Sendung „Klartext“: Wie Kanzler Olaf Scholz Kritik aus dem Publikum kontert
Viele Themen und wenig Zeit: In der ZDF-Sendung „Klartext“ hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz den Fragen der Studiogäste gestellt. Gleich zu Beginn der Debatte wurde es emotional. Das hatte vor allem mit einer weiteren verheerenden Gewalttat zu tun.
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Bürger*innen fragen, der Bundeskanzler antwortet: Olaf Scholz am Abend des 13. Februar in der ZDF-Sendung „Klartext“.
Kurz vor dem Start der ZDF-Sendung „Klartext“ am Donnerstagabend formuliert ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten ihre Erwartung an den heutigen Abend: „Der direkte Austausch zwischen Bürgern und Politik sorgt immer für Fernsehmomente, die überraschen und oft lange nachwirken.“ Das mag plakativ klingen, doch sie soll recht behalten.
Vier Kanzlerkandidat*innen stellen sich Fragen
Zehn Tage vor der Bundestagswahl hat der öffentlich-rechtliche Sender vier Kanzlerkandidat*innen ins Studio nach Berlin eingeladen: Amtsinhaber Olaf Scholz von der SPD, Robert Habeck von den Grünen, Alice Weidel von der AfD und Friedrich Merz von der CDU. In jeweils 30 Minuten stellen sie sich nacheinander den Fragen der Studiogäste, die vielerlei Altersklassen, Milieus und Regionen abdecken.
Scholz macht den Anfang. Seine politischen Ziele zu erklären, ist für ihn in diesen Wahlkampfzeiten zur Daueraufgabe geworden. Nach dem TV-Duell gegen Merz am vergangenen Sonntag hat er in diesem Townhall-Format ein weiteres Mal die Gelegenheit, sich live vor einem Millionenpublikum zu präsentieren. Doch von Routine kann an diesem Abend keine Rede sein.
Das hat nicht zuletzt mit dem Geschehen am anderen Ende der Republik zu tun: Wenige Stunden zuvor ist ein Mann mit seinem Auto in München in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft ver.di gerast. Wie bei einigen anderen vergleichbaren Gewalttaten hat der Beschuldigte eine Migrationsgeschichte. In den Köpfen vieler Menschen setzt sich eine Serie fort, die vergangenes Jahr in Mannheim ihren Anfang nahm.
Ein Studiogast fragt: Trägt der Kanzler eine moralische Mitschuld an der Gewaltserie?
„Tragen Sie nicht eine moralische Mitschuld?“, fragt eine Bochumer Hausfrau gleich zu Beginn den Kanzler mit Blick auf den Vorfall in München. Es ist ein sehr emotionaler Moment. Scholz verlässt sein Pult in der Mitte des Studios und wendet sich direkt an die Frau aus dem Ruhrgebiet. „Für jeden in der Politik ist diese schreckliche Tat ein Auftrag, etwas zu tun“, sagt er.
Das Thema innere Sicherheit müsse höchste Priorität haben. Er sei dafür, dass Gefährder*innen im Netz früher aufgespürt werden können, damit sie solche Taten gar nicht erst ausüben können. Zugewanderte, die hierzulande Straftaten verüben, müssten konsequenter als bisher abgeschoben werden können.
„Was machen Ereignisse wie in München mit ihnen persönlich?“, will Moderator Christian Sievers wissen. „Die Sorgen der Menschen treiben mich um“, sagt Scholz. Es sei unmöglich, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Der Kanzler behält seinen ruhigen Tom bei, doch man meint zu erkennen, dass ihn das Thema tief bewegt. Dieser Moment wirkt in der Tat lange nach.
Warum Scholz noch mal antritt
So persönlich wird Scholz bei den kommenden Fragen dann nicht mehr, selbst wenn darin direkte Kritik an ihm steckt. Warum er noch mal Kanzler werden möchte, obwohl das Vertrauen vieler Wähler*innen in seine Politik schwinde, will ein Jungunternehmer aus München wissen.
Der Kanzler verweist darauf, wie die Bundesregierung nach Russlands Invasion in der Ukraine die Energieversorgung gesichert und auch sonst einiges im Interesse der Menschen erreicht habe, zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohns. „Das verstehe ich unter Führungskraft“, sagt Scholz mit Blick auf seine Rolle in der Koalition.
Ähnlich ungemütlich geht die Frage-Antwort-Runde weiter: Ob das Für und Wider von Taurus-Lieferungen an die Ukraine, die künftige Unterstützung des von Russland überfallenen Landes nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump, die Gefährdung der Klimaziele oder die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland: Die Menschen befragen den Kanzler zu Themen, die in der Öffentlichkeit mitunter heftig diskutiert werden. Scholz hört geduldig zu, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und zeigt sich auch in seinen Antworten zugewandt.
Wie der Kanzler die Misere beim Wohnungsbau erklärt
Und das auch bei einem Thema, wo die Bundesregierung zuletzt selbst eingeräumt hat, die gesetzten Ziele nicht erreicht zu haben. Es ist der Wohnungsbau. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr hatten SPD, Grüne und FDP einst als Zielmarke ausgegeben. Im Jahr 2022 waren es nur 295.000 und im Jahr darauf noch weniger. Auch im laufenden Jahr zeichnet sich ein Abwärtstrend ab.
Was es heißt, wenn gerade in Uni-Städten Wohnungen fehlen, wird an diesem Abend anschaulich. Ein Student aus Münster berichtet, notgedrungen in einer Turnhalle übernachtet zu haben. Und fragt, wie sich der Kanzler das Debakel erklärt.
Der nennt unter anderem gestiegene Baukosten, gerade infolge höherer Zinsen. Allerdings habe der Bund unter seiner Führung 20 Milliarden zusätzlich in den Sozialen Wohnungsbau gesteckt. Ob Scholz an 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr festhalte, fragt Sievers. „Auf die Dauer brauchen wir viel mehr“, antwortet Scholz.
Nach 30 Minuten ist Schluss. Habeck steht schon bereit. Die Zeit reicht gerade noch für einen herzlichen Händedruck zwischen Kanzler und Vizekanzler. Und Scholz verlässt die Bühne.