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Bundeskanzler in der Türkei: Darum geht es beim Treffen von Scholz und Erdogan

Am Samstag trifft Kanzler Scholz den türkischen Präsidenten Erdogan zu einem Arbeitsgespräch in Istanbul. Dabei wird es wohl um die Themen Migration sowie die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit gehen. Ein Thema allerdings steht gesunden deutsch-türkischen Beziehungen massiv im Weg.

von Kristina Karasu · 18. Oktober 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz trifft am Wochenende den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Bundeskanzler Olaf Scholz trifft am Wochenende den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Kaum einen Monat ist es her, dass Kanzler Olaf Scholz den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdogan in New York am Rande des UN-Zukunftsgipfels traf, schon steht die nächste Zusammenkunft an: Am Samstag wollen beide in Istanbul zusammenkommen, ein konstruktives Arbeitstreffen soll es werden.

 Ukraine, Nah-Ost und die Migrationsfrage

In den vergangenen Monaten gaben sich deutsche Spitzenpolitiker*innen am Bosporus die Klinke in die Hand: Im April kam Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Anfang Oktober SPD-Co-Vize Lars Klingbeil. Und Außenministerin Annalena Baerbock steht in häufigem Austausch mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan, heißt es aus diplomatischen Kreisen. Beide Seiten haben nach Jahren der Krise eingesehen, dass sie bei den dringendsten Themen der Gegenwart kaum ohneeinander auskommen.

Die Agenda für das Treffen am Samstag wurde bisher nicht offiziell bekanntgegeben, aber mutmaßlich wird es um die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten gehen, um Migration, Visa für türkische Staatsbürger*innen, militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Viele der Themen sind heikel, doch man wird sich um Ausgleich bemühen. Erdogan, der jahrelang mit einer aggressiven Rhetorik gegenüber Deutschland innenpolitisch punktete, hat diesen Kurs spätestens seit seinem Wahlsieg 2023  aufgegeben. 

Erdogan wirbt um Vertrauen, Scholz für Zeitenwende

Denn die Türkei leidet seit Jahren unter einer massiven Hyperinflation und Währungskrise und wirbt derzeit in Europa massiv um Investitionen. Deutschland ist der größte Handelspartner der Türkei, zudem sind mehr als 8.000 Firmen mit deutschem Kapital in der Türkei aktiv. Doch viele Firmen schrecken angesichts der mangelnden Unabhängigkeit der türkischen Justiz und Erdogans jahrelang praktizierten unorthodoxen Finanzpolitik vor Investitionen in der Türkei zurück. Erdogan dürfte am Samstag versuchen, um Vertrauen zu werben.

Scholz wiederum scheint seine „Zeitenwende“ nicht ohne die militärische Macht und den regionalen Einfluss der Türkei vollziehen zu wollen. Das Land verfügt über die zweitgrößte Armee in der NATO, hat seine Rüstungsindustrie in den vergangenen Jahren gezielt ausgebaut, liefert moderne Kampfdrohnen an die Ukraine und unterhält zugleich gute Beziehungen zu Russland, mischt in Libyen, Syrien und Bergkarabach mit. 

Bei Israel droht der Konflikt

Nach Jahren einer aggressiven, konfrontativen Außenpolitik versucht sich Erdogan seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs verstärkt als Vermittler anzubieten. Zwischen der Ukraine und Russland könnte er tatsächlich vermitteln, da er zu beiden Seiten gute Kontakte hält und diese etwa beim Getreide-Deal bereits erfolgreich nutzen konnte. Gerne würde Erdogan auch als Vermittler im Gaza-Krieg auftreten, hat enge Verbindungen zur Hamas und zum Iran. Doch Israel dürfte das kaum zulassen, denn die Erdogan-Regierung nennt die Hamas „Freiheitskämpfer“ und das militärische Vorgehen Israels in Gaza einen „Völkermord“, vergleicht Netanyahu mit Hitler.

