Tariftreue und Mitbestimmung: Warum Hubertus Heil auf den Staat setzt
Das lange angekündigte Tariftreuegesetz ist auf dem Weg. Auch will Arbeitsminister Hubertus Heil die Mitbestimmung in Betrieben gegenüber Arbeitgebern verschärfen. Mit Widerstand ist jetzt schon zu rechnen.
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In den meisten Bundesländern existiert bereits ein Tariftreuegesetz, nun will Bundesminister Hubertus Heil es auch auf Bundesebene
Es sei ihm ein großes Anliegen, für mehr Tarifbindung zu sorgen, erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zuletzt im vorwärts-Interview. Um das zu erreichen, sollen öffentliche Aufträge des Bundes künftig nur noch an Unternehmen gehen, die ihren Beschäftigten tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren. „Und deshalb haben wir das Bundestariftreuegesetz vorgelegt“, sagte Heil. Das war ohnehin im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und der FDP vereinbart.
Am Dienstag wurde der Gesetzentwurf zur Stärkung der Tarifautonomie nun zur Anhörung den Ländern und Verbänden vorgelegt. Das Gesetz soll den Abwärtstrend bei der Anzahl der tarifgebundenen Betriebe in Deutschland stoppen. Tatsächlich waren im vergangenen Jahr nur noch 42 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Branchentarifvertrag tätig, acht Prozent in Firmen mit Haustarif, für knapp 51 Prozent galt überhaupt kein Tarifvertrag. Diese Zahlen gehen aus der Analyse des IAB-Betriebspanels 2023 hervor, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) im September veröffentlichte.
Zuschlag nur mit Tarifbindung
Das Gesetz will dieser Entwicklung entgegenwirken, indem die öffentliche Hand als Auftraggeberin faire Arbeitsbedingungen und soziale Standards unterstützt. Gleichzeitig bremst das Gesetz Wettbewerbsvorteile für Unternehmen aus, die aufgrund von Lohndumping kostengünstigere Angebote abgeben können, wenn der Staat seine Vergaben nur an Firmen tätigt, die Tarifvertragsbestimmungen einhalten. Wie aus Kreisen bekannt wurde, soll eine neue Prüfstelle eingerichtet werden, um die Einhaltung der Tariftreue zu überprüfen.
Ebenfalls im Koalitionsvertrag festgelegt und von Hubertus Heil in der Öffentlichkeit mehrfach angekündigt, sieht das Gesetz auch Änderungen bei der betrieblichen Mitbestimmung vor. Zwar machen sich Unternehmen bereits heute strafbar, wenn sie Betriebsratsarbeit oder die Gründung von unterdrücken. Dazu muss aber eine Anzeige gestellt werden, und wer sie stellt, fürchtet oft die Konsequenzen.
Unternehmen in die Pflicht nehmen
Künftig soll die Behinderung als Offizialdelikt gelten, was bedeutet, dass ein Ermittlungsverfahren auch ohne Anzeige begonnen werden kann. Heil geht es in diesem Fall besonders darum, die Rechte von Beschäftigten zu schützen und die Demokratie in Betrieben zu stärken. So zumindest erklärte er sein Vorhaben im vergangenen Jahr auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall.
Wie aus Kreisen bekannt wurde, ist im Gesetzesentwurf zudem eine Erweiterung im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen. Bei den im Frühling 2026 stattfindenden Betriebsratswahlen soll erstmalig die Möglichkeit bestehen, die Stimmabgabe per Onlinewahl durchführen zu können.
Wann das Gesetz kommen soll
Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales soll der Entwurf des Tariftreuegesetzes noch in diesem Jahr im Kabinett beschlossen und dann in den Bundestag eingebracht werden. Allerdings gab es in der Vergangenheit schon einige Verzögerungen.
Zuletzt kündigte die FDP im September Widerstand an und wertete die Tariftreue als „bürokratische Fessel“ und damit als Hindernis für Wirtschaftswachstum. Man wolle den Unternehmen mit dem sogenannten Tariftreuegesetz nicht noch mehr Bürokratie aufbürden, ließ die Partei auf X verlauten. Natürlich vertritt die FDP wie schon beim Votum gegen das EU-Lieferkettengesetz vor allem die Interessen der Unternehmensverbände.
Mit Widerstand ist zu rechnen
Das zeigt sich deutlich an der Aussage von Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDI) und ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter. Ihm zufolge ist das sogenannte Tariftreuegesetz ein „Tarifzwangsgesetz“, zitiert ihn die „Augsburger Allgemeine“ am Donnerstag. Wie schon beim Lieferkettengesetz wird hier vor allem der bürokratische Aufwand als Hemmschuh bei der Umsetzung beklagt.
Fakt ist allerdings auch, dass der Stundenlohn bei Tariflöhnen durchschnittlich um 4,50 Euro höher liegt, so zumindest argumentierte Arbeitsminister Heil im ARD-Morgenmagazin. In Vollzeitarbeit seien das monatlich 750 Euro mehr Gehalt.
Gesetz erfüllt auch EU-Recht
Dabei wird Deutschland an gesetzlichen Maßnahmen für mehr Tarifbindung ohnehin nicht vorbeikommen. Spätestens wenn die Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie, die in diesem Jahr in nationales Recht überführt werden muss, erfüllt werden müssen. Die Richtlinie, die europäische Standards für die Berechnung von armutsfesten Mindestlöhnen festlegt, zielt vor allem darauf ab, die Tarifbindung in den Ländern zu stärken, wo sie unter 80 Prozent liegt. Das ist in Deutschland, wie aus den oben genannten Analysen des WSI hervorgeht, der Fall.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.