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Wehrbeauftragte Eva Högl: Wo die Zeitenwende mehr Tempo braucht

Bedingt einsatzbereit: So beschreibt Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, den Zustand der Bundeswehr. Doch es gibt auch gute Nachrichten.

von Nils Michaelis · 12. März 2024
Die Wehrbeauftragte Eva Högl

Eva Högl ist seit dem Jahr 2020 Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages.

Kurz nach Russlands Invasion in der Ukraine hatte Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende ausgerufen: Mit milliardenschweren Investitionen solle die Bundeswehr gestärkt werden und die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik wieder stärker in den Fokus rücken.

Zwei Jahre später hat sich einiges getan. Aber längst nicht genug. Diese Bilanz zieht die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, in ihrem aktuellen Jahresbericht. Am Dienstag übergab sie ihn Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.

Im Jahr 2023 seien wichtige Weichen der Zeitenwende gestellt worden, so Högl. Das Verteidigungsministerium hat Erlasse verabschiedet, etwa zur Beschleunigung von Beschaffungen und Infrastrukturvorhaben. 

Der Bundestag habe in beispiellosem Umfang Beschaffungsvorhaben gebilligt – 55 sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen mit einem Gesamtvolumen von 47 Milliarden Euro. Fast zwei Drittel des Sondervermögens seien vertraglich gebunden, zum Beispiel für Luftverteidigungssysteme, schwere Transporthubschrauber und leichte Kampfhubschrauber. Damit sei es aber nicht getan.

Eva Högl: "Die Bundeswehr schrumpft und altert"

„Trotz der bemerkenswerten Bemühungen bleibt festzuhalten, dass auch im zweiten Jahr der Zeitenwende substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur auf sich warten lassen“, so Högl.

Ende 2023 dienten 181.514 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr, das sind 1.537 weniger als 2022. „Auch andere Kennzahlen stimmen sorgenvoll“, so die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. Im Vergleich zum Vorjahr gebe es weniger Bewerbungen und mehr Vakanzen, Einstellungen stagnierten und Abbruchquoten seien weiterhin sehr hoch. „Das Ergebnis dieser Negativtrends: Die Bundeswehr altert und schrumpft.“

Auch bei der Anzahl von Frauen in der Bundeswehr gebe es kaum Fortschritte. Zwar sei die Zahl der Soldatinnen im Jahr 2023 leicht angestiegen. Doch die gesetzlich festgelegte Quote von 15 Prozent in den Streitkräften, die 2023 galt, sei nicht erreicht worden. Inzwischen wurde sie auf 20 Prozent erhöht. 

 

Eva Högl, Wehrbeauftragte 

Neue Panzer, Schiffe und Flugzeuge nützen wenig, wenn Soldatinnen und Soldaten fehlen, um sie zu bedienen und zu warten.

Truppe soll auf 203.000 Soldat*innen wachsen

„Das erfordert weitaus größere Anstrengungen als bisher, um mehr Frauen für die Bundeswehr zu gewinnen“, stellt Högl fest. Mit dem bisherigen Vorgehen werde das Ziel, die Personalstärke der Bundeswehr bis zum Jahr 2031 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu erhöhen, nicht zu erreichen sein. 

Högl: „Neue Panzer, Schiffe und Flugzeuge nützen wenig, wenn Soldatinnen und Soldaten fehlen, um sie zu bedienen und zu warten.“ Dass das Verteidigungsministerium eine Task Force Personal eingesetzt hat, sei richtig. Diese habe 60 konkrete und zügig umsetzbare Maßnahmen vorgeschlagen, die hoffentlich bald Wirkung zeigten. 

Mit Blick auf das Material sei die Truppe noch nicht vollständig einsatzbereit. Es fehlen Munition und Ersatzteile, kleineres Material wie Nachtsichtmittel und Großgerät wie Panzer und Flugabwehrsysteme. Hinzu kommen moderne Funkgeräte.

Wertschätzung ist gefragt

Es sei viel neues Material beschafft und auf dem Weg, allerdings noch nicht am Ziel. Mit einer großen Ausnahme: Die persönliche Ausrüstung komme an bei den Soldatinnen und Soldaten. „Unsere Soldatinnen und Soldaten freuen sich über neue Helme, Schutzwesten, Kälte- und Nässeschutz, Rucksäcke und vieles mehr“, so Högl. Das sei keine Kleinigkeit, sondern eine Form der Wertschätzung und Anerkennung. Und nicht zuletzt ein „erstes, spürbares Zeichen der Zeitenwende“.

