Georg Maier zu AfD-Verbot: „Operation am offenen Herzen der Demokratie“
Thüringens Innenminister Georg Maier macht sich schon länger für ein AfD-Verbot stark. Nun hat sich auch der SPD-Parteitag für die Einleitung eines Verfahrens ausgesprochen. Im Interview spricht Maier über die Erfolgsaussichten und sagt, wie er CDU/CSU davon überzeugen will, mitzuziehen.
IMAGO/Bihlmayerfotografie
Wie entscheidet Justizia? Das Bundesverfassungsgericht hat ja klare Vorgaben gemacht, was die Voraussetzungen für ein Verbot wären, sagt Georg Maier.
Nachdem Sie und andere schon länger dafür geworben haben, hat sich der SPD-Parteitag für die Vorbereitung eines AfD-Verbotsverfahrens ausgesprochen. Wie erleichtert sind Sie?
Erleichtert ist der falsche Begriff. Die AfD bleibt ja eine tägliche Gefahr für unsere Demokratie, auch wenn wir jetzt einen entsprechenden Beschluss gefasst haben. Ich habe mich aber sehr darüber gefreut, wie ernsthaft und intensiv die Partei über Chancen und Risiken eines Verbotsverfahrens diskutiert hat und sich noch mal wirklich intensiv vor Augen geführt hat, welche Gefahren von der AfD drohen. Das ist mir wichtig, denn es geht mir nicht in erster Linie um das Verbot einer Partei, sondern darum, unsere Demokratie zu schützen.
Ist die Lage wirklich so ernst?
Ja. Wir müssen die Gefahr, die von der AfD ausgeht, sehr, sehr ernst nehmen. Ich habe in Thüringen über die Jahre ja gewisse Erfahrungen gemacht mit einem besonders extremen Landesverband und Vorsitzenden der AfD, der aber meines Erachtens auch richtungsweisend für die gesamte AfD ist. Es ist wichtig, solche Erfahrungen einzuordnen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das tue ich seit geraumer Zeit und deshalb war es wichtig, dass der Parteitag jetzt auch so eine Entscheidung getroffen hat.
Georg
Maier
Ein Parteienverbot ist wie eine Operation am offenen Herzen der Demokratie.
Die Gruppe derjenigen in der SPD, die in der AfD zwar eine Gefahr sehen, aber trotzdem vor einem Verbotsverfahren zurückgeschreckt sind, war bisher recht groß. Der Parteitagsbeschluss wurde nun einstimmig gefasst. Wie ist es zu diesem Stimmungsumschwung gekommen?
Ich denke, das ist ein Ergebnis der weiteren Radikalisierung der AfD. Bei der Konstituierung des Thüringer Landtags haben wir erlebt, was passiert, wenn man der AfD nur ein Fitzelchen Macht gibt. Auch die Remigrationsdebatte nach dem Treffen in Potsdam hat ganz klar gemacht, was die eigentlichen Ziele dieser Partei sind. Und natürlich hat auch die – zurzeit ausgesetzte – Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz zu einer „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ einen Einfluss gehabt. In der SPD sind zumindest alle alarmiert und ziehen jetzt aus meiner Sicht auch die richtigen Schlüsse.
In Ihrer Rede auf dem Parteitag haben Sie gesagt, das Risiko nichts zu tun sei deutlicher größer als möglicherweise vor Gericht zu scheitern. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten für ein AfD-Verbotsverfahren ein?
Ein Parteienverbot ist wie eine Operation am offenen Herzen der Demokratie – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die AfD zurzeit von vielen Menschen gewählt wird. Aber es ist leider eine Lehre aus der Geschichte, dass eine Partei nicht deshalb demokratisch wird, weil sie von vielen Menschen demokratisch gewählt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat ja klare Vorgaben gemacht, was die Voraussetzungen für ein Verbot wären. Die Partei muss nicht nur eine verfassungsfeindliche Haltung vertreten, sondern diese Haltung auch „in aggressiv-kämpferischer, Weise“ umsetzen wollen. Das ist bei der AfD mittlerweile meines Erachtens zweifelsfrei gegeben. Sie ist eine völkische Partei, die Menschen nach Wertigkeiten unterteilt.
