100 Jahre „Reichsbanner“: „Schwarz-Rot-Gold nicht den Rechtsextremen überlassen“
Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ wurde 1924 gegründet, um die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. „Das Reichsbanner hat vor 100 Jahren für die richtigen Dinge eingestanden“, sagt sein Vorsitzender Fritz Felgentreu. „Heute können wir da wunderbar anknüpfen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt Parallelen: Fritz Felgentreu (l.) und Julian Bondarenko vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Wie oft werden Sie schief angeguckt, wenn Sie sagen, dass Sie der Vorsitzende des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ sind, Herr Felgentreu?
Fritz Felgentreu: Nicht so oft, aber ab und an sind die Leute schon irritiert und denken, ich hätte „Reichsbürger“ oder ähnliches gesagt. Allgemein ist diese Irritation aber sogar ein ganz guter Türöffner, um über die Dinge zu sprechen, mit denen wir uns beschäftigen. Aber auch wenn der Name heute manchmal irritiert, haben wir überhaupt keinen Grund, uns umzubenennen. Das Reichsbanner hat vor 100 Jahren für die richtigen Dinge eingestanden. Heute können wir da wunderbar anknüpfen.
Julian Bondarenko: Meine Eltern sind in den 90er Jahren als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland geflohen. Meine Mutter durfte als Lehrerin in der Sowjetunion aufgrund ihres Glaubens nur an wenigen Schulen unterrichten und wurde verbal und körperlich angegriffen. Deutschland hat uns vieles ermöglicht. Zu Schwarz-Rot-Gold konnten wir dazugehören. Ich bin immer mit der Vorstellung groß geworden, dass in Deutschland jeder Mensch in Freiheit leben kann, vom Staat unterstützt und geschützt wird, ganz unabhängig von seiner Herkunft und Religion. Doch dieses Deutschland ist nicht selbstverständlich. Gerade steht es wieder unter Beschuss. Deshalb muss man sich auch als junger Mensch engagieren. Das Reichsbanner hält historische Verantwortung am Leben.
Das „Reichsbanner“ wurde 1924 zur Verteidigung der Weimarer Demokratie gegründet, 1933 von den Nationalsozialisten verboten und nach dem Krieg 1953 wiedergegründet. Wieviel „altes“ Reichsbanner steckt in dem von heute?
Felgentreu: Schon sehr viel. Es gibt natürlich keine ungebrochene Kontinuität, weil das Reichsbanner 20 Jahre lang nicht existierte. Wie genau es 1953 zur Wiedergründung kam, ist nicht überliefert, aber es geschah von Personen, die schon dem alten Reichsbanner angehört hatten und seine Werte und Traditionen in die junge Bundesrepublik getragen haben. Das Fundament ist also dasselbe, auch wenn die Formen heute andere sind. Wir setzen uns heute natürlich mit anderen Mitteln für die Demokratie ein als die Kampftruppen in der Weimarer Zeit. In den neun Jahren zwischen Gründung und Verbot sind 64 Morde an Reichsbanner-Mitgliedern dokumentiert. Solche Gefahren gibt es heute zum Glück nicht. Und auch die Mitgliederzahlen sind ganz andere als vor 100 Jahren. Statt drei Millionen haben wir heute 800 Mitglieder und sind ein eher kleiner Verein. Ein großer Unterschied zu damals ist, dass Frauen schon seit längerem Mitglied des Reichsbanners werden können.
Was genau 1953 zur Wiedergründung führte, ist also nicht bekannt?
Felgentreu: Genauso ist es. Es ist leider nur sehr wenig über die Wiederanfänge des Reichsbanners in der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Einen richtigen Überblick haben wir eigentlich erst wieder ab den frühen 90er Jahren. Die Gründungsväter waren wohl vor allem Menschen, die schon in der Weimarer Republik dem Reichsbanner angehört hatten. Sie gaben dem Reichsbanner den Namenszusatz „Bund aktiver Demokraten“. Ein Ziel des neuen Reichsbanners war, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit gerät – ein Punkt übrigens, der in der SPD durchaus umstritten war.
Wieso?
