Pflegeversicherung: Wie die SPD höhere Beiträge verhindern will
Es fehlt Geld in der Pflegekasse, eine weitere Anhebung der Beiträge ist nicht ausgeschlossen. Doch „das kann nicht der Weg sein“, sagt Heike Baehrens, Gesundheitsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion. Ihre Partei verfolge andere Pläne, erklärt sie im Interview.
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Die Ausgaben der Pflegeversicherung haben sich ungünstig entwickelt, die SPD will künftig versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln finanzieren
Kürzlich warnte Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor einem akuten Problem in der Pflegeversicherung, weil die Anzahl der Pflegebedürftigen drastisch gestiegen sei. Wie lässt sich die aktuelle Situation beschreiben?
Tatsächlich nehmen immer mehr Menschen Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch. Das hängt auch mit der demografischen Entwicklung zusammen. Der Anstieg der Pflegebedürftigen, von dem Gesundheitsminister Lauterbach gesprochen hat, hängt zusammen mit der Änderung des Begutachtungsverfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit in 2017. Seitdem haben mehr Menschen Anspruch auf Pflegeleistungen, weil wir beispielsweise Leistungen bei demenziellen Erkrankungen erhöht haben.
Wir sind davon ausgegangen, dass der rasche jährliche Anstieg nach der Änderung der Begutachtungsrichtlinien sukzessive wieder abnehmen würde. Das hat sich auch in den Zahlen der vergangenen Jahre gezeigt. Für das Jahr 2023 hätte sich dieser rückläufige Trend weiter fortsetzen müssen. Stattdessen ist die Anzahl der Pflegebedürftigen in 2023 unerwartet wieder auf das Niveau gestiegen, das wir zuletzt 2017/2018 kurz nach der Einführung des neuen Begutachtungsverfahrens hatten. Damit haben sich die Ausgaben der Pflegeversicherung ungünstiger entwickelt als erwartet.
Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ist erst vor einem Jahr gestiegen. Reicht die Erhöhung aus?
Da der Kostendruck steigt, wird die im vergangenen Jahr beschlossene Erhöhung des Beitragssatzes um durchschnittlich 0,35 Prozent nicht ausreichen. Deshalb müssen wir jetzt beraten, wie wir die Pflegeversicherung finanziell stabilisieren.
Welche Pläne verfolgt die SPD bei der Finanzierung?
Wir wollen, dass die Regelungen umgesetzt werden, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Das würde die Pflegeversicherung deutlich entlasten.
Als erstes sollten die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege von der Kranken- und nicht von der Pflegeversicherung getragen werden. Das würde eine Entlastung von circa 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr bringen.
Wir wollen zudem, dass die 5,4 Milliarden Euro an Mehrkosten durch die Pandemie, die von der Versichertengemeinschaft getragen wurden, aus Steuermitteln zurückgeführt werden. Und drittens fordern wir, versicherungsfremde Leistungen künftig aus Steuermitteln zu finanzieren.
Welche Mehrkosten haben sich durch die Pandemie ergeben?
Das sind vor allem die Kosten für Tests, für Personal- und auch Materialkosten, die Einrichtungen und Dienste bezahlen mussten. Am Ende mehr als 13,1 Milliarden Euro. Davon sind 5,4 Milliarden Euro durch Beitragsgelder der Sozialen Pflegeversicherung ausgeglichen worden. Geld, das jetzt fehlt.
Was sind versicherungsfremde Leistungen?
Ein Beispiel: Menschen, die ihre Angehörigen pflegen und ihre Arbeitszeit reduzieren, haben Anspruch auf Rentenversicherungsbeiträge. Diese Beiträge werden derzeit aus der Pflegeversicherung bezahlt, obwohl es keine versicherungstypische Leistung ist. Das halten wir für falsch. Diese Leistung muss aus Steuermitteln finanziert werden. So hatten wir es auch vereinbart.
Was ist aus dem Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung geworden?
Im Koalitionsvertrag haben wir sogar eine Anhebung des Bundezuschusses vereinbart. Stattdessen wurde der bisherige Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro aufgrund der Haushaltslage ausgesetzt.
Hält die SPD an den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag fest?
Natürlich. Gerade weil der Finanzminister darauf pocht, dass das Einhalten der Schuldenbremse im Koalitionsvertrag vereinbart sei, müssen auch wir als SPD einfordern, dass Dinge, die wir vereinbart haben, entsprechend umgesetzt werden.
Wie will die SPD vorgehen?
In den vor uns liegenden Haushaltsberatungen müssen all diese Punkte auf den Tisch. Wenn eine Entlastung über Steuermittel nicht gelingt, wird es zu einer Beitragssatzerhöhung kommen. Das kann nicht der Weg sein.
Heike Baehrens
„Wenn eine Entlastung über Steuermittel nicht gelingt, wird es zu einer Beitragssatzerhöhung kommen. Das kann nicht der Weg sein.“
Gesundheitsminister Karl Lauterbach und auch Bundeskanzler Olaf Scholz wollen eine Pflegereform. Wie könnte diese Reform aussehen?
Wir arbeiten bereits an einer Pflegereform, die allerdings mehr umfasst als nur die Stabilisierung der Finanzen. Es geht um die langfristige Sicherstellung der Versorgung und um Kompetenzen des Pflegepersonals.
Wir wollen, dass gut ausgebildete Pflegefachkräfte mehr Verantwortung erhalten. Nicht nur um ihre Qualifizierung anzuerkennen, sondern auch, weil sie mehr Verantwortung wollen. Das hilft, das Ansehen dieser Berufe zu stärken und die Versorgung effizienter zu gestalten.
Der Gesundheitsminister hat die Eckpunkte für dieses Gesetz bereits auf den Weg gebracht. Der erste Entwurf des Gesetzes ist für die nächsten Wochen angekündigt.
Was ist weiterhin geplant?
Auch ein Pflegeassistenzgesetz ist in Vorbereitung. Damit wollen wir Zugänge in die Pflegeberufe erleichtern. Die Ausbildung zur Pflegeassistenz ist bislang in jedem Bundesland anders gestaltet. Sie soll zu einer 18-monatigen Ausbildung vereinheitlicht werden. Und sie soll anschlussfähig sein an die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft.
Wo steht die SPD, wenn es um die Zukunft der Pflege geht?
Auch wenn der Finanzminister keine Steuerzuschüsse zur Pflege will, bin ich der Meinung, dass wir die Kosten breiter verteilen müssen. Wir werden deshalb weiterhin dafür werben, dass private und gesetzliche Pflegeversicherung zusammengeführt werden. Es macht keinen Sinn, dass in der privaten Versicherung außerordentlich hohe Rücklagen gebildet werden. Die liegen inzwischen bei 49 Milliarden Euro, obwohl die jährlichen Leistungsausgaben bei 2,5 Milliarden Euro liegen. Das kann nicht richtig sein.
Weil der Schritt zur Pflegebürgerversicherung nicht im Koalitionsvertrag steht, sollten wir mindestens über einen Risikoausgleich nachdenken. Denn in der privaten Pflegeversicherung sind vor allem gutverdienende Erwerbstätige versichert, die seltener und weniger krank und pflegebedürftig sind. Ein Lastenausgleich zwischen der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung ist überfällig. Das Geld wird jetzt gebraucht, um eine gute Pflege zu gewährleisten.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.