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Kanada als Vorbild: SPD unterstützt Aufruf „Weg mit § 218“

Beim Schwangerschaftsabbruch setzt Kanada nicht auf Verbote, sondern Vertrauen gegenüber den Frauen. Ein Vorbild, sagt die ASF-Vorsitzende Maria Noichl. Gleichzeitig versuchen rechtsgerichtete Kräfte in Europa, Frauen wieder dumm und kleinzuhalten.
von Vera Rosigkeit · 25. Mai 2021

150 Jahre wird der §218 alt. SPD und Jusos unterstützen den Aufruf „Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch“, getragen von einem breiten Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. In Kanada ist diese Forderung bereits Realität. Ein Vorbild?

Auf jeden Fall. Kanada arbeitet nicht mit Verboten und nicht mit Angst. Kanada arbeitet mit Aufklärung und mit Vertrauen, das den Frauen entgegengebracht wird. Es gibt keine Bevormundung von außen, die letzte Entscheidung wird in die Hände gelegt, wo sie unserer Meinung nach am besten aufgehoben ist: bei den Frauen selbst. Schwangerschaftsabbrüche finden dort übrigens nicht öfter statt als in anderen Ländern auch.

Welche Erfahrung hat Kanada mit dieser Regelung gemacht?

Der kanadische „Health Act“ ist gut begleitet mit Prävention. Und das ist auch unser Anliegen. Es kann nicht sein, dass die Aufklärung von Jungen und Mädchen aus dem Internet passiert. Aufklärung, die Ermächtigung über den eigenen Körper, ist für uns ein Bildungsauftrag. An diesem Punkt kommen wir in die Quere mit rechtsgerichteten Kräften: Gerade Länder wie Ungarn und Polen, die Sexualkundeunterricht aus den Schulen verbannen wollen, sind die strafenden Ländern. Da soll einerseits über Sexualität nicht gesprochen, andererseits aber Schwangerschaftsabbrüche verboten werden.

Das klingt paradox?

Das Verbot einerseits und die Nicht-Aufklärung andererseits sind gleichbedeutend damit, Frauen dumm und kleinzuhalten. Sie münden in einem wichtigen dritten Punkt: der Frau einen definierten Platz in der Gesellschaft zuzuweisen. Mit diesem vorbestimmten Platz, früher nannte man es Kinder, Küche, Kirche, – heute kommt noch ein K für Kerl hinzu – rundet sich ein Menschenbild ab, das wir so nicht teilen, weil wir für Menschen nicht Plätze vorbestimmen, sondern Menschen Chancen geben wollen.

Schauen wir auf die Situation von Frauenrechten in Europa; neben Ungarn und Polen erleben wir gerade auch den Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Man hat den Eindruck, dass Europa auseinanderdriftet. Es gibt Länder wie Polen, die Ungarn folgen und sogar versuchen, Verhütung verbieten. Für junge Frauen, die auf dem Land in Polen wohnen, ist es an manchen Orten nicht möglich, Verhütungsmittel zu kaufen. Aber es gibt auch andere Länder, wie Belgien, die sich in Richtung Kanada aufmachen. In Irland gab es vor kurzem eine Bürgerbefragung zum Thema Schwangerschaftsabbrüche. Diese herausragende Kampagne wurde von Männern gemacht, die für die Wahlfreiheit von Frauen eingetreten sind. Und in der vergangenen Woche hat in Malta, einem der letzten Länder in Europa, in dem Schwangerschaftsabbrüche total verboten sind, ein Parlamentsmitglied einen Antrag gestellt, Schwangerschaftsabbrüche freizugeben. Und Malta bebt!

Was ist zu tun, damit Europa nicht weiter auseinanderdriftet?

