Queer-Politik: „Die Sorge ist groß, dass es nach der Wahl rückwärts geht“
Die Ampel hat in Sachen Gleichstellung queerer Menschen viel erreicht, sagen Carola Ebhardt und Oliver Strotzer, Vorsitzende der AG SPDqueer. Nach der Bundestagswahl könnten viele Errungenschaften aber wieder rückgängig gemacht werden. An die künftige Regierung haben sie klare Erwartungen.
Kai Doering | vorwärts
SPDqueer-Vorsitzende Strotzer und Ebhardt: Am 23. Februar geht es deshalb auch in Sachen Gleichberechtigung um viel.
Wie blickt die queere Community auf die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar?
Carola Ebhardt: Einerseits war das Ampel-Aus ein Schreck, weil vieles, was bereits im Koalitionsvertrag vereinbart war, nun nicht mehr kommen wird. Andererseits war ja schon vorher recht klar, dass mehr mit der Koalition nicht machbar sein würde. Das betrifft besonders die Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um die sexuelle Identität und das Abstammungsrecht. Wobei hier die CDU, die es für eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht hätte, der Bremser war. Gerade nach den Äußerungen aus CDU und AfD in der letzten Zeit ist die Sorge groß, dass es hier nach der Bundestagswahl nicht weiter vorwärts, sondern rückwärts geht. Am 23. Februar geht es deshalb auch in Sachen Gleichberechtigung um viel.
Oliver Strotzer: Die Sorge in der Community ist sehr, sehr groß, dass es deutliche Rückschritte geben wird, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und auch weltweit. In den USA hat Donald Trump ja gerade per Dekret verfügt, dass es nur zwei Geschlechter geben darf. Und schon vor seiner Amtseinführung haben sich viele amerikanische Großkonzerne dazu entschieden, ihre Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsmaßnahmen zurückzufahren und den Diskriminierungsschutz in sozialen Netzwerken abzuschaffen, nur um Donald Trump und seinen MAGA-Leuten zu gefallen.
Oliver
Strotzer
Da passiert gerade ein massiver Angriff auf das, was wir bereits geschafft haben.
Was befürchten Sie für Deutschland?
Strotzer: Nichts Gutes! Die CDU hat ja bereits angekündigt, dass sie das Selbstbestimmungsrecht abschaffen möchte. Und die AfD will nach der Bundestagswahl einen Antrag zur Abschaffung der Ehe für alle einbringen. Da passiert gerade ein massiver Angriff auf das, was wir bereits geschafft haben. Das macht vielen Menschen Sorgen.
Nochmal zurück zur Ampel: Wie fällt ihre Bilanz der vergangenen drei Jahre aus?
Ebhardt: Auf jeden Fall positiv. Die Aufhebung des Blutspendeverbots für Homosexuelle war ein wichtiger Beschluss. Ein weiterer Erfolg ist, dass das Innenministerium die Entscheidungspraxis des BAMF hinsichtlich lesbischer, schwuler, bisexueller, trans-, intergeschlechtlicher und queerer Geflüchteter überarbeitet hat. Wichtig war auch, dass Tatmotive, die sich gegen die sexuelle Orientierung richten, ausdrücklich in die Strafgesetze zu Hasskriminalität aufgenommen worden sind.
Strotzer: Und dann natürlich das Selbstbestimmungsgesetz! Das war ein echter Durchbruch, der ein jahrzehntelanges Unrecht beendet hat.
Mit Sven Lehmann hat die Ampel-Koalition auch erstmals auch einen Queer-Beauftragten berufen. Sind Sie mit seiner Arbeit zufrieden?
Strotzer: Dass es einen Queer-Beauftragten gibt, ist sensationell – und auch entsprechend gefeiert worden. Aus meiner Sicht hätte er aber mehr aus dem Amt machen können und auch stärker herausstellen, dass er Querbeauftragter der Bundesregierung ist und nicht der Grünen.