Felgentreu: Die SPD wollte ihre Rolle im Widerstand nicht allzu stark betonen, weil sie befürchtete, dass das die Akzeptanz der Partei in der Bevölkerung schmälern könnte. Die Mehrheit der Menschen hatte ja keinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet und in der SPD wollte man nicht den Eindruck erwecken, sich für etwas Besseres zu halten und dafür abgelehnt werden. In der Partei wurde deshalb die Parole ausgegeben, bescheiden mit den eigenen Leistungen umzugehen. Ein Impuls für die Wiedergründung des Reichsbanners scheint deshalb gewesen zu sein, dass die Leistungen des Widerstands nicht in Vergessenheit geraten.
Wie sieht die Arbeit des „Reichsbanners“ heute aus?
Bondarenko: Wir leisten vor allem Gedenk- und Bildungsarbeit, z.B. in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wo wir mit einem Schaudepot vertreten sind, führen Bildungsfahrten durch, halten Seminare und Workshops, unterstützen Publikationen oder pflegen in den Bundesländern regionale Netzwerke, um Ausstellungen zu realisieren und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen.
Felgentreu: Wir machen ein Angebot für die demokratischen Institutionen in Deutschland, mit uns als Ratgeber und Partner zusammenzuarbeiten. Der Schwerpunkt liegt auf der Gedenk- und der Bildungsarbeit. Es gibt zum Beispiel eine sehr erfolgreiche Wanderausstellung zur Geschichte des Reichsbanners, die wir mithilfe der Gedenkstätte Deutscher Widerstand angefertigt haben. Wir arbeiten aber auch mit anderen Trägern wie etwa der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung zusammen und versuchen, lokale Netzwerkarbeit zu betreiben. Über das historische Reichsbanner, das ja wirklich eine Massenbewegung war, gibt es glücklicherweise fast überall Anknüpfungspunkte. Dabei stellen wir aber nicht die Erinnerung wie eine Porzellanvase ins Schaufenster und polieren sie immer mal wieder auf. Wir nutzen die Erinnerung, um darauf hinzuweisen, was die Demokratie in Gefahr bringt und was sich dagegen tun lässt. Dabei verkörpern wir eine Haltung, die sich kämpferisch wehrt. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit führt so zu einer bewussten Positionsbestimmung in der Gegenwart.
Viele Menschen erinnern die aktuellen Vorgänge an die Weimarer Republik. Zurecht?
Felgentreu: Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt durchaus Parallelen: eine wachsende Aufsplitterung der Parteienlandschaft etwa oder dass es starke politische Kräfte gibt, die unseren freiheitlichen Rechtsstaat so nicht wollen. Für mich ist klar: Was wir ihn den letzten drei Generationen geschaffen haben, ist ein Wert, den wir verteidigen müssen.
Zurzeit machen die Demonstrationen überall im Land Hoffnung, dass die Demokratie ausreichend Unterstützer*innen hat, aber reichen sie aus oder braucht es mehr?
Bondarenko: Solange sich die Feinde der Demokratie in diesem Land sicher fühlen, kann es nicht genug Engagement geben. Die Demonstrationen machen mir Mut. Wir müssen die Stimmung wenden. Das gelingt nur durch öffentliche Präsenz, wenn die demokratische Mehrheit wieder dauerhaft sichtbar wird. In der Coronazeit wurden Ehrenamt und Zivilgesellschaft entscheidend geschwächt. Wir brauchen sie als Unterbau für eine wehrhafte Demokratie. Dass sich wieder Menschen für ein friedliches Zusammenleben stark machen, kann die Trendwende bringen.
Felgentreu: Das Reichsbanner ist 1924 gegründet worden von den drei staatstragenden Kräften der Weimarer Republik: von der Sozialdemokratie, dem katholischen Zentrum und von den Liberalen. Diese drei waren lange Zeit stark genug, ein Zentrum zu bilden, das hielt. Sich auf das Gemeinsame zu besinnen, war und ist eine zentrale Botschaft des Reichsbanners, verkörpert durch die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold und die Werte Einigkeit, Recht und Freiheit. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Blick zurück in die Vergangenheit dabei helfen kann, Ansatzpunkt und Lösungen für die Gegenwart zu finden. Eine aktuelle Frage ist da zum Beispiel die Forderung nach einem AfD-Verbot.
