Inland

Von Kanada lernen: Mehr Zuwanderung gegen Fachkräftemangel

Deutschland will seine Migrationspolitik grundlegend ändern und so auch wachsende Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließen. Die SPD-Minister*innen Svenja Schulze und Hubertus Heil führte es deshalb kürzlich nach Kanada.
von Jonas Jordan · 13. April 2023
Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Unterzeichnung der Verträge für ein Migrationsberatungszentrum in Ghana.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Unterzeichnung der Verträge für ein Migrationsberatungszentrum in Ghana.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht. Die Reise der beiden Ende März führte nach Kanada. Dabei ging es um eines der größten Projekte der Ampel-Regierung: die Fachkräftezuwanderung, mit der Deutschland einen Teil des Problems im Hinblick auf den drohenden Arbeitskräftemangel in den kommenden Jahren angehen will. Das nordamerikanische Land gilt mit seinem Punktesystem hierbei schon seit Jahren als Vorreiter. In den vergangenen 20 Jahren ist jährlich mindestens ein Prozent der kanadischen Bevölkerung im Ausland neu angeworben worden. Bezogen auf die Einwohnerzahl ist Kanada das Land mit der höchsten Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften weltweit.

Heil: „Kanada zeigt, wie erfolgreiche Einwanderungspolitik ein Gewinn sein kann“

„Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung. Deutschland muss als Einwanderungsland für Fachkräfte attraktiver werden, wenn wir ökonomisch nicht den Anschluss verlieren wollen. Kanada zeigt, wie erfolgreiche Einwanderungspolitik ein Gewinn für Gesellschaft, Wirtschaft und Zugewanderte sein kann“, sagte Arbeitsminister Heil daher vor Beginn der Reise. Innenministerin Faeser ergänzte: „Wir wollen ein modernes Einwanderungsrecht schaffen, damit ausländische Fachkräfte leichter nach Deutschland kommen und hier schnell durchstarten können. Dafür ist Kanada ein Vorbild, von dem wir lernen wollen.“

Zu diesem Zweck hat die SPD-geführte Bundesregierung ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht. Ende März wurde es im Kabinett beschlossen. Es habe sich gezeigt, „dass eine bedarfsgerecht steigende Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften zusätzlicher Anstrengungen bedarf, einschließlich weiterer gesetzlicher Erleichterungen beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt“, hieß es zuvor bereits im Referentenentwurf. Unter anderem ist geplant, die Dauer und Anforderungen des Anerkennungsverfahrens für ausländische Studien- oder Berufsabschlüsse gesetzlich anzupassen und so für eine Vereinfachung zu sorgen.

Das würde Menschen wie Ibrahim Kawa helfen. Heute arbeitet der aus Syrien stammende Kurde als Medizinischtechnischer Laboratoriumsassistent (MTLA) im Klinikum Großburgwedel in der Nähe von Hannover. Doch bis dies möglich wurde, war es ein langer Weg, wie der Sozialdemokrat im Gespräch mit dem „vorwärts“ berichtet. Im Jahr 2016 floh Kawa aus seinem kriegsgeplagten Heimatland nach Deutschland. Dort hatte er bereits 18 Jahre lang in seinem Beruf gearbeitet und hätte dies auch nach seiner Ankunft in Deutschland gerne direkt wieder getan. Allerdings wurde ihm die Anerkennung seines Berufsabschlusses zunächst verweigert.

Abschlüsse oft nicht anerkannt

„Ich habe viele Dokumente mitgebracht, unter anderem mein Abschlusszeugnis. Diese habe ich erst einmal übersetzen lassen“, erzählt er. Nach einem Jahr erhält er die Mitteilung, dass sein Abschluss nicht als gleichwertig anerkannt wird. Um wieder in seinem Beruf arbeiten zu können, soll er zunächst 600 Theorie- und 400 Praxisstunden in einem Labor oder in einem Krankenhaus absolvieren. Erst mit diesem Nachweis würde sein Berufsabschluss anerkannt.

