Inland

Migration: Warum die SPD auf eine Doppelstrategie setzt

Die irreguläre Einwanderung stärker begrenzen und gleichzeitig den Zuzug von Fachkräften fördern – darauf setzen die SPD und die von ihr geführte Bundesregierung in der Migrationspolitik. Dabei ist allerdings klar: Ohne Europa geht es nicht.

von Jonas Jordan · 29. Dezember 2023
Ausländische Fachkräfte bei der Diamant-Fahrradwerke Gmbh in Sachsen

Vielfalt am Arbeitsplatz: Die Diamant Fahrradwerke GmbH in Sachsen beschäftigt Menschen mit verschiedener Nationalität.

Es ist eine Doppelstrategie, die die Sozialdemokratie beim Thema Migration verfolgt, wie die Verant- wortlichen in Partei und Fraktion immer wieder betonen. Es geht auf der einen Seite darum, die sogenannte irreguläre Migration zu steuern und zu begrenzen. Auf der anderen Seite soll Deutschland durch verschiedene Maßnahmen attraktiver werden für die dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland.

Knapp 290.000 Asylanträge in den ersten neun Monaten 2023

Zwischen Januar und Oktober 2023 wurden in Deutschland bereits mehr als 286.638 Asylanträge gestellt, das sind rund 58 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Weil außerdem noch mehr als eine Million Menschen seit kriegsbeginn im Februar 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, drängen Städte und Kommunen auf Entlastung und eine stärkere Begrenzung der Zuwanderung in die Bundesrepublik.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte deshalb bereits Mitte Oktober die Bundespolizei angewiesen, an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz stationäre Kontrollen durch- zuführen, so wie es sie seit 2015 bereits an der Grenze zu Österreich gibt. 

Weitere Maßnahmen hat Bundeskanzler Olaf Scholz während der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November mit den Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer vereinbart.

Atmendes System ab 2024

Dazu gehört, dass ab dem kommendem Jahr ein „atmendes System“ eingeführt werden soll. Die Höhe der Gelder des Bundes soll sich künftig an der Zahl der nach Deutschland kommenden Schutz- suchenden orientieren. Pro Person wird der Bund eine jährliche Pauschale in Höhe von 7.500 Euro an die länder zahlen. 

Außerdem wurde verabredet, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber erst nach 36 Monaten statt wie bisher nach 18 Bürgergeld erhalten sollen. Auch soll zum kommenden Jahr eine Bezahlkarte eingeführt werden, mit der der Verwaltungsaufwand in den kommunen deutlich reduziert und möglichst keine Leistung mehr als Bargeld an Geflüchtete ausgezahlt werden soll. 

Weitere Verabredungen mit den Ländern sollen Anfang des neuen Jahres umgesetzt werden. Dazu gehört zum Beispiel ein Rückführungsverbesserungsgesetz, mit dem Abschiebungen von Ausreisepflichtigen vereinfacht werden sollen. Dafür soll unter anderem die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage verlängert werden. Denn aktuell scheitern zwei Drittel aller geplanten Abschiebungen.

Menschen schneller in Arbeit bringen

Doch dass diejenigen, die kein Bleiberecht haben, das Land wieder verlassen müssen, sei „eine Voraussetzung dafür, dass Migration in der Gesellschaft anerkannt wird und Integration funktioniert“, betonte Faeser Ende November im Bundestag.

Gleichzeitig sollen Geflüchtete mit Bleibeperspektive schneller die Möglichkeit erhalten, in Deutschland arbeiten zu dürfen. Dies soll künftig frühestens nach drei und spätestens nach sechs Monaten möglich sein. „Auch das ist dringend notwendig. Denn Arbeit ist der entscheidende Faktor für Integration“, sagt Faeser.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechtes will die Bundesregierung Zugewanderten den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erleichtern und zugleich einen Anreiz zur schnellen Integration schaffen, auch mit Blick auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. 

Eine Einbürgerung soll demnach künftig bereits nach einem Aufenthalt von fünf Jahren in Deutschland möglich sein, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, bei besonderen Integrationsleistungen schon nach drei Jahren. Zudem soll die doppelte Staatsangehörigkeit künftig generell möglich sein.

Durchbruch in Europa

Auf europäischer Ebene gab es kurz vor Weihnachten noch den von vielen erhofften Durchbruch bei der grundsätzlichen Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems, kurz GeAS. Die Reform sieht schärfere Asylregeln, Asylverfahren an den Außengrenzen sowie einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedsländern vor. Damit sollen Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland entlastet werden. Ein zentrales Element ist, dass ankommende Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. 

Bereits 2022 hatte sich das Parlament mit den anstehenden Ratspräsidentschaften darauf verständigt, den Asyl- und Migrationspakt bis April 2024 komplett zu verabschieden. Das Plenum des Parlaments und die Mitgliedstaaten müssen den Einigungen noch zustimmen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 29.12.2023 - 13:09

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schwer, wenn nicht gar unmöglich, für die Politik unserer Partei zu werben bzw diese im Diskurs zu vertreten. Ich kann nicht nachvollziehen, dass man Werte aus Moral und Ethik erst gegen steigenden Widerstand verteidigt, um sie dann wie ich meine ohne Not über Bord zu werfen. Dies gilt bei der Aufnahme der schutzbedürftigen Männer, die jetzt auch- soweit sie aus der Ukraine stammen- Gefahr laufen, dem staatlichen Zugriff der UA zum Opfer zu fallen. Müssen/Werden wir ausliefern? Ich hoffe nicht. Es reicht aus, die UA finanziell und mit Kriegsgerät zu versorgen. Wir müssen doch alles tun zum Schutz der Männer. Bei der Gelegenheit muss dann auch erwähnt werden, dass nun doch wieder der Leistungsentzug beim Bürgergeld ins Spiel gebracht wird. Was bleibt übrig von der Ablösung des H4 Systems? Nur der neue Name Bürgergeld, sonst alles wie zuvor? Kurs halten, auch in schwerer See, das war mal unser Markenzeichen, und das muss es wieder werden und bleiben.