„Omas gegen rechts“-Gründerin Anna Ohnweiler: Unermüdlich für die Demokratie
Sie könnte sich eigentlich eine ruhige Zeit als Rentnerin machen. Stattdessen gründete die Sozialdemokratin Anna Ohnweiler mit „Omas gegen rechts“ die größte deutsche Frauenbewegung gegen Extremismus.
Dirk Bleicker | vorwärts
Mit Weste und Ansteckbutton: Anna Ohnweiler, die Gründerin von „Omas gegen rechts“, zeigt Haltung.
Die Morddrohung hat sie im Fahrstuhl gelesen. Sie war gerade nach Hause gekommen, an einem Abend Ende Januar oder Anfang Februar. Beim Reinkommen hatte sie den Briefkasten geleert. „Da habe ich gesehen: Aha, eine Karte“, erzählt Anna Ohnweiler, 74 Jahre alt, rückblickend heute. „Eigentlich ja etwas, worüber man sich freut.“
Doch beim Lesen der Karte sei ihr ganz anders geworden. Deren Inhalt soll an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Nur so viel: Der anonyme Verfasser äußerte sich offen rechtsextrem und drohte ihr mit schlimmsten Gewaltfantasien gegen Frauen. „Ich bin schnell in die Wohnung und habe abgeschlossen“, sagt Ohnweiler. Sie rief ihre Kinder an, später stellte sie Strafanzeige. Weil sie zu dem Zeitpunkt für den Gemeinderat kandidierte, übernahm der Staatsschutz die Ermittlungen. Ohne Erfolg.
Seit 2018: Initiative gegen Rechts
Fünf Jahre später: Nagold im Schwarzwald, eine Vier-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock. Anna Ohnweiler hat den Tisch gedeckt: Es gibt Kaffee und Quarkbällchen. Sie ist mal wieder auf dem Sprung. In wenigen Tagen steht die Jahreshauptversammlung von „Omas gegen rechts“ an. Erst kürzlich war sie in Berlin: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ehefrau Elke Büdenbender hatten ausgewählte Ehrenamtliche zum Bürgerfest eingeladen. Da habe sie die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer getroffen, erzählt sie mit stolzem Lächeln. „Wir haben ihr einen unserer Ansteck-Buttons geschenkt.“
Ob sie seit der Morddrohung manchmal Angst hat? Die kleine Frau mit dem adretten Haarschnitt lächelt müde: „Warum soll ich mit meinen 74 Jahren Angst haben? Wenn es mir um mich gehen würde, würde ich zu Hause bleiben und stricken.“
35.000 „Omas gegen rechts“
2018, etwa ein Jahr vor der Morddrohung, hat Ohnweiler „Omas gegen rechts“ gegründet. In Österreich gab es die Initiative gegen Rechtsextremismus schon, in Deutschland saß die AfD erstmals im Bundestag, und Ohnweiler, zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren in Rente, musste einfach etwas unternehmen. Also buk sie einen Apfelkuchen, holte ein paar ältere Damen zu sich an den Küchentisch, und überlegte mit ihnen: Wie lassen sich Nazis bekämpfen?
Heute gibt es deutschlandweit rund 35.000 „Omas“, schätzt sie. Damit ist die Initiative wohl die größte Frauenbewegung gegen rechts in Deutschland. Überall dort, wo Rechtsradikale auftauchen, wo ein Klimastreik ansteht, wo Frauenrechte auf dem Spiel stehen – die mutigen älteren Damen sind da. Sie setzen sich bunte Mützen auf und sagen als Nachkriegsgeneration: Nie wieder.
Mittendrin: Anna Ohnweiler als erste Vorsitzende des Vereins. Meist sitzt sie schon am frühen Morgen am Computer, sagt sie. E-Mails schreiben, Veranstaltungen anmelden, Demos organisieren. Das alles nehme am Tag rund acht Stunden in Anspruch.
Gespräche über den Nationalsozialismus
Auf einer Kommode aus Eichenholz stehen gerahmte Fotos: Sie zeigen ihre beiden Kindern, die zwei Enkel und die Enkelin, neun, zwölf und 18 Jahre alt. Wann ist die „Oma“ eigentlich Oma? Gerade mit der Älteren spreche sie viel über den Nationalsozialismus, sagt Ohnweiler. Eine ganz tolle Abschlussarbeit über die Verfolgung der Sinti und Roma im Holocaust habe die 18-Jährige geschrieben. „Volle Punktzahl“, sagt sie stolz.
