Keine Regenbogenflagge auf dem Bundestag: „Eine fatale Entscheidung“
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner will zum Berliner CSD nicht die Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude hissen. Die Vorsitzenden der SPDqueer, Carola Ebhardt und Oliver Strotzer, kritisieren das deutlich. „Das spielt den Rechten in die Karten und legitimiert ihre Agenda“, sagen sie.
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Demo-Schild beim Christopher-Street-Day in Erfurt 2024: Die Situation hat sich massiv verschlechtert.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat entschieden, dass in diesem Jahr zum Berliner CSD keine Regebogenfahnen auf dem Reichstagsgebäude gehisst werden. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Carola Ebhardt: Das ist eine fatale Entscheidung, denn sie hat weitreichende symbolische und gesellschaftlich-politische Konsequenzen. Das Verbot, die Regenbogenflagge auf dem Sitz des Bundestags zu hissen, bedeutet, dass sich der Staat nicht mehr öffentlich sichtbar an die Seite diskriminierter Menschen und Minderheiten stellt. Die Regenbogenflagge ist ein Symbol für die Einhaltung von Menschenrechten. Das wird mit dieser Entscheidung fast schon mit Füßen getreten. Hinzu kommt noch, dass den Bundestagsbediensteten untersagt wurde, offiziell mit einer Gruppe am CSD teilzunehmen. All das schwächt den Kampf gegen Diskriminierung total – und das in einer Zeit, in der die Angriffe gegen Minderheiten stark zunehmen.
Oliver Strotzer: Die Regenbogenfahne ist ein Symbol der Sichtbarkeit und des Kampfes gegen Diskriminierung, gegen Unterdrückung, gegen Ausgrenzung. Sie ist damit das Symbol der erfolgreichsten Menschenrechtsbewegung unserer Zeit. Wir haben es deshalb sehr begrüßt, dass Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin durchgesetzt hat, dass die Regenbogenfahne auf den Gebäuden des Bundestags gehisst wird. Dass diese Entscheidung ausgerechnet jetzt, wo queere Rechte weltweit unter Druck sind, zurückgenommen wird, ist schon hart. Das ist etwas, das man sonst nur von der AfD kennt.
Julia Klöckner und die Bundestagsverwaltung begründen ihre Entscheidung mit der Neutralitätspflicht des Parlaments.
Strotzer: Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Wie kann man gegenüber Grundrechten, gegenüber Menschenrechten neutral sein? Zudem nehmen seit Jahren auch Wagen und Gruppen verschiedener Ministerien am CSD in Berlin teil und sollen es wohl auch in diesem Jahr tun. Für mich zeigt dieses Vorgehen eher, dass Julia Klöckner in ihrem Amt nicht angekommen ist.
Carola
Ebhardt
Das ist die Agenda der Rechten. Es muss für sie immer jemanden geben, auf den sie einschlagen können, mindestens verbal, allzu häufig aber auch buchstäblich.
In regelmäßigen Abständen lässt die Regenbogenfahne die Stimmung hochkochen, nicht zuletzt in sozialen Netzwerken. Warum triggert die Regenbogenfahne eigentlich so viele Menschen?
Strotzer: Weil sie für das steht, was viele, besonders aus dem rechten Spektrum, ablehnen. Die Einstellung gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt war schon im Nationalsozialismus ein Problem. Wenn sich Menschen geweigert haben, Teil der homogenen Volksgemeinschaft zu sein und klassische Familien zu gründen, waren sie ein Feindbild, das bekämpft werden musste. In ganz ähnlicher Form erleben wir das auch heute. Es geht um die Abweichung von einer vermeintlichen Norm und letztlich um Kontrolle und das Recht zu definieren, wie unsere Gesellschaft auszusehen hat. Alles andere ist für sie „woker Wahnsinn“.
Ebhardt: Das ist die Agenda der Rechten. Es muss für sie immer jemanden geben, auf den sie einschlagen können, mindestens verbal, allzu häufig aber auch buchstäblich. Und ich befürchte, das ist erst der Anfang. Ich habe auch den Eindruck, die Regenbogenflagge macht ihnen Angst und deshalb bekämpfen sie sie so vehement. Sie ist ein Symbol queerer Sichtbarkeit und wird als ideologisch übergriffig wahrgenommen. Deshalb muss sie verschwinden. Indem Julia Klöckner oder andere offizielle Stellen die Forderung übernehmen, bedienen sie genau dieses Narrativ. Das spielt den Rechten in die Karten und legitimiert ihre Agenda.
