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Katastrophenschutz: Kann Schweden ein Vorbild für Deutschland sein?

Schweden gilt als Vorbild in Sachen Landesverteidigung und Katastrophenschutz. SPD-Innenpolitikerin Simona Koß hat sich angesehen, was Schweden anders macht – und ob Deutschland etwas lernen kann.

von Kai Doering · 27. Juni 2024
Zivilschutz bedeutet auch Kampf gegen Naturkatastrophen, wie bei den Waldbränden in Schweden im Sommer 2022.

Zivilschutz bedeutet auch Kampf gegen Naturkatastrophen, wie bei den Waldbränden in Schweden im Sommer 2022.

Bevor er seine Pläne für einen neuen Wehrdienst entwickelt hat, war Boris Pistorius in Schweden. Dort hat sich der Verteidigungsminister angesehen, wie das nordische Land die Wehrpflicht organisiert. In der vergangenen Woche ist eine Delegation des Innenausschusses des Bundestags nach Schweden gereist, angeführt von der SPD-Abgeordneten Simona Koß. Ihr Ziel: einen Einblick in die Organisation des schwedischen Zivil- und Katastrophenschutzes zu gewinnen.

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den zunehmenden Extremwetterereignissen hat der Zivil- und Katastrophenschutz in den vergangenen Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Wie ist Deutschland da aufgestellt?

Bei uns sind vorrangig die Länder für den Katastrophenschutz zuständig. Wichtig ist die gute Zusammenarbeit aller Akteure vor Ort, auch mit dem Technischen Hilfswerk (THW), und eine solide Finanzierung, die auch in Zeiten knapper Kassen gesichert sein muss. Wir haben es aufgrund verschiedener Faktoren mit einem erhöhten Risiko zu tun. Dazu gehört die allgemeine Sicherheitslage, der Ukraine-Krieg, die Lage in Nahost, zunehmender aggressiver Rechtsextremismus und islamistische Terroristen.

Dazu kommen die Gefahren durch den Klimawandel. Es gibt also viel zu tun, den Katastrophenschutz an die aktuelle Situation anzupassen. Das sollte idealerweise europaweit einheitlich passieren. Wir brauchen den Austausch und die Zusammenarbeit, das mahnt die EU-Kommission zurecht an. Wir sind dabei, das System schnell an die neuen Herausforderungen anzupassen.

In der vergangenen Woche haben Sie mit einer Delegation des Bundestagsinnenausschusses Schweden besucht, um sich einen Eindruck von der Arbeitsweise des dortigen Katastrophenschutzes zu machen. Was nehmen Sie von der Reise mit?

Bei allen unseren Gesprächen wurde deutlich, dass Schweden seit der Annexion der Krim 2014 und insbesondere nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine die „Mobilmachung“ der zivilen Verteidigung in allen Bereichen als Priorität definiert hat. Budgeterhöhungen, die Ausweitung der Wehrpflicht, die Einführung eines zivilen Dienstes und die Einbeziehung der Bevölkerung sollen im Verteidigungsfall eine Totalverteidigung ermöglichen. Eine resiliente Gesellschaft und für den Krisenfall ausgebildete Rettungskräfte sind Säulen des Konzepts der schwedischen Totalverteidigung. Diese Konsequenz ist sehr beeindruckend.

Was kann Deutschland von Schweden lernen?

Die herausragende Bedeutung des Zivil- und Katastrophenschutzes in der heutigen Zeit ist in Schweden über alle Parteigrenzen hinweg unbestritten. Es gibt auch einen parteiübergreifenden Konsens dazu, welche Finanzmittel dafür bereitzustellen sind. In Schweden wird über „Kriegstauglichkeit“ offen gesprochen, ohne dass man dort sofort in die Ecke der „Kriegstreiber“ gestellt wird.

Schon 2018 hat die schwedische Regierung eine Broschüre zur Vorbereitung für Katastrophenfälle an alle Haushalte verschickt. Sollte die Bundesregierung das auch machen?

Die angesprochene Broschüre habe ich mir selbst angesehen. Sie ist klar strukturiert und aufschlussreich. Grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass wir auch ein solches Material erstellen. Dafür brauchen wir aber zunächst eine klare und offene Kommunikation darüber, was wir mit möglichen Katastrophenfällen meinen. Großschadensereignisse können zum Beispiel auch aufgrund des Klimawandels auftreten, es geht nicht nur um den Verteidigungsfall.

In Schweden sind zudem alle Einwohner*innen zwischen 16 und 70 Jahren verpflichtet, zu Verteidigung des Landes beizutragen, im militärischen oder im zivilen Bereich. Ist das in der Gesellschaft akzeptiert?

In Schweden ist das in großen Teilen der Gesellschaft akzeptiert. Das hängt mit der Geschichte des Landes zusammen und der Nähe zu Finnland, also zur russischen Grenze.

Ließe sich ein solches Modell auf Deutschland übertragen?

Das halte ich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte für schwierig. Insbesondere mit Blick auf Ostdeutschland habe ich Bedenken. Ein Dienst auf freiwilliger Basis wäre hingegen ein guter Weg. Der Ausbau der Freiwilligendienste als Ersatzdienste würde eventuell die Akzeptanz erhöhen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Die Gesprächspartnerin

Simona Koß ist SPD-Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg und Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat sowie für Kultur und Medien.

Simona Koß
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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