Wenn das Ziel der Union die Angleichung der Lebensverhältnisse ist, kann es nicht sein, dass es vom Geburtsort der Frau abhängt, ob sie Zugang zum Schwangerschaftsabbruch hat oder nicht. Auch wenn die ganz Rechten und auch Teile der Konservativen hier auf die Bremse drücken, ist die Mehrheit im Parlament noch immer gesichert: wir wollen nach vorne kommen in Richtung Geburtsort Europa: Gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Die EU-Kommissarin für Gleichstellung Helena Dalli plant für den Fall, dass sich Ungarn, Polen oder auch Kroatien dem völkerrechtlichen Vertrag der Istanbul Konvention entziehen wollen, eine europäische Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Das ist eine klare Ansage.

In Deutschland gab es innerhalb der Koalition lange Streit um den Paragraf 219a, dem Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Am Ende stand ein Kompromiss, mit dem die SPD-Frauen gar nicht glücklich waren.

Nein, mit dem 219a sind wir nicht glücklich. Über jeden medizinischen Eingriff, von der Zahnarzt-OP bis zum Augenlasern, kann ich mich im Internet informieren. Und niemand wirft den behandelnden Ärztinnen oder Ärzten, die ihr Vorgehen bei einer OP beschreiben vor, sie würden Werbung betreiben. Nur beim Schwangerschaftsabbruch wird genau das unterstellt. Es wird ein Werbeverbot für etwas ausgesprochen, was eigentlich Information ist. Deshalb muss der §219a weg. Mit dem derzeitigen Koalitionspartner war das leider nicht zu machen.

Werden Frauen in Deutschland in dieser schwierigen Situation gut genug unterstützt?

Wir haben in Deutschland ein gutes Beratungsnetz mit guten Beratungsstellen. Allerdings ist es sehr bedauerlich, dass Beratungsstellen zunehmen, die nicht ergebnisoffen beraten, sondern das Ziel haben, dass Schwangerschaften ausgetragen werden müssen. Zum Beispiel die Beratungsstellen angeblicher Lebensschützer. Wir sind der Meinung, wenn es schon Pflichtberatungen geben muss, dann müssen sie den Frauen die Möglichkeiten in die eine wie in die andere Richtung aufzeigen. Ein weiteres Problem ist derzeit, dass es an Ärztinnen und Ärzten fehlt, die Abbrüche durchführen. Wenn es aber ein Recht darauf gibt, muss das Recht in Deutschland auch verwirklichbar sein. Deshalb fordern wir als ASF – und ich bin sehr froh, dass sich die SPD dieser Forderung anschließt, dass jedes staatlich unterstützte Klinikum Schwangerschaftsabbrüche anbieten muss.

Wie geht es weiter im Kampf gegen den § 218?

Nehmen wir das Beispiel Polen: Früher mussten irische Frauen für Abtreibungen nach Polen fahren, nun ist es umgekehrt. Hier sehen wir deutlich, dass es um eine staatliche Disziplinierung von Frauen und Frauenkörper geht und dass Sexualität immer auch ein politischer Kampfplatz war. Gleichzeitig sehen wir an dieser Entwicklung, dass erkämpfte Rechte immer nur Rechte auf Zeit sind. Rückfall ist möglich. Plötzlich stehen Dinge, die angeblich ausdiskutiert, die Allgemeinwissen sind, wieder auf dem Prüfstand. Das einzige, was uns vor massiven Rückständen schützt ist, dass wir in den Hauptpunkten mit parteiübergreifend zusammenarbeiten.

Deshalb unterstützen wir aktuell auch den Aufruf Weg mit § 218. Dafür kämpfen wir als SPD auch mit unserer Sozialpolitik. In der Abwägung, breche ich die Schwangerschaft ab oder nicht, kann Sozialpolitik ein wichtiger Schlüssel sein. Es geht immer auch darum, gerade jungen Frauen zu zeigen, ihr seid nicht alleine.

Im Wahlprogramm haben wir uns als SPD klar positioniert: Wir erkennen die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen an und wollen den Paragrafen 219a abschaffen. Und was den Paragrafen 218 ff. angeht, steht fest: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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