Gestaffelter Mutterschutz nach Fehlgeburten: „Ein großer politischer Erfolg"
Viele Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, müssen direkt danach wieder arbeiten. Das könnte sich noch vor der Bundestagswahl ändern. Leni Breymaier, frauenpolitische Sprecherin der SPD, erklärt, warum die Einigung der demokratischen Parteien in der Sache ein wichtiger Schritt ist.
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Schätzungsweise endet ungefähr jede sechste bestätigte Schwangerschaft in einer Fehlgeburt.
Noch vor der Neuwahl soll der Mutterschutz nach Fehlgeburten verbessert werden. Bislang müssen Frauen, die eine Fehlgeburt vor der 24. Schwangerschaftswoche erleiden, am Tag danach arbeiten, wenn sie nicht krankgeschrieben werden. Nun sollen sie schon wesentlich früher einen Anspruch auf eine Schonfrist bekommen. Wieso ist das so wichtig?
Fast jede dritte Frau in Deutschland ist von einer Fehlgeburt betroffen. Für die Betroffenen ist dies mit großen seelischen, körperlichen und hormonellen Belastungen verbunden. Insbesondere bei einer fortgeschrittenen Schwangerschaft kann eine Fehlgeburt als tatsächliche Geburt empfunden werden, da sich die geburtseinleitenden Maßnahmen oft nicht wesentlich von denen einer Lebendgeburt unterscheiden. Frauen sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich nach einer solchen Erfahrung regenerieren zu können, sofern sie das möchten. Sie sollten nicht durch ärztliche Fehleinschätzungen ihrer Situation oder Druck durch den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin zusätzlich belastet werden. Mit der Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes bei einer Fehlgeburt schaffen wir einen Rechtsanspruch auf diese oft benötigte Regenerationszeit.
Die Ampel-Parteien hatten sich eigentlich einen Mutterschutz für Fehlgeburten ab der 20. Schwangerschaftswoche vorgenommen. Jetzt sieht es so aus, dass sich SPD, Grüne, CDU/CSU und Linke auf einen gestaffelten Schutz ab der 13. Woche einigen. Wieso ist das sinnvoller?
Egal, ob es den Mutterschutz bei einer Fehlgeburt ab der 24. oder ab der 20. Schwangerschaftswoche gibt, es ist immer eine Fallbeillösung. Heute gibt es ab der 24. Schwangerschaftswoche 18 Wochen Mutterschutz, bei 23 Wochen und sechs Tagen hingegen keinen einzigen Tag. Eine geschmeidige Lösung ist schlicht sachgerechter.
Inwieweit hat die Petition einer Betroffenen die politische Debatte beeinflusst?
Die gesellschaftliche und politische Debatte wurde durch die Petition von einer Betroffenen, Natascha Sagorski, angestoßen und von ihr auch befördert. Als erste Parlamentarierin im Deutschen Bundestag führte ich 2022 mit ihr ein persönliches Gespräch. Ich war von den Argumenten überzeugt und konnte als frauenpolitische Sprecherin die SPD-Bundestagsfraktion auch die anderen Fachpolitikerinnen aus den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft, Arbeit und Recht rasch dafür gewinnen, das Anliegen zu unterstützen. Stück für Stück konnten zum Beispiel im Rahmen von Fachgesprächen auch die Mitglieder der weiteren demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag überzeugt werden. So wurde mehr und mehr ein Thema öffentlich diskutiert, das sonst eher im Privaten blieb. Hilfreich waren auch die öffentlichen Aktionen von Frau Sagorski und ihren immer mehr werdenden Mitstreiterinnen.
Laut Zahlen der AOK fallen 80 Prozent aller Fehlgeburten in die ersten drei Monate einer Schwangerschaft. Warum greift die Frist nicht früher?
