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SPD-Positionspapier: Für mehr Tarifbindung und Mitbestimmung in Betrieben

Neben mehr Tarifbindung will die SPD die Mitspracherechte in Betrieben stärken. Auch für Menschen mit Behinderung, von denen viele im Arbeitsleben stehen. Wie das in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt gehen soll, erklärt Kerstin Tack im Interview.
von Vera Rosigkeit · 18. November 2020

Weniger Steuereinnahmen, weniger Sozialbeiträge, weniger Kaufkraft: Der DGB beklagt, dass Tarifflucht allen teuer zu stehen kommt. Was will die SPD dagegen tun?

Wir müssen Tarifbindung stärken, denn da wo Tarifverträge sind, gibt es mehr Sicherheit. Das sehen wir aktuell in der Corona-Krise mit der Kurzarbeit. Die Stärkung der Tarifbindung ist neben der Mitbestimmung ein Schwerpunkt unseres Positionspapiers „Mehr Mitbestimmung und mehr Teilhabe ­– 100 Jahre Betriebsverfassung und Schwerbehindertenvertretung“. Mit einem Bundestariftreuegesetz wollen wir dafür sorgen, dass künftig nur Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten, die Tarifbindung haben.

In den meisten Bundesländern gibt es bereits Tarifbindung. Wo nicht?

Es gibt derzeit 15 Landestariftreuegesetze. Es fehlen Bayern und ganz wichtig: der Bund.

Unternehmen mit Tarifbindung sollen aber auch steuerlich begünstigt werden?

Richtig. Wir wollen, dass es Unternehmen nützt, wenn sie eine Tarifbindung haben. Immer mehr Unternehmen sind im Arbeitgeberverband und nutzen die Vorteile, aber nicht die Tarifbindung. Wir wollen aber nicht die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband belohnen, sondern die Tariftreue. Und wir wollen die Allgemeinverbindlichkeit für Tarifverträge in Branchen erleichtern, wo ein Tarifvertrag nicht miteinander ausgehandelt werden kann. So, wie wir es uns derzeit für die Altenpflege wünschen.

Es geht übrigens nicht nur um Steuervergünstigung für Unternehmen. Wir wollen gleichzeitig für Mitglieder erreichen, dass ihr Gewerkschaftsbeitrag nicht wie bisher in der Werbungskostenpauschale der Steuererklärung untergeht, sondern oben draufkommt, also 1.000 Euro Werbungspauschale plus Mitgliedsbeitrag.

Wie sieht es denn mit der Tarifbindung bei Startups aus?

Das ist ein schwieriges Thema, denn Startups sind äußerst vielfältige Unternehmen. Da muss zunächst der Begriff Betrieb im Betriebsverfassungsgesetz neu definiert werden. In der „alten Welt“ ist der Betrieb der Ort, wo mein Arbeitsplatz ist. In der „digitalen Welt“ muss geklärt werden, ob eine Plattform ein Betrieb ist und ob der Startup-Mensch Arbeitnehmer*in oder Ich-AG ist.

Das Positionspapier wurde auf der SPD-Betriebsrätekonferenz im November diskutiert. Welche Themen brennen den Praktiker*innen vor Ort auf den Nägeln?

Beim Thema Mitbestimmung die Frage, wie wir bei Neugründungen von Betriebsräten Mitarbeiter*innen schützen können, damit ihnen keine Nachteile entstehen. Denn es hat auch mit Angst vor Sanktionen zu tun, dass die Anzahl an Betriebsräten sinkt. Der besondere Kündigungsschutz, der zur Zeit nur für die greift, die bereits Mitglied eines Betriebsrats sind, soll erweitert werden auf diejenigen, die einen gründen wollen. Unser Betriebsverfassungsgesetz stammt aus einer Zeit, in der es noch kein Internet gab. Deshalb müssen wir neue Mitbestimmungstatbestände definieren, vom Einsatz von Fremdpersonal und künstlicher Intelligenz bis hin zu Weiterbildung und Gesundheitsprävention.

Hätte derzeit ein Betriebsrat beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz Mitspracherechte?