Spätestens bei diesem Thema wird es bei Scholz und Erdogan am Samstag knirschen. Große Teile der türkischen Bevölkerung sind pro-palästinensisch eingestellt, egal ob Erdogan-Anhänger*innen oder nicht. Für sie steht weniger das Massaker vom 7. Oktober im Vordergrund als die zehntausenden von Toten auf palästinensischer Seite. Sie kritisieren Berlin scharf dafür, Israel weiterhin zu unterstützen und Netanyahu nicht zu stoppen.

Selbst Erdogan verlor in seiner eigenen tiefreligiösen Kernwählerschaft im letzten Jahr aufgrund der wirtschaftlichen Beziehungen der Türkei zu Israel massiv an Stimmen. Sie werfen Erdogan vor, rhetorisch zwar auf Seiten der Palästinenser*innen zu stehen, aber auf Worte keine Taten folgen zu lassen. Daher ist zu erwarten, dass Erdogan bei diesem Thema gegenüber Scholz markige Worte wählen wird. Im besten Fall werden Scholz wie Erdogan schnelle Waffenruhen und Friedensverhandlungen fordern.

Eurofighter vs. Flüchtlingsdeal

Eine Entwicklung könnte es beim Thema Eurofighter geben. Die Türkei würde gerne 40 der von Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien gebauten Kampfjets kaufen, bisher scheiterte dies jedoch an der Blockade Deutschlands. Gut möglich, dass Scholz nun grünes Licht dafür gibt. Im Gegenzug erhofft er sich vermutlich Fortschritte beim Thema Migration.

Scholz würde eine Belebung des 2016 geschlossenen Flüchtlingsdeals mit der Türkei sehr gelegen kommen, doch für Erdogan ist das ein heikles Thema. Die Stimmung insbesondere gegenüber syrischen Flüchtlingen in der Türkei ist extrem schlecht, der Flüchtlingsdeal ist auch bei Regierungsanhänger*innen verpönt. Berlin solle lieber mit afrikanischen Ländern Flüchtlingsabkommen abschließen und nicht die Türkei als Flüchtlingscamp der EU missbrauchen, heißt es aus türkischen Regierungskreisen. 

Türkei will 13.500 Menschen zurücknehmen

Fortschritte hingegen dürfte es beim Thema Rückführungen von mehr als 13.500 türkischen Staatsbürger*innen geben, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflohen sind, aber keinen Asylstatus erhalten haben. Die Türkei hat sich laut türkischen Medienberichten bereit erklärt, diese Menschen zurückzunehmen, möchte jedoch keine Massenabschiebungen. Denn solch ein Bild wäre für die Türkei beschämend, schließlich hatten diese Menschen ihre Heimat wegen Hyperinflation und Erdbeben, mangelnden Freiheiten und Perspektivlosigkeit verlassen. Und die Sehnsucht auszuwandern, ist in der Türkei bei weitem nicht abgeebbt, noch immer suchen Tausende nach Wegen in die EU. So stößt die Anwerbung von Fachkräften im Rahmen des neuen deutschen Einwanderungsgesetzes in der Türkei riesiges Interesse. 

Ein Thema allerdings steht gesunden deutsch-türkischen Beziehungen massiv im Wege: die Visa-Frage. Für türkische Staatsbürger*innen ist es sehr aufwendig und teuer, Visa für Deutschland zu beantragen, sie müssen einen Berg an Dokumenten vorlegen, um beweisen zu können, dass sie wieder in die Türkei zurückkehren wollen. Zudem warten sie teils Monate auf einen Termin. Türkische Geschäftsleute klagen darüber, wichtige Messen in Deutschland zu verpassen, andere Bürger*innen verpassen Hochzeiten von Verwandten oder lang geplante Urlaube. Könnte Erdogan am Samstag bei diesem Thema Fortschritte vermelden, wäre das für ihn bereits ein großer Erfolg.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Fr., 18.10.2024 - 15:45

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Bleibt zu hoffen, dass Olaf Scholz nicht die gleichen Zugeständnisse macht wie seine Vorgängerin: der Türkei immer mehr Geld zuschießen ohne Gegenleistung. Damals hat Erdogan das Geld nur beutzt, um seine Einmärsche in Syrien zu finanzieren anstatt die Flüchtlinge unterbringen zu lassen; diese wurden dann ins Meer, nach Griechenland oder an die Front geschickt.

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