Über einen Freund bekommt er den Hinweis, dass auch der Nachweis seiner Berufserfahrung ausreichen könnte. „Also habe ich mir genau bescheinigen lassen, über welchen Zeitraum ich mit welchen Geräten in Syrien gearbeitet habe, habe das übersetzen lassen und eingereicht“, erzählt Kawa. Schließlich wurde sein Berufsabschluss anerkannt und nach insgesamt vier Jahren konnte er auch in Deutschland als MTLA arbeiten.

Pilotprojekt in Kooperation mit Tunesien

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, „den Bedarfen des Wirtschaftsstandortes Deutschland entsprechend durch die Weiterentwicklung der gezielten und gesteuerten Zuwanderung aus Drittstaaten zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen und so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten“. Wie das laufen könnte, zeigt ein Pilotprojekt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Kooperation mit der Deutschen Bahn. Dabei geht es um die faire Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden aus nordafrikanischen Staaten wie Tunesien, Marokko und Ägypten.

Soufien Dali und Oussema Jebeur sind auf diesem Weg bereits nach Deutschland gekommen. Die beiden Tunesier sind Mitte 20 und absolvieren seit dem 1. September eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik bei der Deutschen Bahn AG in Offenburg. Für Entwicklungsministerin Svenja Schulze stehen Dali und Jebeur für einen Neuanfang in der Integrationspolitik. Sie seien ein konkretes Beispiel dafür, den Mangel an Fachkräften in Deutschland zu minimieren. Denn dieser sei bereits „so dramatisch, dass er Wirtschaftskraft und Wohlstand in Deutschland bedroht“, erklärte die SPD-Politikerin bereits im Oktober in einem Pressetermin, bei dem das angesprochene Pilotprojekt öffentlich vorgestellt wurde.

Seitdem hat Svenja Schulze weitere Anstrengungen im Bereich Fachkräftezuwanderung unternommen, so zum Beispiel durch ihre gemeinsame Reise mit Arbeitsminister Hubertus Heil vor wenigen Wochen nach Westafrika. Bei einem Besuch in Ghana gaben die beiden gemeinsam mit dem ghanaischen Arbeitsminister den Startschuss für eine Neuausrichtung der deutschen Migrationspolitik, deren Ziel es ist, „sichere, reguläre und geordnete Migration zum gegenseitigen Vorteil zu nutzen“, wie das BMZ verkündete.

Neun Migrationszentren geplant

Kern der Vereinbarung ist der Ausbau des seit 2017 bestehenden ghanaisch-deutschen Migrationsberatungszentrums in Accra zu einem umfassenden „Zentrum für Jobs, Migration und Entwicklung“. Das Zentrum in Accra ist Teil der größeren Leuchtturminitiative „Zentren für Migration und Entwicklung“, für die das Entwicklungsministerium 150 Millionen Euro über drei Jahre und für derzeit neun Länder vorsieht.

Weitere Zentren sind in Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Pakistan und Indonesien geplant. „Während viele Länder, wie zum Beispiel Ghana, vor der Herausforderung stehen, Jobs für ihre junge, wachsende Bevölkerung zu schaffen, sorgt der demografische Wandel in Deutschland dafür, dass wir in vielen Bereichen händeringend Arbeitskräfte benötigen. Am Beispiel Ghanas können wir zeigen, dass wir sowohl für die Situation dort wie auch bei uns gemeinsame gute Lösungen finden können“, erklärte Schulze.

So soll der von der Bundesregierung ausgerufene „Neustart in der Migrationspolitik“, von dem unter anderem Innenministerin Nancy Faeser mehrfach sprach, zugleich dazu beitragen, das Problem des drohenden beziehungsweise bereits bestehenden Fachkräftemangels durch gesteuerte Zuwanderung nach Deutschland teilweise zu lösen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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