Als das Gesetz das letzte Mal überarbeitet wurde, gab es den Begriff Künstliche Intelligenz noch gar nicht. Derzeit wird aber zum Beispiel in der Personalverwaltung schon viel über Algorithmen mit KI gearbeitet. Läuft es gut, werden Betriebsräte darüber freundlich informiert. Es gibt aber keine Form der Beteiligung oder gar der Mitbestimmung.

Es soll auch ein Initiativrecht für Bildungsfragen geben…

Wir wollen ein Initiativrecht für betriebliche Weiterbildung, denn viele Unternehmen sind im Umbruch. Zum Beispiel, weil sie Produkte herstellen, die perspektivisch am Markt nicht mehr abgenommen werden. Häufig warten Betriebe zu lange mit notwendigen Veränderungen. Betriebsräte sind oft viel dichter am Geschehen und sollten frühzeitig beteiligt werden. Deshalb möchten wir, dass sie nicht nur ihren Arbeitgeber bitten können, über Weiterbildungen nachzudenken, sondern ihn mit einem Initiativrecht auffordern können, sich damit zu beschäftigen.

Nehmen wir mal als Beispiel die schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Was muss sich hier ändern, damit Betriebsräte mehr Einfluss bekommen?

Zu aller erst müssen Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht beim Einsatz von Fremdpersonal bekommen. Und dieses Fremdpersonal muss bei Wahlen zum Betriebsrat mitgezählt werden. Das ist wichtig für die Anzahl der Betriebsräte insgesamt und deren Freistellungen. Wenn ich einen Betrieb mit 2.000 Beschäftigten habe und davon 1.500 Werkvertragsarbeiter*innen sind, gelten für die Freistellung der Betriebsräte nur die 500 Beschäftigten. Das entscheidet natürlich darüber, wie gut ich meine Mitbestimmung organisieren kann, wie viel Zeit ich für eigene Weiterbildung habe und einiges mehr.

Wie lässt sich die Mitbestimmung bei Schwerbehinderung stärken?

Wir haben 17 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland. Ein großer Teil davon steht im Arbeitsleben und ist entweder mit Beeinträchtigung in die Firma gekommen oder hat die Beeinträchtigung im Berufsleben durch Unfall oder Erkrankung bekommen. Wir möchten, dass diese Menschen im Unternehmen bleiben, dass geschaut wird, wo sie mit ihrer Leistung am besten eingesetzt werden können. Das spielt der Gesundheitsschutz und die Gestaltung des Arbeitsplatzes eine wichtige Rolle.

Die SPD will aber auch die Ausgleichsabgabe erhöhen?

Wir sind eines der wenigen Länder auf der Welt, dass eine Beschäftigungspflicht für Menschen mit Schwerbehinderung hat. Ab zwanzig Mitarbeiter*innen muss ein Betrieb fünf Prozent mit Schwerbehinderung beschäftigen, sonst wird eine Ausgleichsabgabe fällig. Doch mehr als 40.000 Unternehmen, die beschäftigen müssten, tun das nicht und kaufen sich einfach frei. Wir möchten, dass Betriebe, die keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen, eine höhere Ausgleichsabgabe zahlen als beispielsweise Unternehmen, die vielleicht nicht alle fünf, aber immerhin drei oder vier Prozent beschäftigen.

Sie wollen auch, dass Schüler*innen besser informiert werden?

Partizipation und Mitsprache sind Themen, die einen Menschen durch das ganze Leben tragen. Das trifft nicht nur bei Kommunal- oder Bundestagswahlen zu, sondern auch im Arbeitsleben. Da ist man kein ausgelieferter Mensch, sondern hat auch hier Mitsprachemöglichkeiten. Was macht eine Jugendauszubildendenvertretung, was machen Betriebs- und Personalräte? Diese Fragen sollen an weiterführenden, aber noch intensiver an berufsbildenden Schulen Thema sein.

Wie geht es jetzt weiter?

Unser Papier ist eine Positionsbestimmung. Themen wie Tarifbindung und Mitbestimmung werden im SPD- Wahlprogramm einfließen. Und für künftige Koalitionsverhandlungen muss es Grundlage sein.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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