Wer nicht zu dem völkischen Begriff oder zu dem völkischen Staatsverständnis gehört, also nach ethnischen und kulturellen Kriterien, der hat nicht dieselben Rechte. Ist also minderwertiger als diejenigen, die dazu gehören. Der zweite Punkt ist die Wirkmächtigkeit der AfD. Sie ist mittlerweile so stark geworden, dass man befürchten muss, dass sie noch mehr Macht in den Parlamenten gewinnt. Das kann man in Thüringen bereits jetzt beobachten, wo die AfD durch ihre Sperrminorität die Parlamentsarbeit aktiv behindert. Eine dritte Voraussetzung für ein mögliches Verbot ist, dass die Partei planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen will. Auch hierfür gibt es aus meiner Sicht zahlreiche Belege.
Georg
Maier
Letztlich kann ich nur an die Union appellieren zu erkennen, dass es jetzt auch auf sie ankommt, weil die Demokratie so stark bedroht ist wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.
Der Parteitagsbeschluss sieht die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vor, die belastendes Material sammeln soll, um eine Klageschrift für das Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. Warum dieser Weg?
Die Gefährlichkeit der AfD hat ganz klar zugenommen und die Kriterien für ein Verbot scheinen mir erfüllt zu sein. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, ein solches Verfahren anzugehen. Aber natürlich hat das Bundesverfassungsgericht den Anspruch, dass alles, was vorgebracht wird, auch hieb- und stichfest begründet wird. Deshalb ist diese Materialsammlung so wichtig. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist dafür ein ganz wesentlicher Schritt.
Sie einzurichten, wird ohne CDU und CSU nicht möglich sein. Die Union lehnt ein AfD-Verbotsverfahren bisher aber ab. Wie wollen Sie sie überzeugen, die Meinung zu ändern?
Ich sehe da bei der Union durchaus Bewegung. Auch die SPD hat ja einen Wandel durchlaufen, wie wir schon besprochen haben. Warum sollte das bei CDU und CSU nicht auch passieren? Manche, wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, haben sich schon offen für ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen. Andere machen das eher hinter vorgehaltener Hand. Aber die Stimmen gibt es. Natürlich ignoriere ich auch nicht diejenigen, die sich klar gegen ein Verbotsverfahren aussprechen wie etwa Bundesinnenminister Dobrindt. Doch ich registriere auch, dass diejenigen, die sich dagegen aussprechen, sich zumindest die Argumente der Befürworter anhören und auf sie eingehen. Letztlich kann ich nur an die Union appellieren zu erkennen, dass es jetzt auch auf sie ankommt, weil die Demokratie so stark bedroht ist wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.
Georg
Maier
Wenn wir als SPD Menschen zurückgewinnen wollen, die sich von uns abgewendet haben, dann müssen wir wieder glaubwürdig werden.
Gegner*innen eines Verbotsverfahrens argumentieren auch damit, ein Verbot würde die Einstellung der Menschen nicht verändern und man müsse die AfD besser inhaltlich stellen. Wie sehen Sie das?
Natürlich verschwinden keine Einstellungen, wenn es eine Partei nicht mehr gibt, die sie vertritt. So leicht darf man es sich nicht machen. Sich mit den Sorgen und Nöten der Menschen auseinanderzusetzen, ist auch vollkommen richtig. Die AfD inhaltlich stellen zu wollen, halte ich aber für eine Illusion, denn sie hat gar kein Interesse an einer argumentativen Auseinandersetzung. Sie spielt nicht auf unserem Spielfeld und akzeptiert die demokratischen Regeln nicht. Stattdessen verbreiten ihre Politiker Unwahrheiten, es wird gelogen und gehetzt. Das macht es nahezu aussichtlos, die AfD allein mit guter Politik kleinzukriegen.
Trotzdem sieht der Beschluss des Parteitags auch vor, dass innerhalb der SPD eine Arbeitsgruppe eingerichtet wird, die Strategien entwickeln soll, um Menschen von der AfD zurückzugewinnen. Was stellen Sie sich da vor?
Wenn wir als SPD Menschen zurückgewinnen wollen, die sich von uns abgewendet haben, dann müssen wir wieder glaubwürdig werden. Es geht nicht darum, der AfD hinterherzulaufen. Es geht darum, deutlich zu machen, wofür wir stehen. Wir müssen wieder die Kraft sein, die als Kämpferin für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen wird.
Ich komme aus einem ostdeutschen Landesverband. Viele Menschen verstehen nicht, warum Kolleginnen und Kollegen im Westen bei gleicher Arbeit immer noch mehr verdienen und am Ende eine höhere Rente erhalten. Die SPD muss gerade für diese Menschen wieder eine politische Heimat sein. Die Arbeitsgruppe kann dazu einen Beitrag leisten.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.