Compact-Urteil: „Das ist kein Erfolg für die Rechtsextremen“
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist klar: Das rechtsextreme Compact-Magazin darf weiter erscheinen. Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von„Reporter ohne Grenzen“, erklärt, warum das gut für die Pressefreiheit, aber kein Grund zum Jubeln für „Compact“ ist.
IMAGO/Herrmann Agenturfotografie
Das rechtsextreme Compact-Magazin darf weiter erscheinen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot des rechtsextremen Magazins „Compact“ gekippt. Ist das eine gute Nachricht?
Es ist eine gute und eine schlechte Nachricht gleichzeitig. Dass das Verbot gekippt wurde und „Compact“ wieder erscheinen darf, ist eine schlechte Nachricht, weil das Magazin rassistische, antisemitische, menschenfeindliche Äußerungen verbreitet. Das hat auch das Gericht sehr klar benannt. Gleichzeitig ist das Urteil als solches nachvollziehbar. Die Begründung bietet eine sehr gute Abwägung zwischen der Pressefreiheit als Grundrecht und diesen höchstproblematischen Aussagen.
Im Sinne der Pressefreiheit ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Hürde für ein Medienverbot sehr hoch angesetzt wurde. Denn wir sehen in vielen Ländern der Welt, dass es schnell willkürlich werden kann, wenn Regierungen Medien verbieten. Zumeist sind es politisch motivierte Entscheidungen, um kritische Stimmen auszuschalten. Das muss in einem Rechtsstaat unbedingt verhindert werden.
Anja
Osterhaus
Compact könnte verboten werden, sollte sich das Magazin weiter radikalisieren.
Wie viel Demokratiefeindlichkeit muss die Pressefreiheit aushalten?
Das ist die Grundsatzfrage, mit der wir uns als Pressefreiheitsorganisation auch immer wieder intensiv auseinandersetzen müssen. In der Abwägung kommen wir zu dem Schluss, dass es sehr wichtig ist, die Möglichkeit zu haben, Medien verbieten zu können, die Hürde dafür aber hoch angesetzt werden muss. Das Gericht hat höchstproblematische Aspekte klar benannt: dass die Menschenwürde in Teilen der Publikationen verletzt wird, dass eine Terminologie wie „Remigration“ gerade von Martin Sellner in seiner Kolumne benutzt wird und dadurch salonfähig gemacht werden soll, und dass eine rechtsextremistische Partei und deren Wählerschaft bedient werden. Diese Aspekte existieren, sie sind aber laut des Gerichts nicht prägend für das ganze Medium.
Warum macht das einen Unterschied?
Wenn sie prägend wären, könnte man das Magazin verbieten. Damit hat das Gericht eine Grundlage geschaffen, um extremistische Publikationen in zukünftigen Verfahren im Zweifelsfall verbieten zu können. Auch „Compact“ selbst könnte so mit Verweis auf das Vereinsrecht verboten werden, sollte sich das Magazin weiter radikalisieren.
Für den Status Quo bedeutet das trotzdem erst einmal, ein rechtsextremes Medium tolerieren zu müssen, selbst wenn es zum „Sturz des Regimes“ aufruft, wie Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer es getan hat.
Genau, deswegen ist unsere Bilanz gemischt. Aus Pressefreiheitssicht ist das zu begrüßen. Aus Demokratiesicht ist es ausgesprochen schwer zu ertragen aufgrund der Inhalte, die dort publiziert werden. „Reporter ohne Grenzen“ setzt sich auch deshalb für Pressefreiheit ein, weil sie ein zentrales Mittel ist, um die Demokratie zu verteidigen, indem Journalist*innen den Machthabenden kritisch auf die Finger schauen.
Elsässer hat sich nach der Urteilsverkündung auf ein für die Pressefreiheit wegweisendes Spiegel-Urteil aus den 60er-Jahren berufen. Hinkt dieser Vergleich?
Ja, der hinkt in vielerlei Hinsicht. Damals ging es um den Verdacht auf Landesverrat, schon deshalb würden wir den Vergleich nicht heranziehen.
Bildet das Urteil eine stärkere Grundlage zum Schutz der Pressefreiheit, sollte irgendwann mal die AfD oder eine andere extremistische Partei regieren und auf die Idee kommen, willkürlich Medien verbieten zu wollen?
Das ist jedenfalls der Geist, in dem dieses Urteil meiner Meinung nach gelesen werden sollte. Die Pressefreiheit muss gegen Willkür geschützt werden. Jede Art der demokratiefeindlichen Regierung, die eventuell mal in Deutschland entstehen könnte, müsste sich daran orientieren. Das ist das Weitsichtige an dem Urteil. Für den hohen Preis, dass dieses konkrete Medium weiter seine rechtsextremen und menschenfeindlichen Aussagen verbreiten kann, solange sie nicht das gesamte Medium prägen.
Seit April 2024 ist Anja Osterhaus Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen in Deutschland. Sie verantwortet die politische Arbeit und strategische Ausrichtung der Organisation. Zuvor arbeitete sie unter anderem für Oxfam Deutschland und Transparency International, wo sie für den Schutz von Whistleblower*innen zuständig war.
Inwieweit beeinflusst das Urteil Ihre weltweite Arbeit für die Pressefreiheit?
Wir betrachten dieses Urteil sehr stark auch aus der internationalen Perspektive. Wir haben vor zwei Tagen mit einer Protestaktion an das Verbot von „Apple Daily“ vor vier Jahren erinnert. „Apple Daily“ war eine der letzten kritischen Zeitungen in Hongkong. Die chinesische Regierung hat das Medium verboten, weil es kritischen Stimmen Raum gegeben hat. In sehr vielen Ländern sehen wir das Problem, dass Regierungen ihre Macht missbrauchen, um die Pressefreiheit einzuschränken. Dieses Urteil zeigt, dass man das in einem demokratischen Staat auch anders machen und der Meinungs- und Pressefreiheit einen sehr großen Raum einräumen kann.
Anja
Osterhaus
Es war nicht ideal, dass diese Gelegenheit zum Feiern durch das Verbot überhaupt entstanden ist.
Nach der Urteilsverkündung hat sich der Compact-Chefredakteur als „Bundesregierung-Besieger“ inszeniert. Ist dieses Urteil ein Sieg für den Rechtsextremismus?
Ich denke nicht, dass dieses Urteil ein Sieg für den Rechtsextremismus ist. Natürlich hat Elsässer alles getan, um es als großen Erfolg zu feiern, aber wir sollten uns davon nicht blenden lassen. Zwar wurde das vom Innenministerium ausgesprochene Verbot zurückgenommen. Doch das Gericht hat eindeutig klargestellt, dass dieses Medium verboten werden könnte, wenn die vom Gericht kritisierten Inhalte noch stärker vertreten wären. Das ist kein Erfolg für die Rechtsextremen.
Es war allerdings nicht ideal, dass diese Gelegenheit zum Feiern durch das Verbot überhaupt entstanden ist. Wir haben uns von vornherein skeptisch dazu geäußert, ob das Verbot Bestand haben wird. Im Nachhinein hat sich unsere Skepsis leider bewahrheitet. Elsässer hat die Aufmerksamkeit durch das Gerichtsverfahren für seine Zwecke missbraucht.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo