Inland

Geplante Sozial-Reform: „Die SPD sollte für das Bürgergeld kämpfen“

Die Einführung des Bürgergelds ist eines der zentralen Vorhaben der Ampel-Koalition. Nun plant die Bundesregierung weitreichende Änderungen. Die zuständige SPD-Abgeordnete Annika Klose sieht dadurch den Kern des Bürgergelds gefährdet – und erhebt schwere Vorwürfe gegen AfD und CDU/CSU.

von Kai Doering · 25. Juli 2024
SPd-Bundestagsabgeordnete Annika Klose: Ich bin von der Bürgergeld-Reform, die wir gemacht haben, nach wie vor überzeugt.

SPd-Bundestagsabgeordnete Annika Klose: Ich bin von der Bürgergeld-Reform, die wir gemacht haben, nach wie vor überzeugt.

Die Bundesregierung plant weitreichende Änderungen am Bürgergeld. Manche sprechen sogar von einer „Kehrtwende“. Zurecht?

Einige Vorhaben werden, wenn sie so umgesetzt werden, beim Bürgergeld das Rad zumindest ein ganzes Stück zurückdrehen, insbesondere beim Schonvermögen und bei den Sanktionen. Das finde ich sehr bedauerlich, denn die Überwindung von Hartz IV durch die Einführung des Bürgergelds war ein echter Systemwechsel. Unser Ziel war es, dass der Sozialstaat den Menschen auf Augenhöhe begegnet und sie nicht von oben herab behandelt. Auch der Respekt vor Lebensleistung war ein wichtiges Motiv. All das sehe ich durch die Pläne der Bundesregierung gefährdet.

Unter anderem soll die Zeit, in der das Vermögen der Person, die Bürgergeld bezieht, nicht angetastet werden darf, künftig nur noch sechs Monate betragen. Bisher sind es zwölf Monate.

Genau. Das geht an den Kern der Bürgergeld-Reform. Die Idee hinter der Karenzzeit ist ja, dass Menschen, die lange gearbeitet und sich etwas zurückgelegt haben, eine Atempause bekommen, wenn sie ihre Arbeit verlieren. Das soll ihnen die Möglichkeit geben, sich neu zu orientieren und sich voll und ganz auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu konzentrieren, ohne direkt die eigenen Rücklagen aufzubrauchen. Wenn diese Zeit auf sechs Monate reduziert wird, entsteht Druck, der im schlimmsten Fall das Anliegen des Bürgergelds – die nachhaltige Vermittlung in eine neue Arbeit – konterkariert.

Annika
Klose

Wir müssen aufpassen, dass von der Bürgergeld-Reform nicht nur kleine Schönheitsreparaturen übrig bleiben.

Sehen Sie den Kern des Bürgergelds – die Aufnahme einer qualifizierten Arbeit statt Job-Vermittlung um jeden Preis – gefährdet?

Wir müssen aufpassen, dass von der Bürgergeld-Reform nicht nur kleine Schönheitsreparaturen übrig bleiben. Innerhalb von sechs Monaten in den Leistungsbezug zu kommen, eine Qualifizierungsmaßnahme aufzunehmen und direkt einen neuen Job zu finden, halte ich für ziemlich unrealistisch. Dafür braucht es mehr Zeit. Deshalb sah unser Konzept als SPD auch eine Karenzzeit von 24 Monaten vor, die dann im Vermittlungsausschuss mit der Union bereits auf zwölf Monate verkürzt wurde. Zwei Drittel der Menschen, die langzeitarbeitslos sind, haben keinen Berufsabschluss. Deshalb ist es sehr sinnvoll zu überlegen, wie man sie von einer Helfertätigkeit zu einer Fachkraft weiterqualifizieren kann. Das geht aber nicht in sechs Monaten.

Kritiker*innen bemängeln schon länger, das derzeitige Bürgergeld verleite Menschen dazu, keine Arbeit aufzunehmen oder sie sogar aufzugeben. Was sagen Sie dazu?

Leider wird das Bürgergeld immer wieder für populistische Kampagnen benutzt, und das meist wider besseres Wissen. In allen denkbaren Konstellationen haben Menschen mehr Geld zur Verfügung, wenn sie arbeiten, als wenn sie Bürgergeld erhalten. Und der Abstand des Lohns zum Bürgergeld ist meist auch sehr deutlich. Das haben verschiedene Studien bereits klar belegt. Viele, die Bürgergeld erhalten, sind auch nicht so ohne weiteres in Arbeit zu vermitteln, weil sie psychische Probleme haben oder schlichtweg alleinerziehend sind. Hier den Druck zu erhöhen, ist vollkommen kontraproduktiv. Ich bin von der Bürgergeld-Reform, die wir gemacht haben, nach wie vor überzeugt. Und ich glaube auch nicht, dass uns irgendjemand die Änderungen, die nun geplant sind, danken wird. Die SPD sollte deshalb für das Bürgergeld kämpfen und den Rücken gerade machen gegenüber der Kritik von rechts.

Neben Verschärfungen beim Bürgergeld ist in der Wachstumsinitiative auch die Einführung einer „Anschubfinanzierung“ vorgesehen, für Menschen, die eine Beschäftigung aufnehmen. Was verbirgt sich dahinter?

Ich verstehe das so, dass Menschen, die eine Arbeit aufnehmen, die sie aus dem Leistungsbezug herausbringt, eine Geldprämie erhalten. Sie soll ein finanzieller Anreiz sein, damit Menschen motiviert werden, sich eine Arbeit zu suchen. Ich finde, dass das eine gute Sache ist, denn ich halte Positiv-Anreize für deutlich sinnvoller als Sanktionen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Prämien Menschen massenhaft zur Aufnahme einer Arbeit motivieren wird, weil die Hindernisse wie gesagt auf einer anderen Ebene liegen.

Annika
Klose

Wir werden im Parlament dafür kämpfen, das Bürgergeld in seiner jetzigen Form zu erhalten.

Sozialverbände wie die Arbeiterwohlfahrt fürchten, die geplanten Änderungen beim Bürgergeld könnten soziale Sicherheit abbauen und Ressentiments gegenüber Bürgergeld-Empfänger*innen schüren. Können Sie da zumindest Entwarnung geben?

Das würde ich gern, aber ich habe den Eindruck, dass sich die AfD und auch CDU und CSU auf das Bürgergeld eingeschossen haben. Sie verbreiten seit Monaten Horrorgeschichten und Unwahrheiten. Dabei geht es nie um sachliche Kritik, sondern immer um Emotionen, um auf dem Rücken der Bürgergeld-Empfänger ihre Zustimmung zu verbessern. Daran wird sich auch nach einer Reform des Bürgergelds nichts ändern. 

Die Bundesregierung hat ihre Vorschläge jetzt in der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt. Der Bundestag wird sie voraussichtlich im September beraten. Wo wollen Sie noch Veränderungen erreichen?

Wir werden im Parlament dafür kämpfen, das Bürgergeld in seiner jetzigen Form zu erhalten. Nur weil die Regierung ihre Pläne vorlegt, heißt das nicht, dass sie eins zu eins so umgesetzt werden. Als Abgeordnete müssen wir zum einen sehen, wie wir die geplanten Änderungen am Bürgergeld noch entschärfen können. Zum anderen müssen wir aber auch dafür sorgen, dass bei den Jobcentern nicht gekürzt wird und sie ausreichend Geld zur Verfügung haben für alle Maßnahmen, die notwendig sind, um Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen. Denn auch das beste Gesetz nützt nichts, wenn das Geld für die Umsetzung fehlt. Im aktuellen Haushaltsentwurf sehe ich da leider noch eine ziemliche Lücke. Das macht mir große Sorgen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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