sondern als „hybrides Regime“ ein. Es gibt keinen erkennbaren Willen zu echten Fortschritten im EU-Beitrittsprozess mehr. Nach einem Wahlboykott der demokratischen Opposition vor zwei Jahren fehlt eine Opposition im serbischen Parlament. Die Gesellschaft ist gespalten in eine Mehrheit, die für Vucic‘ Fortschrittspartei eintritt und von dieser Regierung in einem überbordenden öffentlichen Sektor und einer Wirtschaft mit hohem Staatsanteil abhängig ist. Und in eine weitgehend verstummte, pro-europäische, demokratische Minderheit, die in der staatlich gelenkten Presse kaum noch vorkommt. Zehntausende junger, gut ausgebildeter Kräfte haben das Land in den letzten Jahren verlassen.

Wirtschaftliche Erfolge kommen nur wenigen zugute

Dabei ist Serbien das flächenmäßig größte und bevölkerungsreichste Land der Region Westbalkan, und auch wirtschaftlich und militärisch ist es am stärksten. Niedrige Löhne und staatliche Subventionen haben ausländische Investoren, darunter auch viele deutsche Unternehmen, angezogen. Besser als seine Nachbarstaaten auf dem Balkan kann Serbien heute an die industriellen Erfolge Jugoslawiens anknüpfen. Auch in der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, die von der Corona-Pandemie am wenigsten getroffen wurden, ist Serbien stark.

Doch die wirtschaftlichen Erfolge sind sehr ungleich verteilt und kommen vor allem einer kleinen Gruppe, die eng mit den Machthabern verbandelt ist, zugute. Mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korruption sind richtigerweise die Hauptkritikpunkte der EU im Beitrittsprozess Serbiens. Als starkes Land mit Führungsanspruch in der Region spielt Serbien dabei eine destabilisierende Rolle.

Im benachbarten Montenegro unterstützt es Kräfte, die das Land von seinem pro-europäischen Kurs eines EU-Beitritts abzubringen drohen. In Bosnien-Herzegowina gibt es naturgemäß sehr enge Verbindungen zum serbischen Landesteil, der Republika Srpska, deren Präsident offen mit Sezession droht. Und eine Einigung um das Kosovo, das sich 2008 für unabhängig erklärte, aber von Serbien weiter als Teil seines Staatsgebietes verstanden wird, ist nicht in Sicht.

In der Erzählung einer „serbischen Welt“ werden unter der gegenwärtigen Regierung in Serbien die ethno-nationalistischen Narrative aus den 1990er Jahren wieder gestärkt, die legitime serbische Interessen auch außerhalb seiner Grenzen sehen. Dabei spielt Staatspräsident Vucic sehr gekonnt das Spiel, noch radikalere Scharfmacher vorzuschicken, um sie später wieder zurückzupfeifen und sich als mäßigenden, rationalen Akteur ins Licht zu setzen.

Solidarität mit der Ukraine, Russland als Schutzmacht

Der Krieg in der Ukraine und die schrecklichen Bilder bombardierter Städte rufen bei den Bürger*innen in Serbien und Belgrad Erinnerungen an die eigenen traumatischen Erfahrungen der Bombardierung des Landes 1999 durch die NATO wach. Das führt bei sehr vielen zu einer Solidarisierung mit den Ukrainerinnen und Ukrainern. Doch in der Auseinandersetzung um das Kosovo gilt Russland als Serbiens Schutzmacht. Russland stand 1999 auf der Seite Serbiens und verhindert heute weiterhin, dass das Kosovo als unabhängiger Staat Mitglied der Vereinten Nationen werden kann.

Die mythische Verbindung Serbiens und Russlands in der orthodoxen Christenheit lässt die beiden Länder zu Brudervölkern werden, der russische Einfluss wurde in Serbien popularisiert, seine wirtschaftliche Bedeutung vielfach überzeichnet. So ist zu verstehen, dass zu Anfang des brutalen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine in Belgrad gar Menschen für Putin und für den Krieg demonstriert haben. Die außenpolitische Strategie Serbiens, sich nach dem Vorbild des blockfreien Jugoslawiens zwischen den großen Machtblöcken EU, USA, Russland und China zu positionieren, wird aber zusehends inkonsistent.

Einerseits hat Serbien am 2. März die UN-Resolution gegen Russland unterstützt, andererseits beteiligt sich Serbien nicht an den Sanktionen. Beobachter*innen hatten damit gerechnet, dass eine Eskalation in der Ukraine Präsident Vucic in die Hände spielt und eine Welle der serbisch-russischen Begeisterung auslösen kann. Doch mit einem derart brutalen Angriffskrieg hatte niemand gerechnet, und er stellt Aleksandar Vucic‘ und Serbiens außenpolitische Position langfristig in Frage.

Starke Ausgangsposition für Vucic‘ Fortschrittspartei

Wenn am kommenden Sonntag, dem 3. April, in Belgrad ein neues Parlament, das Amt des Präsidenten und mit dem Stadtrat der Hauptstadt Belgrads auch ein neuer Bürgermeister zu Wahl stehen, werden all diese Faktoren eine Rolle spielen. Die Fortschrittspartei von Aleksandar Vucic ist dabei in einer starken Ausgangsposition, sie kontrolliert nicht nur den Wahlprozess, sondern auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die weitverbreiteten Boulevard-Medien.

Aber die pro-europäische, demokratische Opposition hat sich formiert und koordiniert, sie wird auf allen Ebenen an den Wahlen teilnehmen und sicher wieder ins Parlament einziehen. Auch wenn ein Wahlsieg und eine friedliche Machtübergabe nach Wahlen noch nicht in Sicht sind; das zunehmend autoritäre Regime in Serbien wird Risse bekommen. Das ist ein großer Fortschritt für ein Land, dessen Demokratie weitgehend ausgehöhlt ist. Der Krieg in der Ukraine verschiebt die Koordinaten in ganz Europa, auch in Serbien.

Autor*in
Max Brändle

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau. Zuvor war er Leiter des FES-Büros in Belgrad.

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