Auf einem Foto ist sie selbst zu sehen, als junges Mädchen in Rumänien, wo sie 1950 geboren wurde. Ihre Eltern gehörten zur deutschen Minderheit in der Region Siebenbürgen, nach dem Krieg wurden sie ins sowjetische Arbeitslager deportiert. Ihre Erfahrungen von Repression und Vertreibung haben Ohnweiler geprägt. Genauso wie die Unfreiheit im rumänischen Kommunismus. Sie erzählt: Als Schülerin habe sie die anderen in der Klasse angespornt, Miniröcke zu tragen, entgegen der Vorschrift. „Ich habe opponiert, wo es nur ging.“
Von der Union zu den Sozis
Von Momenten wie diesen erzählt die Rentnerin gerne. Sie richtet sich dann auf in ihrem Ledersessel, strafft die Schultern und lächelt wie ein junges Mädchen. Offenbar ist sie stolz darauf, unabhängig gewesen zu sein, eine selbstbewusste Frau. So selbstbewusst, dass sie in ihrem Leben immer wieder nach neuen Wegen gesucht hat, um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Und Altes notfalls über den Haufen warf.
1979 folgt sie ihrem Mann nach Deutschland. Als Leiterin einer sozialen Einrichtung im christlichen Jugenddorfwerk arbeitet sie jahrzehntelang mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Und sie tritt der CDU bei, 20 Jahre lang ist sie Christdemokratin, kandidiert sogar fürs Europaparlament. Ihre Herzensthemen sind Chancengleichheit, gebührenfreie Kitas und bezahlbarer Wohnraum. „Sozi-Themen“ habe der Fraktionsvorsitzende eines Tages dazu gesagt. „Dann gehe ich eben zu den ,Sozis‘“, habe sie sofort erwidert.
Zeit für einen Kurswechsel
2018 tritt sie der SPD bei, wird Mitglied im Ortsvorstand. 2023 kommt sie als einzige Frau in den Nagolder Gemeinderat, unter anderem in den Ausschuss für Soziales. Doch zeitgleich verschärft sich in Deutschland das politische Klima. Als Correctiv die Remigrations-Pläne der radikalen Rechten enthüllt, als in Sachsen und Thüringen fast jeder Dritte die AfD wählt, verbringt Ohnweiler ihre Abende in langen Sitzungen. „Ich habe ,Omas gegen rechts‘ ziemlich vernachlässigt in der Zeit“, sagt sie heute. „Ich habe zwar weitergemacht, aber ich bin auf dem Zahnfleisch gegangen.“
Und jetzt wird es Zeit für einen Kurswechsel. Bei den Europawahlen im Juni und den Ostwahlen im September bekam die AfD viele Stimmen von jungen Menschen. „Das hätte ich ihnen nicht zugetraut“, sagt sie. „Wir müssen jetzt nach Lösungen suchen, um sie wieder einzufangen.“
Nicht viel grübeln, pragmatisch denken. Blickt man auf die Wahlergebnisse, ist Deutschland seit Gründung der „Omas“ rechtsextremer geworden. Also noch mal: Hat sie denn keine Angst? „Ich habe Angst um meine Kinder und meine Enkelkinder“, sagt sie. „Die wissen ja nicht, wie es ist, in einer Diktatur zu leben.“
Im Juni hat Nagold einen neuen Gemeinderat gewählt, Ohnweiler sitzt für die SPD auf der Nachrückerliste. Würde man sie fragen, sie würde ablehnen, sagt sie. Sie glaubt, als „Oma“ kann sie die jungen Menschen derzeit besser erreichen. „Die meisten Kinder und Jugendlichen haben ja eine Oma. Und das sind meistens die netten Personen in der Familie.“
Lea Hensen is Redakteurin des „vorwärts“, Finn Lyko ist Volontärin des „vorwärts“.
Omas gegen rechts
Ich bin konservativ und nach der gängigen Meinung also rechts.
Ich bin rechts weil ich nicht links bin. So, was hat Frau Ohnweiler gegen mich?
Und warum so einseitig gegen Rechtsextreme. Meine beiden Patentöchter und deren Mutter, die jüdisch sind, haben von AfD Leuten noch keine Anfeindungen erleben müssen, aber von Muslimen und auch von linken Antisemiten. Die Linke vergißt allzu leicht, daß der linke Antisemitismus mit der RAF in 70er Jahren begann und sich fortgesetzt hat bis zu einer Frau Özuguz, die sich lau entschuldigt aber absolut nicht distanziert von den Inhalten der Israelfeinde. Warum wird dagegen nichts unternommen? Mein Vorschlag als Parole: Omas gegen linken, rechten und muslimischen Antisemitismus.