Omas gegen Rechts in Kandel: Für die Enkel und die Demokratie
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Kandel ist ein beschaulicher Ort in der südlichen Pfalz. Die Grenze zu Baden-Württemberg ist nur wenige Kilometer entfernt. Keine 10.000 Menschen leben hier. Anfang 2018 wurde die Stadt schlagartig bundesweit bekannt. Nachdem kurz nach Weihnachten ein afghanischer Flüchtling eine 15-Jährige erstochen hatte, zogen Neonazis, Hooligans und Reichsbürger in sogenannten Trauermärschen durch den Ort. Woche für Woche wurden es mehr. Sie kamen aus dem gesamten Bundesgebiet. An einem Sonntag im März waren es 4.000 Menschen.
Eine der ersten, die gegen die Rechten im Ort demonstrierte, war Inge Heimer. Sie war erst ein Jahr zuvor aus dem Saarland in die Pfalz gezogen, wegen ihrer Enkel. „Der Protest gegen den Trauermarsch war die erste Demo meines Lebens“, erinnert sie sich. „Ich wusste vorher nicht mal, was die Antifa ist.“ Es sollte nicht ihre letzte Demonstration sein. Woche für Woche stellte sich Heimer mit einigen Mitstreiter*innen wieder den Rechten entgegen, machte ordentlich Krach mit einigen Kuhglocken. Irgendwann gründete sie die „Omas gegen Rechts“ in Kandel.
Vorbild aus Östereich
2017 war die erste „Omas“-Gruppe in Österreich entstanden, nachdem dort die ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ eine Regierungskoalition gebildet hatte. Nun also auch in Kandel. „Es kann nicht sein, dass die Nazis ohne Gegenwehr ihre Parolen grölen“, habe sie damals gedacht, erinnert sich Inge Heimer. „Irgendwann war einfach eine Grenze erreicht.“ Die „Omas“ waren nicht das einzige Bündnis gegen die rechten Aufmärsche in Kandel. „Wir sind Kandel“ entstand ebenso wie „Kandel gegen Rechts“.
Gestoppt wurden die Demonstrationen aber schließlich von einer Baustelle. Weil die Kanalisation und der Belag einer Hauptstraße erneuert werden mussten, konnten die Rechten hier nicht mehr marschieren. Der Spuk war vorbei. „Im Zuge der Corona-Proteste haben sie versucht, nochmal hier Fuß zu fassen, aber da war sofort der Gegenprotest da“, erzählt Inge Heimer
Für sie ging es danach aber erst richtig los. Ob im nahen Landau oder in Halle an der Saale – überall stellten sich Inge Heimer und die Kandeler Omas den „Querdenkern“ entgegen, nicht selten unter Einsatz der eigenen Gesundheit. Als sie Proteste in Mannheim unterstütze, „waren wir plötzlich von 20 Querdenkern umringt, die uns bepöbelt haben. Das war echt übel“, erinnert sich Heimer. Bei einer Demo gegen die AfD in Speyer dagegen war die Stimmung gelassen. „Wir hatten einen Dudelsackspieler dabei und haben getanzt.“
Anfeindungen von Rechts
So viel Einsatz machte Inge Heimer auch in der rechten Szene bekannt. Ein Foto ihres Wohnhauses wurden in einschlägigen Gruppen geteilt, „zum Glück ohne Adresse“. Regelmäßig wird sie in sozialen Medien angegriffen und beleidigt. Als Inge Heimer im Kommunalwahlkampf für die SPD kandidierte, starteten einige Rechte eine Diffamierungskampagne. „Die wissen aber genau, dass ich rigoros alles anzeige, auch wenn 99 Prozent der Anzeigen nichts bringen“, sagt Heimer. „Ich sehe es fast schon als Kompliment, wenn ich angefeindet werde.“
Warum sie alle das auf sich nimmt? Da muss Inge Heimer nicht lange überlegen. „Für meine Enkelkinder! Ich möchte, dass sie in einer freien, weltoffenen und demokratischen Gesellschaft aufwachsen können. Ich tue es, weil unsere Demokratie in Gefahr ist und verteidigt werden muss.“
Dass die SPD ihr Engagement nun mit dem Regine-Hildebrandt-Preis würdigt, freut Inge Heimer sehr. „Die SPD muss im Kampf gegen rechts aktiver werden“, findet sie. Viele seien noch immer zu leise. Genau das will sie auch am Samstag bei der Preisverleihung im Willy-Brandt-Haus ansprechen: „Die Politik ist mir manchmal zu naiv und muss genauer hinsehen.“ Das gilt aus Sicht von Inge Heimer auch für die Polizei. „Ich habe schon erlebt, dass Polizisten auf einer Demo nicht wussten, dass die Leugnung des Holocausts strafbar ist“, berichtet sie. Auch Polizeigewalt gegen friedliche Demonstrant*innen sei ein Problem.
Was die Omas gegen Rechts mit den 5.000 Euro Preisgeld vorhat, weiß Inge Heimer auch schon. Eine Teil wolllen sie spenden und den Rest in Material investieren. „Damit wir sichtbar bleiben.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.