Inland

Pressefreiheit in Deutschland: „Radikale sehen etablierte Medien als Feind“

Journalist*innen leben in Deutschland zunehmend gefährlich, insbesondere auf Demonstrationen. Im Jahr 2024 haben sich die Übergriffe auf sie fast verdoppelt. Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus fordert mehr Einsatz für den Schutz der Pressefreiheit.

von Nils Michaelis · 10. April 2025
Journalist*innen auf einer Demonstration in Leipzig

Ende März 2025  in Leipzig: Unter Polizeischutz verfolgen Journalist*innen das Geschehen während einer Demonstration.

Sie werden getreten, geschlagen oder mit Gegenständen beworfen: Immer häufiger erleben Journalist*innen in Deutschland bei ihrer Arbeit gewalttätige Angriffe. Das geht aus der neuesten „Nahaufnahme“ der Organisation Reporter ohne Grenzen hervor. Diese hat im vergangenen Jahr 89 Übergriffe auf Medienschaffende dokumentiert. Das waren fast doppelt so viele Attacken wie im Jahr 2023, damals wurden 41 Attacken gezählt. 38 Fälle körperlicher Gewalt ereigneten sich allein bei Demonstrationen in Berlin mit Bezug zur Lage in Nahost. 21 weitere Attacken kamen aus dem verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Umfeld.

Levi Salomon, Sprecher, Geschäftsführer und Koordinator des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, verfolgt politische Demonstrationen in Deutschland seit vielen Jahren aus nächster Nähe und dokumentiert judenfeindliche Vorfälle. Auch seine Tätigkeit an der Schnittstelle von Medien und Wissenschaft ist mittlerweile mit hohen Risiken verbunden. 

Am Rande einer Demonstration zum Frauentag am 8. März in Berlin-Kreuzberg wurden Sie angegriffen. Was ist passiert?

Die Demo war als Kundgebung für Frauenrechte angekündigt, doch Anhänger*innen der Terrororganisation Hamas haben sie zweckentfremdet. Anstatt legitimerweise für die Interessen der Palästinenser*innen und gegen den Krieg in Gaza zu demonstrieren, wollten sie nur provozieren sowie Hass und antisemitische Propaganda verbreiten. 

Ich war in Begleitung von einem Kamerateam des NDR und wollte eine Rede filmen. Plötzlich stellte sich eine Frau vor meine Kamera. Sie verfolgte mich und platzierte sich immer wieder mit dem Rücken vor dem Objektiv. Dann kamen mehrere Demonstrant*innen und verdeckten mit Tüchern und Regenschirmen die Sicht. 

Ich versuchte, eine Lücke zwischen den Menschen zu finden, um weitere Aufnahmen zu machen. Dann kam eine als Clown verkleidete Frau und schnitt wenige Zentimeter vor mir Grimassen. Es war wie in einem Horrorfilm, ich fühlte mich bedrängt. Plötzlich löste sich eine andere Demonstrantin aus der Masse und übergoss mich mit einer heißen Flüssigkeit. 

Wie haben Sie auf den Übergriff reagiert?

Ich bewahre auf Demos grundsätzlich die Ruhe und lasse mich nicht provozieren. Es geht nicht um mich, sondern um das Thema. So habe ich es auch in diesem Moment gehalten. Jemand neben mir hat die Polizei gerufen. Polizeibeamte versuchten, die Frau festzunehmen, doch sie verschwand hinter einer Reihe von Demonstrierenden. 

Der Beobachter

Seit 1997 begleitet Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus politische Demonstrationen und dokumentiert judenfeindliche Übergriffe.

Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus

Wie gehen Sie mit dieser Erfahrung um? 

Bei jeder Demo oder Kundgebung erleben meine Kolleg*innen und ich Angriffe und Beleidigungen. Uns geht es nicht darum, bestimmte Personen anzuschwärzen, sondern darum, das Geschehen zu beobachten und zu dokumentieren. Wir erforschen antisemitische Tendenzen in dieser Gesellschaft. Wir arbeiten nach wissenschaftlichen und journalistischen Standards. Seit 1997 verfolge ich Demonstrationszüge dieser Stoßrichtung. Ich werde weitermachen. 

Was sollte unternommen werden, um Journalist*innen oder Akteur*innen wie Sie auf Demos besser zu schützen? 

Das kann nur Polizeischutz leisten. Den haben wir bereits. Ohne die Begleitung durch die Polizei wäre unsere Arbeit vor Ort undenkbar. Am 8. März war ich sogar mit vier Bodyguards unterwegs. Auch das hat nicht geholfen. Generell gilt: Wir versuchen, in der Nähe von Polizist*innen zu bleiben. Und schützen uns selbst, indem wir auf Provokationen nicht eingehen. Außerdem tragen wir Bodycams, Schutzwesten und schnittfeste Halstücher.

Wie könnte der Schutz durch die Polizei verbessert werden?

In der Regel sind die Berliner Polizeikräfte gut geschult und helfen uns. Es kam aber auch vor, dass manche von ihnen die Narrative der Demonstrierenden übernommen und uns vorgeworfen haben, wir würden sie durch unsere Arbeit provozieren. Vielen Journalist*innen ist es ähnlich ergangen. Ich würde mir wünschen, dass Polizeibeamt*innen regelmäßig und immer up to date in Sachen Demokratie und Grundrechte geschult werden. Denn letztere nehmen wir durch unsere Arbeit wahr.

Was raten Sie Journalist*innen, die Demos mit Bezug zum Nahostkonflikt und zum Gaza-Krieg begleiten wollen?

Das, was wir selbst versuchen: Ruhe bewahren, sich nicht provozieren lassen und Beleidigungen nicht persönlich nehmen.

Levi
Salomon

Extremistische, radikale und reaktionäre Kräfte bedrohen die Pressefreiheit in der Bundesrepublik.

Welche Folgen haben diese extremen Arbeitsumstände für die innere Pressefreiheit von Medienschaffenden? 

Umfassendes journalistisches Arbeiten ist in der Regel unmöglich. Niemand kann dort Interviews führen oder aus nächster Nähe etwas aufnehmen. Man wird sofort angegriffen, es entwickelt sich kein Gespräch. Die radikalisierten Demonstrationsteilnehmer sehen in den etablierten Medien ihren Feind, auch in diesem Hamas-affinen Milieu fällt oft der Begriff „Lügenpresse“.

Wie steht es aus Ihrer Sicht insgesamt um die Pressefreiheit in Deutschland? 

Wir leben in einem demokratischen Staat und haben alle möglichen Rechte. Wir können unserem Beruf als Wissenschaftler*in oder Journalist*in nachgehen. Aber es ist hochgefährlich geworden. In bestimmten Bereichen können wir nicht mehr so arbeiten, wie es eigentlich möglich sein sollte. Das ist ein großes Problem. Es wäre hilfreich, wenn die Zivilgesellschaft gegen diese Entwicklung auf die Straße gehen und so ein Stoppzeichen setzen würde. Nicht der Staat, sondern extremistische, radikale und reaktionäre Kräfte bedrohen die Pressefreiheit.

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