Inland

Wachstumsinitiative: „Das sichert den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Zusammen mit dem Haushaltsentwurf für 2025 will die Bundesregierung am Mittwoch ein umfangreiches Wirtschaftspaket auf den Weg bringen. SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal begrüßt die Maßnahmen – und kündigt gleichzeitig Veränderungen an.

von Kai Doering · 17. Juli 2024
Mit einem Wachstumspaket will die Bundesregierung die Wirtschaft in Deutschland ankurbeln.

Mit einem Wachstumspaket will die Bundesregierung die Wirtschaft in Deutschland ankurbeln.

Deutschland gehört in Sachen Wirtschaftswachstum weltweit zurzeit zu den Schlusslichtern. Woran liegt das?

Mit dem aktuellen Wirtschaftswachstum stellen wir uns nicht zufrieden: Für gute Arbeitsplätze und Löhne brauchen wir ein nachhaltiges Wachstum. Dennoch ist die deutsche Wirtschaftslage besser als ihr Ruf. Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute haben zuletzt ihre Wachstumsprognosen für Deutschland in diesem Jahr nach oben korrigiert. Beispielsweise rechnet das Ifo-Institut im laufenden Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent und hat seine Prognose damit verdoppelt.

Mit der von der Bundesregierung vorgestellten Wachstumsinitiative werden wir unsere Volkswirtschaft weiter stärken. Mit Investitionsanreizen für bessere Abschreibungsbedingungen, einem klaren Fahrplan für eine kontinuierliche Bürokratieentlastung und einer Verstetigung des Strompreispakets aus dem letzten November, mit einer Entfristung der Stromsteuersenkung für das produzierende Gewerbe, einer Verlängerung der Strompreiskompensation und einem klaren Blick auf die individuellen Netzentgelte, ist die Bundesregierung auf Kurs für mehr Wachstum.

Bernd
Westphal

Wirtschaftspolitisch ist es für Deutschland enorm wichtig, für ausländische Fachkräfte attraktiv zu bleiben und unser inländisches Arbeitskräftepotenzial voll auszuschöpfen.

Sie habe die Wachstumsinitiative der Bundesregierung erwähnt. Wie bewerten Sie die vorgeschlagenen 49 Punkte?

Die vorgelegte Wachstumsinitiative und der Haushaltsentwurf zeigen, dass die Bundesregierung sich den enormen Herausforderungen der aktuellen Zeit bewusst ist und entsprechend handelt: Wir müssen in die Transformation der Wirtschaft und unsere Infrastruktur investieren. Das haben wir dem Kanzler immer wieder gesagt und so wird es jetzt auch kommen. Von allen Ministerien erwarte ich jetzt zeitnahe Gesetzentwürfe und eine disziplinierte, schnelle Umsetzung durch die Regierungsfraktionen. Das Zerreden einzelner Vorschläge durch Regierungsmitglieder selbst, ist wenig hilfreich, wird dem Gesamtpaket nicht gerecht und beschädigt die politische Lösungskompetenz der gesamten Bundesregierung. Im Jahr 2025 werden rund 100 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stehen. 

Außerdem hat uns der Kanzler versprochen, dass innere, äußere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden und auch dieses Versprechen hat er gehalten. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist der ganzheitliche Blick wichtig: Ja, die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist wichtig, aber eben sozial verträglich. Ja, wir wollen Unternehmen anreizen, mehr zu investieren, aber eben auch in ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – gute Löhne sind die beste Altersvorsorge! Deshalb begrüße ich die Wachstumsinitiative und den vorgelegten Haushaltsentwurf sehr. Als Haushaltsgesetzgeber werden wir den Haushaltsentwurf im Zuge des parlamentarischen Verfahrens nun noch besser machen. Auf diesen Prozess freue ich mich!

Ein Schwerpunkt der Maßnahmen liegt auf der Gewinnung von Arbeitskräften. Werden im Papier der Bundesregierung diesbezüglich die richtigen Stellschrauben gedreht?

Wirtschaftspolitisch ist es für Deutschland enorm wichtig, für ausländische Fachkräfte attraktiv zu bleiben und unser inländisches Arbeitskräftepotenzial voll auszuschöpfen. Deshalb hat es mich besonders gefreut, dass die Bundesregierung Maßnahmen für positive Arbeitsanreize im Alter und Mehrarbeit bei Teilzeitbeschäftigten vorgelegt hat. Sie sind ein probates Mittel, um dem Fach- und Arbeitskräftemangel zu begegnen. Uns ist es als Sozialdemokraten wichtig, dass diese gerecht und ohne Missbrauchspotenzial umgesetzt werden. Auch der Arbeitsschutz darf nicht vernachlässigt werden. Grundsätzlich kann aber festgehalten werden, dass Arbeit sich lohnt – in Zukunft noch mehr.