Die Erfahrung einer Fehlgeburt ist für die meisten Frauen mit einem großen Verlustgefühl verbunden. Das gilt selbstverständlich auch für Frauen, die eine Fehlgeburt im ersten Drittel der Schwangerschaft und damit zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt erleiden. Das Bedürfnis nach einer Regeneration wird dabei individuell unterschiedlich empfunden. Hier eine Grenze zu ziehen, ist schwer und auch wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht.
Bei der Staffelungsregelung bewegen wir uns im zweiten Schwangerschaftstrimester. Ab dieser Phase unterscheiden sich die geburtseinleitenden Maßnahmen bei einer Fehlgeburt oft nicht wesentlich von denen einer Lebendgeburt. Gerade das Erleben einer geburtsähnlichen Situation führt häufig zu noch stärkeren physischen und psychischen Belastungen als zu einem frühen Schwangerschaftsstadium. Aus diesem Grund haben wir uns für eine Schutzlösung ab einem Zeitpunkt in dieser Phase der Schwangerschaft entschieden. Weiterhin bleibt Frauen, die eine Fehlgeburt vor der 13. Schwangerschaftswoche erleiden, die Möglichkeit, sich krankschreiben zu lassen. Oder, wie Natascha Sagorski sagen würde: Der Anfang ist gemacht.
Wie ist Ihre Bilanz, wenn sie auf andere frauenpolitische Vorhaben dieser Legislaturperiode blicken? Ist der Mutterschutz bei Fehlgeburten ein Einzelerfolg?
Die überfraktionelle Einigkeit der demokratischen Parteien zum gestaffelten Mutterschutz bei Fehlgeburten ist ein großer politischer Erfolg – auch für die Demokratie. Man kann Themen setzen und umsetzen. Neben dem Mutterschutz gibt es jedoch noch weitere wichtige frauenpolitische Anliegen, die wir im Laufe der Legislaturperiode umsetzen konnten. Dazu gehört zum Beispiel die Abschaffung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch und das Verbot von Gehsteigbelästigungen durch Abtreibungsgegner und Abtreibungsgegnerinnen, womit wir das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gestärkt und besser geschützt haben.
Frauenpolitisch besonders relevant sind zudem die Durchsetzung härterer Strafen bei geschlechtsspezifischer Gewalt und die Anerkennung von Femiziden als Morde an Frauen, die nun als solche benannt, erkannt und geahndet werden müssen. Frauen profitieren zudem von unseren Milliardeninvestitionen in mehr Kita-Qualität und den Ausbau von Ganztagsbetreuung, was eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet. Auch finde ich die 55 Millionen Euro, die jetzt in Frauengesundheitsforschung fließen, erwähnenswert. Leider klappt es mit der Abschaffung der Steuerklassen III und V jetzt doch nicht mehr.
Emotionale Debatten im Bundestag gab es zuletzt über die teilweise Legalisierung von Abtreibungen und mehr Gewalthilfe für Frauen. Wie optimistisch sind Sie, dass beide Vorhaben noch durchgesetzt werden?
Ich bin davon überzeugt, dass das Anliegen einer gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches inhaltlich eine Mehrheit im Parlament finden kann. Dabei wird die Debatte rund um die Abschaffung von Paragraf 218 im politischen Betrieb emotionaler geführt als außerhalb des Bundestages. Die Mehrheit der deutschen Gesellschaft ist hier weiter als Teile des Parlaments und will die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auch die entsprechenden Verbände stehen ganz, ganz überwiegend hinter diesem Anliegen – ein wichtiges Signal an die Politik!
Ich wünsche mir sehr, dass beide Vorhaben noch ihren Weg ins Parlament finden und dort auf die notwendigen Mehrheiten treffen. Dies zu erreichen, liegt jedoch nicht allein in unserer Hand, sondern bedarf auch des Zuspruchs der übrigen demokratischen Parteien. Für diesen Zuspruch werbe ich an dieser Stelle noch einmal sehr da beide Themen keinen Aufschub dulden.
Das Interview mit Leni Breymaier, frauenpolitische Sprecherin der SPD, wurde schriftlich geführt.