Ganz anders sieht es Högl zufolge bei der Infrastruktur aus. Dort brauche es grundlegend neue Ansätze und Maßnahmen. Ob verschimmelte Duschen, baufällige Unterkünfte oder gesperrte Truppenküchen: Viele Kasernen seien in einem desolaten Zustand. Es fehle an Selbstverständlichkeiten wie Stuben, Lagerhallen, Sportmöglichkeiten und Wlan. Högl: „Der Zustand der Kasernen ist dem Dienst unserer Soldatinnen und Soldaten unwürdig. Bund und Länder müssen an einem Strang ziehen und hier schnell Abhilfe schaffen.“

Die Bundeswehr sei 2023 sehr gefordert gewesen. Sie habe viele Aufträge gleichzeitig bewältigt: von der Landes- und Bündnisverteidigung über Auslandseinsätze und Evakuierungsoperationen bis hin zur Herstellung der eigenen Einsatzbereitschaft durch Ausbildungen und Übungen. Die enorme Belastung habe maßgeblich auch mit den unzureichenden Rahmenbedingungen bei Personal, Material und Infrastruktur zu tun. 

Solidarisch mit der Ukraine

Högl: „Entweder müssen die Rahmenbedingungen schnell und substanziell verbessert oder Aufgaben müssen priorisiert und abgeschichtet werden. Die Truppe kann nicht alles leisten, was sie soll, wenn sie nicht alles hat, was sie braucht.“ 

Die Abgaben von Material an die Ukraine reißen laut Högl Lücken in ohnehin schon geringe Bestände. Das bereitgestellte Material müsse schnellstmöglich nachbeschafft werden, um die eigene Auftragserfüllung sicherzustellen.

 Unabhängig davon stehe für Soldatinnen und Soldaten außer Frage, das von Russland überfallene Land umfassend zu unterstützen. „Diesen Auftrag erfüllen sie mit höchster Identikation und Motivation“, bilanziert Högl. 

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1 Kommentar

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 13.03.2024 - 18:58

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„Zeitenwende: Mit milliardenschweren Investitionen solle die Bundeswehr gestärkt“, oder, wie sie Pistorius griffig erklärt, Bundeswehr und Bevölkerung müssen „kriegstüchtig“ werden. Dazu passt aber so gar nicht, dass „die Bundeswehr - trotz der bemerkenswerten Bemühungen - schrumpft und altert“. Ich muss zugeben, dass ich angesichts der Freude, Hingabe, ja, der fast schon religiösen Entrücktheit, mit der junge, kaum dreißig Jahre alte Bundestagsabgeordnete aus FDP, Grünen und SPD unisono im Bundestag über den Ukraine-Krieg, der Präsenz der Bundeswehr im Indo-Pazifischen Raum, in der Arktis oder im Weltraum sprechen, nicht glauben kann, dass der Bundeswehr der Nachwuchs ausgeht. Oder schreckt etwa die Erwartung der Frau Högl, „unabhängig davon stehe für Soldatinnen und Soldaten außer Frage, das von Russland überfallene Land umfassend zu unterstützen“, unseren MDB-Nachwuchs ab? Andererseits: Der Wegweiser an der Straßenkreuzung oder vor dem Bundestag geht auch nicht selbst den Weg, den er weist. Aber verlassen wir diese kleinteilig persönliche Betrachtung der Zeitenwende.

Den politischen Blick auf die Zeitenwende und ihre Vorgeschichte kann niemand besser richten als unser Bundespräsident: „Die schrecklichen Bilder ... markierten das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner Bemühungen, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern“. Wir alle wissen, was Steinmeier mit „schrecklichen Bildern“ und „schrecklichem Moment“ meint. Seine Erklärung für sein „bitteres Scheitern“ ist die“ imperiale Besessenheit des russischen Präsidenten“ - inzwischen alleiniges Erklärungsnarrativ unserer Wortgewaltigen (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: ANSPRACHE AN DIE NATION, 28.10.22). Was er mit „jahrelangen politischen Bemühungen“ inhaltlich meint, könnte eine bemerkenswerte geopolitische Analyse des Vorwärts aufklären, die der am 26.2.2024 veröffentlichte, und die ich zitiere , wobei ich lediglich Schweden durch Ukraine ausgetauscht habe): „Die Nato bekommt mit der Ukraine einen militärisch wichtigen Verbündeten und Russland einen potentiellen Gegner von Gewicht“. Das ist für Russland „ein geopolitisches Desaster von wahrhaft historischer Dimension“.
In der Zeit der „jahrelangen politischen Bemühungen“ von Kanzleramtsminister/ Außenminister Steinmeier erfolgte die EU- und Nato-Osterweiterung (- etwa zehn Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes traten bis 2004 der Nato bei).Unverständlicherweise war Russland nicht bereit, sie auch noch für die Ukraine hinzunehmen.

Bundeskanzler Scholz und die SPD wollen die Ukraine schnell in EU und Nato aufnehmen – nach der Vorwärts-Analyse wohl kein kluger Plan.