Der Gesprächspartner

Bernd Westphal ist Bundestagsabgeordneter aus Hildesheim und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Bernd Westphal

Bernd
Westphal

Die Zahlen zeigen, dass Deutschland trotz mancher Herausforderungen für ausländische Unternehmen hochattraktiv bleibt.

Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, in großem Umfang auch privates Kapital für Investitionen zu gewinnen. Warum ist das zurzeit so schwierig?

Dazu muss man die Veränderung des globalen Wettbewerbs betrachten. Die USA haben an dem Weg der Rückverlagerung der Industrie ins eigene Land mit dem Inflation Reduction Act (IRA), der unter Trump gestartet wurde, festgehalten. Zudem ist die deutsche Industrie sehr auf den Export ausgerichtet und angewiesen auf freie und faire Handelsbedingungen. Das ist in China ebenfalls nur bedingt gegeben. Für uns ist es deshalb essenziell, die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion in Deutschland und Europa zu stärken, beispielsweise durch Unterstützung der Unternehmen bei den dringend notwendigen Investitionen und besseren Rahmenbedingungen für geringere Energiekosten.

Klar ist aber auch, dass der Großteil an Investitionen für die Transformation durch private Investoren geleistet werden muss. Der Staat kann nur einen kleinen Beitrag leisten. Allein die deutsche Energiewirtschaft rechnet mit Investitionen in Höhe von 721 Milliarden Euro bis 2030 und 1,2 Billionen Euro bis 2035. Das zeigt die Dimension der Aufgabe, vor der wir stehen. Dennoch steigen die ausländischen Direktinvestitionen am Standort Deutschland wieder. Das betrifft sowohl Neuansiedlungen wie auch Unternehmenserweiterungen. Der Wert aller geplanten ausländischen Investitionsprojekte in Deutschland betrug 2023 laut Germany Trade & Invest etwa 35 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von 37,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr und damit der mit Abstand höchste Wert der letzten Jahre.

Die Zahlen zeigen, dass Deutschland trotz mancher Herausforderungen für ausländische Unternehmen hochattraktiv bleibt. Zahlreiche Beispiele wie zum Beispiel die Ansiedlungen von Intel, Northvolt, Infineon, Microsoft und Lilly sowie auch TSMC belegen das. Mit dem bereits beschlossenen Wachstumschancengesetz haben wir Unternehmen steuerlich entlastet. Die nun vorgelegten Verbesserungen der Abschreibungsbedingungen im Rahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung können einen schnellen und positiven Effekt auf das Investitionsgeschehen haben, weil sich Investitionen eher bzw. schneller rechnen.

Mit 30 Seiten macht das Wirtschaftsprogramm fast schon den Eindruck eines kleinen Koalitionsvertrags. Kann der Bundesregierung mit den Maßnahmen ein Jahr vor der Wahl eine Art Neustart gelingen?

Das zeigt vielmehr, dass die Bundesregierung handlungsfähig ist und konkrete Ideen und Konzepte für mehr Wirtschaftswachstum hat. Viele haben das der Ampel-Koalition und dem Bundeskanzler nicht mehr zugetraut. Es geht jetzt um entscheidende Investitionen, die die Basis schaffen für zukünftiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum sowie sichere, tariflich bezahlte Arbeitsplätze. Das sichert den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland – im Osten, wie im Westen. Dafür werden wir als SPD und als Ampel-Regierung insgesamt weiter hart arbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gemeinsam gelingen wird.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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1 Kommentar

Gespeichert von Anna Krull (nicht überprüft) am Do., 18.07.2024 - 09:16

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Sofern Überstunden zukünftig an der Lohnsteuer und den Sozialversicherungsbeiträgen vorbei gehen, kann es langfristig dazu führen, dass Renten-, Pflege-, Kranken-, und Arbeitslosenkassen weniger Einnahmen generieren. Ebenso werden in vielen Bereichen auf Mindestlohnbasis auch für jeden Einzelnen ggf. die Rentenpunkte weniger, was zu einer geringeren Höhe von Rente im Alter führt. Ich kenne zu wenig Branchen, allerdings ist die Branche Kundenservice im Callcenter Bereich ein Bereich wo viele Überstunden gemacht werden die auch aktuell für die Rente der vorherigen Generationen verwendet wird. Ist das nicht eher eine Verlagerung der Problematiken?