Jetzt im Juni hat die Pride-Saison mit zahlreichen CSDs begonnen. Rechte mobilisieren stark wie nie zu Gegenveranstaltungen. Macht Ihnen das Angst?
Ebhardt: Ja. In Gelsenkirchen wurde der diesjährige CSD wegen der Bedrohungslage im Mai abgesagt. An anderen Orten werden Routen deutlich verkürzt, weil die Polizei nicht sicherstellen kann, dass sie die Parade schützen kann. In Bad Freienwalde wurde am vergangenen Wochenende ein queere Stadtfest von Rechten überfallen. All das zeigt, wie sich die Lage verschärft hat. Das macht vielen Angst.
Strotzer: Die Situation hat sich massiv verschlechtert. Bisher kannte ich so etwas nur in sehr kleinem Maßstab aus Pirna, wo es einen CSD gibt, der dort auch schon sehr lange in der Stadtgesellschaft verankert ist. Als SPD-Queer waren wir dort immer vertreten, schon seit vielen Jahren. Es gab immer mal wieder Sticheleien und es wurden Flugblätter verteilt oder Dinge beschmiert, aber alles eher im Verborgenen. Seit einiger Zeit zeigen sich die Nazis aber ganz offen, um einzuschüchtern. Im letzten Jahr war das auch in Dresden, in Bautzen, und in Leipzig so. Es gibt immer mehr Gruppen von – oftmals sehr jungen – Neonazis, die sich mobilisieren. Das ist sehr beängstigend und man fragt sich natürlich schon, wie das wohl weitergeht.
Oliver
Strotzer
Die Stadtgesellschaft sollte auf jeden Fall dahinterstehen, wenn vor Ort ein CSD veranstaltet wird.
Woran liegt es, dass die Rechten jetzt so selbstbewusst auftreten?
Strotzer: Zum einen, weil sie sich durch die politischen Entwicklungen – in Deutschland wie weltweit – bestärkt fühlen. Sie wollen jetzt zeigen: Das ist unser Raum. Wir kontrollieren den und ihr habt hier nichts zu suchen. Dabei geht es viel um Einschüchterung. Hinzu kommt, dass es seit einiger Zeit auch mehr CSDs im ländlichen Raum gibt, vor allem, um Sichtbarkeit herzustellen, auch über die großen Städte hinaus. Das triggert rechte Gruppen, gerade im ländlichen Raum.
Ebhardt: Dabei sind CSDs im ländlichen Raum superwichtig für die queeren Menschen, die hier leben. Sie haben es nämlich meist viel schwerer als die, die in den Städten wohnen. Es ist bewiesen, dass die Selbstmordrate dieser Menschen zurückgeht, wenn es eine Sichtbarkeit für sie und ihre Anliegen gibt. Deshalb müssen diese CSD geschützt werden und stattfinden können.
Politik und Gesellschaft scheinen dieser Entwicklung bisher eher hilflos gegenüberzustehen. Was wünschen Sie sich da?
Ebhardt: Nicht Rückzug, sondern ein selbstbewusstes Eintreten für die Rechte queerer Menschen. Und auch einen Weitblick, dass Verbote wie das von Julia Klöckner genau den Gegnern von Vielfalt und Gleichbehandlung oder kurz der Demokratie dienen und dass es den Schutz marginalisierter Gruppen schwächt, wenn man öffentlich so handelt. Sich hier aus der Verantwortung zu stehlen, geht nicht. Es braucht eine klare Haltung für Menschenrechte. Wenn bestimmte Menschengruppen nicht in Frieden und Freiheit leben können, dann hat das negativen Einfluss auf die ganze Gesellschaft.
Strotzer: Die Stadtgesellschaft sollte auf jeden Fall dahinterstehen, wenn vor Ort ein CSD veranstaltet wird. In Pirna hat selbst der damalige CDU-Bürgermeister lange die Regenbogenfahne und später auch die Transfahne vor dem Rathaus gehisst. Und die Vereine und Unternehmen vor Ort haben den CSD auch unterstützt. Das hat sich mit dem neuen Bürgermeister, der als Parteiloser für die AfD kandidiert hat, leider geändert. Gegen diese Entwicklung müssen wir uns wehren.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.