Wie steht das Reichsbanner dazu?
Felgentreu: Das Grundgesetz sieht diese Möglichkeit vor. Wir sind aber nicht diejenigen, die darüber entscheiden können, ob die Kriterien für ein Verbot erfüllt sind. Das muss das Bundesverfassungsgericht machen. Ich lese das Grundgesetz aber durchaus als Appell an die demokratischen Kräfte, aktiv zu werden, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen und die entsprechende Frage an das Bundesverfassungsgericht zu richten.
Haben Sie schon darüber nachgedacht, als Reichsbanner selbst bei den Demonstrationen stärker in Erscheinung zu treten?
Felgentreu: Ich fände es gut, wenn wir bei den Demos sichtbarer würden. Allerdings müssten wir das gut vorbereiten und erklären, denn auf manch einen wird eine schwarz-rot-goldene Fahne mit Adler und Frakturschrift sicher befremdlich wirken. Ich plädiere aber sehr stark dafür, dass wir den deutschnationalen und den rechtsextremen Kräften nicht die Farben Schwarz-Rot-Gold überlassen, sondern sie selbst wieder mehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Und auch die SPD sollte sich darauf besinnen, dass es ein Reichspräsident aus ihren Reihen war, der Schwarz-Rot-Gold zu den Nationalfarben gemacht hat – weil sie für die Republik und die Demokratie stehen. Schwarz-Rot-Gold gehört deshalb auch auf die Demonstrationen.
Am 22. Februar feiert das „Reichsbanner“ sein hundertjähriges Bestehen mit einem Festakt in Magdeburg. Werden die aktuellen Ereignisse dort auch eine Rolle spielen?
Bondarenko: Sie spielen eine Rolle. Ein Jubiläum, vor allem nach 100 Jahren, während gleichzeitig im ganzen Land Menschen auf die Straße gehen, um für Demokratie und Freiheit zu demonstrieren, ist eine Gelegenheit, die Notwendigkeit des Kampfes gegen Extremismus und Menschenfeindlichkeit zu betonen. Die Verbindung zwischen der historischen Bedeutung des Reichsbanner und aktuellen Ereignissen unterstreicht die Kontinuität im Kampf für Demokratie und Freiheit und zeigt auch, dass die Botschaft des Reichsbanner nach wie vor aktuell ist und das Engagement für eine offene und demokratische Gesellschaft von vielen Menschen geteilt wird.
Felgentreu: Dass wir am 22. Februar unsere Gründung mit einem Festakt im Landtag feiern können, zeigt mir, dass unsere Partner erkannt haben, worum es geht und was wir als Reichsbanner anzubieten haben. Dass sowohl der Landtag als auch die Stadt Magdeburg als auch die Bundeswehr unsere Geschichte und den Kampf für die Demokratie mit öffentlichen Veranstaltungen ins Bewusstsein der Menschen heben wollen, werte ich gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen als ein ganz starkes Zeichen.
In diesem Jahr begeht das Reichsbanner den 100. Jahrestages seiner Gründung am 22. Februar 1924 in Magdeburg. Zur Traditionspflege gehört auch eine umfangreiche Sammlung historischer Objekte, die im „Schaudepot Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand öffentlich ausgestellt werden.
Dort finden sich Dokumente, Bilder und Objekte aus der Zeit von 1924 bis 1933, die politisches Engagement und gesellschaftliche Entwicklung des Reichsbanners veranschaulichen.
Für den Verband ist es ein großes Anliegen, die Historie des Reichsbanners als Teil der deutschen Geschichte auch für künftige Generationen zu bewahren. Die Sammlung ist bereits beeindruckend, weist jedoch noch Lücken auf.
„Insbesondere suchen wir Uniformen und Fahnen aus der Reichsbanner-Geschichte“, sagt Dr. Fritz Felgentreu, Bundesvorsitzender des Reichsbanners. Aber auch andere historische Objekte mit Reichsbanner-Bezug sind willkommen.
Über sachdienliche Hinweise freut sich Dirk Sielmann vom Bundesvorstand des Reichsbanners: E-Mail: dirk.sielmann@reichsbanner.de, Tel. 0179 1317825
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.