Ebhardt: Trotzdem ist es wichtig, dass es den Posten auch weiterhin gibt. Friedrich Merz hat ja bereits angekündigt, das Beauftragtenwesen radikal zu kürzen, wenn er Kanzler werden sollte. Den Queerbeauftragten wieder abzuschaffen, wäre ein großer Fehler. Gerade bei Themen, die gesellschaftlich derart relevant sind, wäre es aber gut, wenn die Aufgabe von einer Person ausgeübt wird, die parteiunabhängiger ist und nicht direkt aus dem Parlament kommt.
Im Wahlprogramm der SPD wird die Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes gefordert, ebenso das Ende der Diskriminierung queerer Familien im Abstammungsrecht. Hätten Sie sich mehr gewünscht?
Ebhardt: Mehr geht immer, aber im Großen und Ganzen sind wir zufrieden. Das Wahlprogramm 2021 war natürlich fantastisch und wir wurden als AG auch ausgiebig bei der Erstellung beteiligt. Das war wegen der Kürze der Zeit diesmal nicht möglich. Trotzdem konnten wir noch einige Änderungen durchsetzen.
Zum Beispiel?
Ebhardt: Wir haben sprachlich noch einiges anpassen können, vor allem aber einen Satz aufnehmen lassen, dass die SPD am Selbstbestimmungsrecht festhält, damit bei einem Regierungswechsel eben nicht alle queerpolitisch erreichten Themen zurückgedreht werden. Mit rund 60 Seiten ist das SPD-Wahlprogramm ja recht kurz geworden. Insofern sind wir froh, dass die aus unserer Sicht wichtigen Themen drinstehen.
Carola
Ebhardt
Letztlich geht es um Menschenrechte und die sind nie ein Nice-to-have.
Worum sollte sich die nächste Bundesregierung im queerpolitischen Bereich auf jeden Fall kümmern?
Strotzer: Ein ganz wichtiges Thema ist die Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes. Wir hatten gehofft, dass das noch in dieser Legislaturperiode passieren würde, weil die Gefahr besteht, dass mit BSW und AfD zwei Parteien eine Sperrminorität erreichen, die eine Änderung des Grundgesetzes unmöglich macht. Es gab auch bereits einen geeinten Vorschlag der Ampel-Fraktionen, aber leider ist die CDU nicht über ihren Schatten gesprungen. Insbesondere Friedrich Merz hat sich verweigert.
Ebhardt: Und dann eben die schon erwähnte Reform des Abstammungsrechts. Es muss aber auch einfacher werden, mit Verbandsklagen gegen Diskriminierung vorzugehen. Das wird stark an Bedeutung gewinnen, wenn wir sehen, dass viele Unternehmen gerade ihren eigenen Diskriminierungsschutz zurückfahren. Da können wir uns nicht auf das Wohlwollen von irgendwelchen Tech-Milliardären und CEOs verlassen.
Wie nehmen Sie zurzeit insgesamt die Stimmung gegenüber queeren Menschen wahr?
Strotzer: Leider gibt es eine zunehmende Feindseligkeit. Besonders Parteien wie die AfD, aber auch Politiker anderer Parteien, versuchen, eine Stimmung gegen queere Anliegen zu erzeugen. Die gesamtgesellschaftliche Stimmung hat natürlich auch etwas mit der Weltlage zu tun. Wir haben eine Klimakrise, wir haben einen Krieg in Europa, wir haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund sind Gleichstellung und Antidiskriminierung für eine zunehmende Anzahl von Menschen Orchideenthemen, die im Zweifel hinten runterfallen können.
Ebhardt: Dabei erwartet ja niemand, wir auch nicht, dass unsere Themen immer in vorderster Linie stehen. Wir erwarten aber schon, dass sie mitgedacht werden und dass sie eben nicht hinten runterfallen, wenn das Wetter etwas rauer wird. Unabhängig davon profitiert von den meisten Themen, die wir voranbringen, auch die gesamte Bevölkerung. Letztlich geht es um Menschenrechte und die sind nie ein Nice-to-have.
Zur Bundestagswahl hat die Christopher-Street-Day-Bewegung die Kampagne „Wähl Liebe“ gestartet. Für den 15. Dezember ist ein bundesweiter Aktionstag geplant: Um 11:55 Uhr (also 5 vor 12) werden bundesweit rund 25 Demonstrationen stattfinden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.